Stehen Staaten vor dem Schuldenkollaps?

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Marktupdate 48/2020

Markus Schön, Mittwoch 02. Dezember 2020

 

Mehrfach hatten wir schon das Bild gewählt, das der Kapitalmarkt wie eine Bühne ist und die Aufmerksamkeit an der Stelle ist, auf die sich der öffentliche und mediale Fokus richtet. Aktuell liegt das Augenmerk auf Corona – Impfstoffe einerseits, Neuinfektionen andererseits –, den Maßnahmen der einzelnen Staaten und möglichen Konjunkturhilfen. Viele andere Themen werden nicht beachtet. Dabei werden gerade Weichen gestellt, die das Finanzsystem deutlich verändern können. Die EZB bereitet für ihre letzte Sitzung in diesem – sicherlich auch für eine Notenbank – außer-gewöhnlichen Jahr eine Ausweitung ihrer Geldpolitik vor. So wird zunehmend über weitere Negativzinsen gesprochen. Neben den Einlagen, für die Kreditinstitute bei der EZB – 0,5% p. a. bezahlen müssen, könnte die Eurozone bald erstmals einen negativen Leitzins haben. Aus Italien kommt sogar der Vorschlag, die Anleihen, die die EZB im Zuge der Corona-Pandemie gekauft hat, auszubuchen. Dies wurde kaum wahrgenommen, aber es wäre ein Schulden-schnitt in der Breite mitten in Europa. Gleichzeitig warnt ein ehemaliger EZB-Chefvolkswirt vor den immer geringeren Zinsen, die die Euro-Staaten zu zahlen haben. Damit wird die Gefahr einer Überschuldung mindestens einzelner Staaten begünstigt; vor allem findet aber keine risikogerechte Bepreisung in Form von Zinsen statt. Anders ist es beispielsweise nicht zu erklären, dass sich die faktisch insolvente Deutsche Lufthansa zu 3,25% p. a. für fünf Jahre refinanzieren konnte und die Nachfrage nach der Anleihe fünf Mal höher als das Angebot war. Der Glaube, dass der Staat alle retten kann und wird, ist ungebrochen. Dies suggerieren Politiker verschiedener Parteien auf jeweils unterschiedliche Weise. Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat kein Problem, eine Neuverschuldung in den Bundestag einzubringen, die 8% der Gesamtverschuldung entspricht. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, dessen Bundesland desaströse Corona-Zahlen hat, ist ja nie um eine Empfehlung an andere, ausschließlich besser aufgestellte Bundesländer verlegen und bringt nun Steuer-senkungen für Unternehmen im nächsten Jahr ins Spiel.

 

Beiden muss man fragen, wer dies bezahlen soll. Das Geld wächst nicht auf den Bäumen und der Preis der extrem expansiven Geldpolitik ist hoch. Es spielt aber weder auf politischer Ebene noch an den Kapitalmärkten eine Rolle. Möglicherweise wird man irgendwann auf die Zeit zurück-blicken und sich fragen, warum man die Zerstörung der Finanzsysteme beschleunigt statt gestoppt hat. Schließlich gehören zum Kapitalismus Insolvenzen dazu. Man muss die Unternehmen und Menschen schützen, die von der Pandemie unverschuldet getroffen sind. Konzerne wie die Deutsche Lufthansa oder Boeing waren seit längerem schlecht geführt. Da muss man einfach „das Ende mit Schrecken“ „dem Schrecken ohne Ende“ vorziehen. Dann könnte man viel punktgenauer der deutschen Wirtschaft helfen und die Bedingungen setzen, um sie zukunftsfähig zu machen. Schließlich fahren deutsche Unternehmen aktuell ihre Investitionen zurück. Gleichzeitig liegen inzwischen 20% der Kredite in Europa bei „Schattenbanken“ wie Hedgefonds, Versicherer, Private-Equity-Gesellschaften. Teilweise ergeben sich in solchen Konstellationen für alle Beteiligte interessante Finanzierungskonzepte. Schwierig wird es allerdings vielfach, wenn es zu größeren Abwärts-bewegungen an den Märkten kommt. Dann wollen viele Investoren und Anbieter aus den Märkten, die dann ohnehin illiquider werden. Diese „Schattenbanken“ funktionieren aber nur in liquiden Märkten und werden sonst schnell zu einem Systemrisiko. Dies spielt in der Politik keine, bei den Notenbanken eine nachgeordnete Rolle und an Kapitalmärkten erst wieder bei der nächsten Krise.

 

So lassen sich auch die stark steigenden Kurse bei Anleihen trotz sinkender Handelsvolumina erklären. Nach einem turbulenten Jahr setzt jetzt eine „Tiefenentspannung“ ein, in der die Gefahren in vielen Anlageklassen wieder nicht mehr gesehen werden. Dies hilft Anleihen zu immer neuen Rekorden, treibt teilweise die Immobilienpreise und führt zu hoher Nachfrage nach Aktien – gerade in den USA, obwohl dort die Corona-Pandemie nicht gerade an Dynamik verliert. Das aktuell zu Ende gehende Thanksgiving-Wochenende hat die Reisetätigkeit innerhalb der USA auf den Stand aus März 2020 – und damit vor den Ausbruch der Pandemie dort – gebracht. Offensichtlich haben vielen US-Bürger auf Donald Trump gehört und die vorsichtige Sicht des Joe Biden ignoriert. Daher bleiben wir bei unserer Einschätzung, dass die USA spätestens im Januar 2020 mehr als 250.000 Neuinfektionen täglich haben werden. Dies wird zwar – ebenso wie die wieder steigenden Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe – für Hilfen durch die US-Notenbank sorgen und damit die Zinsen auch dort weiter sinken lassen.

 

Es ist kaum vorstellbar, dass dies dann die Aktienmärkte unbeeindruckt lässt. Mitten in einer der tiefsten Krisen hat der Dow Jones ein neues Allzeithoch erreicht. Erstmals hatte der US-Leitindex die Marke von 30.000 Punkten über-sprungen. Mit einer solchen Entwicklung kann der DAX nicht mithalten. Daran wird auch die aktuell angestoßene Reform nichts ändern. Ab September 2021 soll der DAX 40 statt wie bislang 30 Werte umfassen. Alle Unternehmen im Index sollen ein positives EBITDA aufweisen, aber die Berechnung inklusive Dividenden und die – im Vergleich zum Dow Jones – vielen Veränderungen sollen nicht verändert werden. Ein großer Wurf ist die Reform nicht.

 

Entsprechend bleibt die Börsenkultur einer der größten Volkswirtschaften eher auf dem Niveau eines Schwellenlandes, zumal auch internationale Trends verschlafen werden. So hat die neuseeländische Notenbank ihre Überlegungen gestoppt, die Leitzinsen in den negativen Bereich zu senken. Dies hat dem Außenwert des Neuseeländischen Dollar deutlich geholfen. Insgesamt profitieren die rohstoffnahen Währungen von der erwarteten Erholung der Weltwirtschaft und der hohen Rohstoffnachfrage aus China. Vor diesem Hintergrund überraschen die Schwäche des Mexikanischen Peso und  des Russischen Rubel im späten Handel am Freitag. Möglicherweise werden dort die politischen Risiken trotz der mit Joe Biden verbundenen Hoffnungen höher als noch in den letzten Wochen bewertet. Der US-Dollar selbst ist sehr schwach. Zum einen nährt die Hoffnung auf eine Erholung der Eurozone die relative Stärke des Euros, vor allem stellt man sich aber hinsichtlich der USA auf eine Verschärfung der Corona-Krise und damit eine weitere Schwäche der Volkswirtschaft mit noch stärker sinkenden Zinsen und einer noch höheren Verschuldung ein. Dies funktioniert am besten, wenn der US-Dollar schwach ist.

 

Dies hat für Euro-orientierte Anleger einen weiteren Nachteil: Die ohnehin rückläufigen Preise für Gold und Silber sind währungsbereinigt noch niedriger. Mit den steigenden Aktienmärkten kamen die Preise dort deutlich unter Druck. Dieser Abwärtsbewegung bei den Edelmetallen konnte sich nur Platin entgegenstellen, das im Wochenvergleich fast 2% an Wert hinzugewonnen hat. Grund hierfür ist die von uns seit längerem erwartete Sorge vor Lieferengpässen. Umso überraschender ist die schwache Entwicklung bei Silber, das auch eine höhere industrielle Verwendung als beispielsweise Gold hat. Die Industriemetalle wie Kupfer, aber auch die Energierohstoffe konnten deutlich hinzugewonnen. Schließlich boomt vor allem in China die Wirtschaft wieder wie vor Corona.

 

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