Vom Teufelskreis zur Teufelsspirale

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Marktupdate 47/2021

Markus Schön, Dienstag 29. November 2021

 

Das fühlte sich schon ein bisschen wie Crash an. Am vergangenen Freitag fiel der deutsche Leitindex DAX im regulären Handel um über 660 Punkte. Nachbörslich ging es weitere 200 Punkte nach unten. Während viele Marktteilnehmer noch von 17.000 Punkten zum Jahresende 2021 träumten, geht es jetzt erst einmal um die Marke von 15.000 Punkten. Ursächlich war die Entdeckung einer neuen Corona-Mutation in Südafrika, die aber faktisch mindestens Europa schon erreicht hat. Durch die Vielzahl der Mutationen sieht man eine schnellere Infektionsgefahr und schlimmere Krankheitsverläufe. Inhaltlich weiß man dies aber einfach nicht, weil die Mutation viel zu neu ist. Niemand kann die Gefahr oder die Wirksamkeit der Impfstoffe beurteilen. Dennoch wurden weltweit Billionen Euro an Aktienwerten vernichtet. Die Geschwindigkeit des Ausverkaufs erweckte den Eindruck, als haben viele Marktteilnehmer nur auf das Signal zum Verkauf gewartet. Dann geschah dies, was üblich ist, wenn die Nervosität in einzelnen Segmenten zu groß wird: Es kam bei einzelnen Werten und in einzelnen Segmenten zu panikartigen Verkäufen. Anders ist der Rutsch beim Ölpreis um ca. 12% an einem Handelstag und die Rückgänge bei Fluggesellschaften sowie im Tourismussektor im zweistelligen Prozentbereich nicht zu erklären. Der eigentlich vom US-Einzelhandel erfundene „Black Friday“ wurde zum Börsenmotto: Alles muss heraus. In dieser Stimmung gab es nur wenige Ausnahmen. Gold konnte in US-Dollar noch leicht hinzugewinnen. Währungsbereinigt stand durch den Anstieg des Euros auch ein „dickes Minus“, aber vor allem erstklassige Staatsanleihen waren gefragt. Der „Index“ Bund-Future stieg allein am Freitag um mehr als 100 Basispunkte und hatte schon am Vortag mit einem Anstieg von über 70 Basispunkten geglänzt.

 

Im Wochenvergleich fiel der Anstieg bei Weitem nicht so deutlich aus, nachdem in der ersten Hälfte der hinter uns liegenden Handelswoche noch Zinserhöhungsfantasien die Märkte beherrschten. Zurückzuführen waren diese auf die anstehende zweite Amtszeit des US-Notenbankpräsidenten Jerome Powell, den der US-Präsident Joe Biden – aus unserer Sicht überraschend – nicht parteipolitischen Strategien opfert. Dies machte aus Sicht einiger Marktteilnehmer das schnellere Ende der Anleihekäufe in den USA und damit Zinserhöhungen wahrscheinlicher. Tatsächlich ist es eher „Theaterdonner“. Wenn die Zinsen in den USA steigen, droht der größten Volkswirtschaft die Zahlungsunfähigkeit. Dies ist dann – anders als bei der Schuldenobergrenze – keine theoretische Gefahr, sondern ein garantiertes Risiko. Mit maximal 2% p. a. kommen die USA mit ihrer Schuldenlast gerade noch zurecht. Bei einem Marktzins in den USA bei zehn Jahre laufenden Anleihen von ca. 1,50% p. a. ist der Zinserhöhungsspielraum sehr begrenzt. Entsprechend wird das globale Zinsniveau eher fallen als steigen. Schließlich führen die Diskussionen und teilweise bereits erfolgten Lockdown zu einer Reduzierung der Wirtschaftsleistung weltweit. Die betroffenen Staaten versuchen die Folgen wirtschaftlich abzufedern. Dadurch steigt die staatliche Verschuldung. Es ist ein Teufelskreis, der nicht durch steigende Zinsen zu einer „Teufelsspirale“ werden darf. Umso verwunderlicher ist, wie schwach sich Unternehmensanleihen in dem aktuellen Umfeld entwickelten. Natürlich sinkt mit dem näher rückenden Jahresende das Handelsvolumen, aber teilweise Zinsanstiege Richtung 1% p. a. sin mehr als verwunderlich. Aktuell gibt es somit viele Marktchancen und Anleger sollten eher kaufen als verkaufen, weil sich so stetige Ertragszuflüsse ergeben. Auf der Aktienseite haben sich die Unsicherheiten wieder deutlich gezeigt und viele Anleger sind nach einem Kursrutsch in wenigen Handelstagen von mehr als 8% verunsichert. Erfreulich ist, dass es – ähnlich wie bei Anleihen – nun einige Marktchancen bei Aktien gibt, die durch das Geschäftsmodell, die unternehmerische Substanz und die Zukunftsfähigkeit, aber auch durch eher weichere Faktoren wie Dividendenrendite nun teilweise zu attraktiven Kursen gekauft werden können. Allerdings ist das „Alles muss raus“ über nahezu alle Assetklassen – mit Ausnahme erstklassiger (Staats)anleihen – mindestens ein kurzfristiger Belastungsfaktor. Da die aktuellen Nachrichten über die neue, Omikron bezeichnete Variante eher die Besorgnis erhöhen, dürfte sich der Abwärtstrend vom Ende der vergangenen Woche fortsetzen, zumal viele Marktteilnehmer aufgrund des „Thanksgiving-Feiertags“ in den USA in einem verlängerten Wochenende waren und entsprechend auf die neuen Entwicklungen nicht reagiert haben. Hinzu kommt das näher rückende Jahresende, bei dem viele Investoren die auf Jahressicht vielfach positive Entwicklung nicht gefährden wollen, Positionen absichern oder verkaufen. Damit kann man jetzt den Grundstein für den Anlageerfolg des kommenden Jahres legen.

 

Völlig verrückt wäre eine Entwicklung in den letzten Wochen des Jahres, die aus dem historisch schlechten Anleihejahr 2021 noch ein durchschnittliches Jahr machen würde. Auszuschließen ist dies nicht, aber dann würde die derzeit schon mit -0,34% p. a. deutlich negative Rendite von 10 Jahre laufenden Staatsanleihen aus Deutschland Richtung -1% p. a. fallen. Dies würde der sich abzeichnenden neuen Bundesregierung erhebliche Spielräume verschaffen, weil dann Schuldenmachen zu einem noch lukrativeren Geschäft für den deutschen Staat würde. Aber dies würde die weltweiten Zinsen ebenfalls nach unten drücken, weil immer mehr Staaten aus Sorge vor der neuen Corona-Variante Restriktionen beschließen. Damit sind Zinserhöhungen und eine dynamische Konjunkturerholung 2022 eher unwahrscheinlicher.

 

Schließlich wird ein weiterer Rückgang beim Ölpreis oder selbst eine Stabilisierung auf diesem Niveau die Inflation weltweit dämpfen. Während das Risiko vor wenigen Tagen noch bei einer Stagflation – also wenig Wirtschaftswachstum und hohe Geld-entwertung – lag, ist nun das größte Risiko in vielleicht zu schnellen und zu starken Restriktionen auf die neue Corona-Variante. Zusammen mit den in Teilen Europas unabdingbaren Beschränkungen drohen Belastungen, die die Aktienmärkte stark belasten müssen. Hier gibt es aber eine bislang „robuste Auffanglinie“: Solange die Geldpolitik weltweit expansiv bleibt, werden viele Aktien über ihrem fundamental gerechtfertigten Niveau notieren. Dadurch entsteht eine Blase an den Aktien- und Immobilienmärkten, die platzen wird, wenn die Frage zu beantworten ist, wie die Verschuldung zurückzuführen ist.

 

Zu den Gewinnern zählte – wiederum auch ausschließlich durch den vergangenen Freitag – der Euro. In Maßen wäre dies gegenüber den rohstoffnahen Währungen noch zu erklären gewesen, aber ein Minus von 5% beim Mexikanischen Peso ist irrational. Schließlich ist Europa eben kein sicherer Hafen im aktuellen Pandemiegeschehen. Neben Deutschland leiden auch andere bonitätsstarke Staaten des Währungsraums unter den aktuellen Infektionszahlen. Zudem ist die neue Variante aus Südafrika schon in Europa angekommen, so dass sich die Übertreibung bei den Fremdwährungen ausgleichen wird. Neben dem Mexikanischen Peso ist für spekulativere Anleger möglicherweise der Südafrikanische Rand interessant, während die Türkische Lira eine Garantie für Wertverluste bleiben wird.

 

Schließlich versucht der türkische Präsident die Funktionsweise von Märkten auf den Kopf zu stellen. Sinkende Zinsen sollen nach seiner Auffassung für einen steigenden Außenwert der Währung sorgen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund versuchen immer mehr Menschen in der Türkei, Alternativen zu finden. Aber auch Krypto-Währungen wie Bitcoin haben eine schwache Handelswoche hinter sich. Gegenüber dem fälschlicherweise als „digitalen Gold“ bezeichneten Anlagen haben sich die Edelmetalle mit Ausnahme von Silber und Platin vergleichsweise gut geschlagen. Durch ein Minus von knapp 6% hat Bitcoin nur leicht stärker als Silber verloren. Platin ist mit einem Wochenverlust – um nicht von einem „Freitagsminus“ zu sprechen – von über 7% nun auch auf Jahressicht 2021 wieder deutlich im negativen Bereich. In dieser nochmals unsicheren Phase überraschen die Rückgänge bei den Edelmetallen schon, weil damit der Risikoschutz dieser Anlageform in Krisen in Frage steht.

 

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