Kapitalismus ohne Pleiten ist wie Fußball ohne Tore

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Marktupdate 50/2021

Markus Schön, Dienstag 21. Dezember 2021

 

Wenn sich die Entwicklungen der letzten Wochen fortsetzen, wird 2021 eine Jahresendrallye ausfallen. Nach einer allgemeinen Marktschwäche im Dezember 2021 kamen in den letzten Handelstagen insbesondere Technologiewerte unter Druck. Der entsprechende US-Index NASDAQ verlor im Wochenvergleich fast 3%. Neben den hohen und teilweise nicht nachzuvollziehenden Bewertungen spielt auch die Positionierung der Notenbanken eine wesentliche Rolle. Vielfach konnte man nach der Entscheidung der US-Notenbank, die Zinsen im kommenden Jahr bis zu drei Mal anzuheben und der Bank of England, den Leitzins um 15 Basispunkte auf 0,25% p. a. zu erhöhen, in den vergangenen Tagen von einer Zinswende lesen. Bei der EZB wurde unterstellt, dass das derzeit geplante Ende des Corona-Ankaufprogramm im März 2022 ebenfalls den Beginn der Zinswende einleiten werde. Dieses „Gerede über eine Zinswende“ ist natürlich grober Unfug. In den etablierten Industriestaaten wird es in den 2020iger Jahren nicht zu einer wirklichen Zinswende kommen. Wenn Ende 2029 der EZB-Leitzins bei 1% p. a. läge, wäre dies ein großer Schritt. Rechnerisch wäre dies ein Zinsschritt rund alle zwei Jahre. Vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar, wenn die US-Notenbank ein sechs Mal so hohes Tempo verlegen würde. Dies ist umso weniger wahrscheinlich, weil die neue Corona-Variante Omikron nun auch die USA erreicht hat und immer mehr Staaten weltweit über eine Art Lockdown nachdenken. Auch in Deutschland nehmen die Diskussionen – angestoßen von dem neuen Expertenrat – an Fahrt auf. Damit könnte die Weltwirtschaft auf eine noch „schizophrener“ Situation als derzeit zusteuern: Während die Wirtschaftsleistung nachlässt, steigen die Preise, weil die Lieferketten durch Kontaktbeschränkungen gestört bleiben bzw. die schon bestehenden Beeinträchtigungen noch zunehmen. Dadurch nimmt das Risiko einer weiterhin hohen und ggf. sogar weiter steigenden Inflation zu, während die ohnehin schon reduzierten Wirtschaftserwartungen für das kommende Jahr und ggf. darüber hinaus weiter sinken könnten.

 

Von dem aktuellen Umfeld sprechen zwei grundsätzliche Aspekte gegen eine kurz- und mittelfristige Zinswende, die den Namen verdienen würde: Angefangen bei den USA und Japan über die Süd-Euro-Staaten Italien, Spanien und Frankreich bis hin zu Deutschland können sich die meisten Staaten weltweit steigende Zinsen nicht leisten. Die Staatshaushalte würden unter Zinsen von 3 bis 5% p. a. zusammenbrechen und damit große Kapitalsammelstellen wie Versicherer, Pensionskassen und Versorgungswerke mit sich reißen. Ausnahmen sind vielleicht noch China, in jedem Fall Australien, Neuseeland, Mexiko und insbesondere Russland. Von diesen Staaten losgelöst würde ein selbst theoretisch stabiler Aktienmarkt diesen Zusammenbruch nicht dämpfen und schon gar nicht verhindern. Gäbe es aber für als sicher eingestufte Staatsanleihen wieder 4 oder gar 5% p. a. würden viele Investoren, die in Aktien und ähnliche Anlagen hinein „gezwungen“ wurden, zu ihrer konservativen Grundausrichtung zurückkehren. Dann wären dort Anleihen das Mittel der Wahl, zumal der Anleihemarkt weltweit viel größer und damit liquider als der Aktienmarkt ist. Das liquideste Wertpapier der Welt sind deutsche Bundesanleihen, die noch schneller über das derivate Instrument des Bund-Futures, der den Kurs einer zehn Jahre laufenden Bundesanleihe abbildet, gehandelt werden kann. Vor dem Hintergrund einer bei einer wirklichen Zinswende drohenden staatlichen Überschuldung, die natürlich auch hoch verschuldete Unternehmen treffen würde, spielt die Entwicklung der Inflation keine Rolle. In den USA ist sie auf Jahressicht auf einen Wert von 6,8% explodiert. Dies sorgt zunehmend für politischen Druck, auf den bislang schwach agierenden US-Präsidenten Joe Biden, politisch gegenzusteuern. Mit seinen Infrastrukturprogrammen, die den Börsenhype befeuert haben, sorgt er aber für weiter steigende Inflationsraten. Ähnlich wie bei dem vorangegangenen Amtsinhaber der US-Demokraten Barack Obama fehlt das wirtschaftliche Grundverständnis. Eine solche Inflationsrate hätte vor 20 Jahren in den USA Zinserhöhungen von jeweils 75 bis 100 Basispunkten nach sich gezogen. Heute reduziert man das damals unbekannte Instrument der Wertpapierkäufe und zieht Zinserhöhungen in Erwägung, die zusammen – drei Zinsschritte mit jeweils 25 Basispunkten im Jahr 2022 unterstellt – einer Zinsmaßnahme früherer Zeiten entsprochen hätte. Noch deutlicher zeigte in der vergangenen Woche die Bank of England in Bezug auf die aktuelle Geldpolitik die Bedeutungslosigkeit von Inflation. Auf rund 5% Geldentwertung reagiert sie mit einem Zinsschritt von 0,15% p. a., der schon vor einem Monat – noch bei etwas geringerer Inflationsrate – erwartet worden war. Eine solche Geldpolitik ist, als wolle ein Spatz einen Jumbo zum Landen zwingen. Entsprechend wird das weltweite Zinsniveau eher sinken – weniger, weil in der Türkei eine politisch von dem dortigen Präsidenten Erdogan gesteuerte Notenbank deutlich zeigt, dass man einen Währungskrieg auch gegen die eigene Volkswirtschaft führen kann, sondern weil auch aufstrebende Nationen wie China, Indonesien u. a. ein durch Corona verschärftes Schuldenproblem haben. Schließlich kommen viele Probleme aus der schon wieder nachlassenden Wirtschaftsdynamik. „Zinsen rauf“ wird nur funktionieren, wenn die Verschuldung sinkt. Daran besteht aber kein Interesse. Die (staatlichen) Schulden des einen, sind das (private) Vermögen des anderen.

 

Daher ist es spannend, ob die US-Notenbank tatsächlich drei Zinserhöhungsschritte plant und vor allem umsetzen kann. Aus unserer Sicht ist die Wahrscheinlichkeit aus den vorgenannten Gründen extrem niedrig. Vielmehr zeigt die hinter uns liegende Handelswoche mit teilweise deutlich sinkenden Zinsen, wie gering der Einfluss der Notenbanken zumindest am langen Ende der Zinskurve ist. Neben dem weiteren Aufwertungspotenzial des US-Dollars droht der US-Notenbank dann eine deutlich inverse Zinsstruktur, bei der es für kürzere Laufzeiten höhere Renditen als bei länger laufenden Papieren gibt. Neben dem Theorem, eine inverse Zinsstruktur würde eine Rezession prognostizieren, käme dann Druck auf alle sich langfristig finanzierenden Kreditnehmer, die dann keine langlaufenden Anleihen mehr platzieren könnten.

 

Welche Auswirkungen ein solcher „Druck“ auf die Märkte hätte, ist realistisch kaum zu beurteilen. Schließlich spielen aktuell Themen wie fristenkongruente Finanzierungen faktisch keine Rolle mehr. Solange die Notenbanken versuchen, jedes wirtschaftliche Risiko abzufedern, sind fundamentale Grundsätze außer Kraft gesetzt. Am Ende bleibt es dabei – Kapitalismus ohne Pleiten ist wie Fußball ohne Tore. Aber derzeit sind Insolvenzen absolut unerwünscht. Während die USA und Europa vor der Corona-Pandemie auf die chinesischen „Zombie-Firmen“ zeigten, ist der Trend von ohne günstige Refinanzierungsbedingungen nicht lebensfähigen Unternehmen global geworden. Dies reicht von Tesla über viele eher mittelgroße Technologiewerte aus den USA, aber bis hin in das deutsche Top-Börsensegment. Ohne die Gelder, die mittelbar von den Notenbanken in die Märkte fließen, würde Elon Musk nicht als Visionär gefeiert, sondern würde vermutlich Hot Dogs an Entwickler von Microsoft verkaufen.

 

Eines der wenigen „ehrlichen“ Marktsegmenten scheint derzeit der Währungsbereich zu sein. Hier funktionieren fundamentale Analysen weitgehend. Hier werden irrationale Markt-entwicklungen sofort aufgedeckt. Daher hat die türkische Lira völlig zu Recht in diesem Jahr die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. Man kann sich aus fehlender wirtschaftlicher Expertise nicht durch einen Währungskrieg herauskämpfen. Umso wichtiger ist diese Lektion für Europa. Hier versucht man derzeit, wirtschaftliche Grundbedingungen auszuhebeln. Langfristig wird dies nicht gelingen. Daher ist die Stärke der rohstoffnahen Währungen im aktuellen Umfeld keine Überraschung. Mexikanischer Peso – auch dank Zinserhöhung – und Russischer Rubel sind vermutlich die Hartwährungen der Zukunft, was politisch natürlich kritisch zu sehen ist und für Euro-Anleger keine gute Nachricht sein darf.

 

Umso wichtiger bleibt eine breite Diversifikation – auf der Währungsseite ebenso wie bei allen Anlageklassen. Dies zeigte auch in den letzten Tagen der Edelmetallsektor. Dort haben sich die Edelmetallpreise positiv entwickelt, obwohl steigende Zinsen eigentlich für fallende Preise sorgen müssten. Schließlich bieten Gold, Silber und Platin keinen laufenden Ertrag. Besonders erfreulich war aus unserer Sicht allerdings die Entwicklung bei Palladium. Dies hatten wir als Beimischung in Schön & Co Mandate gekauft und innerhalb weniger als 30 Stunden 12% Gewinn realisieren können. Andere Anbieter würden dies auf eine utopische Jahresrendite hochrechnen. Wir freuen uns lieber, dass in dem das Gesamtjahr 2021 irrationalen Umfeld selektiv doch noch fundamentale Faktoren zum Tragen kommen. Wenn sich dies fortsetzt, müssten sich die Preise für Energierohstoffe in den nächsten Wochen deutlich ermäßigen.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.