Apple – so groß wie die britische Volkswirtschaft

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Marktupdate 49/2021

Markus Schön, Dienstag 14. Dezember 2021

 

Die größte Volkswirtschaft Europas hat eine neue Regierung und an den Kapitalmärkten gibt es keine Reaktionen. Teilweise wird es mit der Kontinuität erklärt, die man finanzpolitisch erwartet, da der bisherige Bundesfinanzminister Bundeskanzler geworden ist und mit Christian Lindner ein FDP-Politiker im Bundesfinanzministerium nun die Verantwortung trägt, der den Kapitalmärkten eher positiv gegenübersteht. Das Risiko einer ausschließlich linksausgerichteten Rot-Grün-Rot-Regierung war nach dem Wahlergebnis bekanntlich nicht möglich. Allerdings kann man die ausbleibende Reaktion an den Kapitalmärkten – positiv wie negativ – auch anders deuten: Im Konzert der Weltwirtschaft spielt Deutschland eine zunehmend unbedeutende Rolle. Inzwischen ist allein die Marktbewertung des IT-Konzerns Apple fast so groß wie die Wirtschaftsleistung Deutschlands. Man muss sich dies in einem vereinfachten Beispiel verdeutlichen. Würden alle Apple-Aktien zum aktuellen Kurs verkauft, könnten sich die Verkäufer alle Waren und Dienstleistungen – also die gesamte Wertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft – eines Jahres kaufen. Berücksichtigt man dabei nicht disponible Dienstleistungen wie den Gesundheits- oder Pflegesektor wäre die relative Finanzkraft aus dem Verkauf einer börsennotierten Aktiengesellschaft noch größer. Nun mag man einwenden, dass bei dieser Betrachtung wesentliche Faktoren unbeachtet bleiben; sie zeigt aber dennoch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse. Früher konnte man nicht gegen Staaten und schon gar nicht gegen Notenbanken spekulieren. Jetzt ist es schwierig gegen Unternehmen wie Apple zu spekulieren, die über Finanzkraft und politischen Einfluss verfügen, der – gerade mit Blick auf die Vereinbarung mit China – in vielen Bereichen eher an Monopol- oder Kommunismus-Strukturen zu erinnern scheint.

 

Gerade Apples Kooperation mit China ist ein klares Signal, dass sich Unternehmen über politische Ziele hinwegsetzen können, aber vor allem zunehmend „Gewinn vor Moral“ geht. Diese Entwicklung verschärft sich, je mehr die Staaten ihre regulativen Möglichkeiten verlieren. Das Credo nach der Weltfinanzkrise 2008, „too big to fail“ müsse künftig verhindert werden, ist einer geldpolitischen Rettungspolitik gewichen, die Staaten durch immer höhere Verschuldungen und Notenbanken durch deren Finanzierungen immer weiter schwächt, während Unternehmen und nicht wenige Investoren vor Kraft kaum noch laufen können. Daher treten wir 2022 in eine sehr spannende Phase ein. Die Notenbanken werden versuchen, etwas vom geldpolitischen Gas zu gehen, aber bleiben von einer Zinswende weit entfernt. Dennoch könnte eine signifikante Reduzierung der Anleihekäufe ganz mutige Spekulanten anstacheln, gegen Staatsanleihen bestimmter Staaten zu „wetten“. Selbst Papiere aus Deutschland oder sogar den USA sind dort durch die Erhöhung privater Vermögen auch durch steigende Staatsschulden nicht mehr wirklich unantastbar. Letztlich gibt es vor einer solchen Entwicklung nur einen Schutz: Eine solche Spekulation könnte – unabhängig vom wirklichen Erfolg – das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen. Dann hätte eine erfolgreiche Spekulation diesen Erfolg, materiell auszahlen würde er sich aber dann nicht mehr. Schließlich gilt dann das Sprichwort „wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot“. Auch wenn dieses Risiko damit eher theoretisch ist, wird es dazu beitragen, dass es zu keiner wirklichen Zinswende weltweit kommt. Neue Corona-Varianten und die damit verbundenen Unsicherheiten sind weitere Aspekte, die für weiterhin niedrige Zinsen sprechen. Ähnlich wie den weiteren Verlauf der Pandemie ist kaum zu beurteilen, wie sich andere Themen entwickeln. Russland und der Ukraine-Konflikt haben sich trotz einer Video-Konferenz zwischen Wladimir Putin und Joe Biden nicht wirklich entspannt. Noch unklarer ist die Situation im chinesischen Immobiliensektor. Dort wankt neben Evergrande nun auch Kaisa. Zwar handelt es sich um Immobilienkonzerne, bei denen eher spekulative Anleger engagiert waren. Aber die Unternehmen sind realwirtschaftlich tätig und bauen Immobilien für „normale“ Privatpersonen, die von solchen Bauträgerpleiten massiv betroffen wären. Daher bleibt es bei unserer Einschätzung, dass China den privaten Bauherren helfen wird, aber sich Investoren und vor allem ausländische Anleger auf einen – vermutlich 100%igen – Zahlungsausfall einstellen müssen. Umso wichtiger ist es, solche Anlagen zu meiden. Aber gerade in einem Umfeld, in dem Geld kein begrenztes Gut ist, steigen für Anleger die verdeckten Risiken. Dies sind zum einen Unternehmen, die keinen Wert schaffen, aber an den Börsen hoch bewertet werden. Zum anderen sind es Anleihen und Immobilien, die als vermeintlich sicher dargestellt sind, aber denen die Substanz fehlt. Wirksamen Schutz bietet in einem Niedrigzinsumfeld letztlich nur wirklich unabhängige Expertise.

 

Dazu zählt natürlich auch eine Betrachtung der makro-ökonomischen Rahmendaten wie die globale Zinsentwicklungen. Hierbei lohnt sich der Blick in die USA aktuell besonders. Während die Rendite von zehn Jahre laufenden US-Staatsanleihen trotz aller Inflationssorgen unter der Marke von 1,5% p. a. verharrt, sind nach erwartet hohen Inflationsdaten in den USA von 6,8% auf Jahressicht die kurzfristigen Renditen sprunghaft angestiegen. Dies ist ein Signal, dass man an den Kapitalmärkten mit einem Zinsschritt rechnet, der – wenn überhaupt – sehr moderat ausfallen dürfte. Die Stabilität der langlaufenden Anleihen zeigt sich nicht nur in den USA, sondern ist weltweit festzustellen. In Deutschland liegt die Rendite für zehn Jahre laufende Bundesanleihen bei -0,35% p. a. und damit sozusagen auf einem Durchschnittswert des Jahres 2021. Teilweise dürfte dies auch der sehr moderaten Inflationsentwicklung in China geschuldet sein, die mit 1,4% einen deutlich reduzierten Trend vorgibt.

 

Allerdings ist die Erwartung weder in den USA noch in Deutschland, dass die Inflation zügig sinkt. Daher kommt es global zu „Fehlallokationen“, bei denen Investoren Anlagen einfach mangels anderer Alternativen tätigen. Dies trifft aber nicht nur Investoren, sondern auch Unternehmen, die entweder dazu übergehen, eigene Aktien zurückzukaufen oder Unternehmens-sparten an die Börse bringen. Zuletzt hat dies in der vergangenen Woche Daimler mit seiner Lkw-Sparte gemacht. Theoretisch müsste dies ein Erfolg sein, weil die Pkw- und Lkw-Bereiche sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Ein Automatismus ist dies allerdings nicht, wie auch ein ähnlicher Schritt 2019 von VW zeigt. Während diese Konzentration auf Kerngeschäftsfelder sinnvoll sein kann, sind Aktienrückkäufe eher ein Signal von Fantasie-losigkeit, weil man keine andere Investitionsmöglichkeit erkennt.

 

1,5%. Solange die Zinsen niedrig bleiben, bleiben viele Unternehmens-bewertungen sehr hoch. Die damit verbundenen Risiken von Firmenübernahmen werden immer weniger Unternehmen eingehen. Entsprechend steigt die Neigung vieler börsennotierter Unternehmen, diese Form von Kurspflege zu betreiben, mit der sie Aktien zurückkaufen. Auch deswegen ist der Blick auf den kommenden Donnerstag und die dann stattfindende EZB-Sitzung so interessant. Schließlich könnte dort ein Signal erfolgen, dass die europäische Notenbank dem Vorbild der USA folgt und die Geschwindigkeit der Anleihekäufe drosselt. Vermutlich wird dieser Schritt aber ausbleiben oder geringer als erwartet ausfallen. Damit dürfte sich einer der klaren Trends des Jahres 2021 fortsetzen: Der Euro verliert gegen nahezu alle anderen – insbesondere rohstoffnahe – Währungen an Wert.

 

Schließlich haben sich die Rohstoffpreise nach ihren zwischenzeitlichen Rückgängen wieder deutlich erholt und steigen nun – teilweise deutlich – an. So konnte der Ölpreis um 8% im Wochenvergleich hinzugewinnen und liegt nun bei einem Jahresgewinn von knapp 50%. Kupfer und Eisenerz gewinnen auch wieder deutlich hinzu, während der Edelmetallsektor – trotz des starken Anstiegs der Inflation in den USA – unter Druck bleibt. Gold, Silber und Platin sind – auch auf Jahressicht 2021 – deutlich im Minus. Ähnlich wie der zwischenzeitlich starke Anstieg der Krypto-Währungen, der sich in den vergangenen Tagen relativierte, gehört die schwache Wertentwicklung der Edelmetalle in diesem Jahr zu den größten Überraschungen, für die nahezu jede fundamentale Erklärung fehlt.

 

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