Digitales „Gold“ kann schnell verschwinden

Marktupdate 46/2022

Markus Schön, Mittwoch 16. November 2022

Die reichste „Ente der Welt“ Dagobert Duck sprang in den Disney-Veröffentlichungen in einen prall gefüllten Geldspeicher. Ähnlich agierten Anleger in Digitalwährungen, die von immer weiter steigenden Preisen ausgingen. Nun brach der Kurs aller Krypto-Währungen und insbesondere des Bitcoin dramatisch ein, weil sich die – inzwischen bestätigte – Insolvenz der drittgrößten Börse für Digitalwährungen abzeichnete. Weitere 130 Firmen mussten ebenfalls Insolvenz anmelden; rund 7 Mrd. Euro durften verloren sein. Deutlich ist aber auch, dass noch die Kursverluste der Digitalwährungen hinzukommen. Also dürften weitere 100 Mrd. Euro – zumindest temporär – verloren sein. Ob nun Elon Musk als reichster Mann der Welt mit einer Vorliebe für diese Anlage in einen leeren virtuellen Geldspeicher springt, ist uns nicht bekannt. Einige „Crashpropheten“ sehen dies als neuen „Lehman-Moment“, der die Kapitalmärkte in den Grundfesten erschüttern wird. Wahrscheinlich sind so dramatische Auswirkungen nicht, aber durch die starke Verzahnung vieler Anlageklassen war es schon überraschend, wie stark sich die Kapitalmärkte insgesamt präsentierten. Ursache für diese Marktstärke waren Daten zur US-Inflation, die leicht besser als erwartet waren. Durch die auf Jahressicht 2022 gesunkene Inflation wird erwartet, dass mindestens die Geschwindigkeit der US-Zinserhöhungen nachlässt und damit die Marktzinsen weniger stark als erwartet steigen. So blieben die Finanzierungskonditionen günstig und die hohe Bewertung vieler Vermögenswerte wäre auch zukünftig gerechtfertigt. Daher konnten insbesondere US-Technologiewerte deutlich hinzugewinnen, was vielleicht Mahnungen der US-Notenbank kurz vor dem Wochenende, man solle nicht auf ein Ende der Zinserhöhungen setzen, teilweise zu erklären scheint. Noch wesentlicher dürfte die Entwicklung auf der Zinsseite sein.

 

Die Erleichterung über die rückläufige Inflation in den USA sorgte für den stärksten Zinsrückgang an einem Tag in den USA seit über 13 Jahren. Gegen eine neuerliche Zinswende – dieses Mal wieder zu fallenden Zinsen – stemmten sich verschiedene Vertreter der US-Notenbank in Ausführungen am letzten Freitag. Umgekehrt muss man sich dort mit einer zunehmend unangenehmen Situation beschäftigen. Arbeitsmarkt und Konjunktur funktionieren bestenfalls noch mäßig, der US-Immobilienmarkt zeigt große Schwächen, aber vor allem sorgt man sich in den USA um die Energiesicherheit. Dies klingt verrückt, aber während in Europa und Deutschland die Energiepreise purzeln, sorgt sich die Volkswirtschaft, die sich mit Energierohstoffen weitgehend autark versorgen kann, um genau diese Versorgungssicherheit. Eine ungünstige Witterung trifft auch hohen Verbrauch und geringere Sparanstrengungen. Ein Stück weit verkehrt sich die bisherige Situation nun ins Gegenteil. Während man in Europa etwas zuversichtlicher auf den Winter schaut, steigen in den USA die Gaspreise deutlich an. Der Vorteil günstiger Produktionskosten in den USA löst sich damit zunehmend auf, was wiederum – neben der Erwartung einer weniger restriktiven Zinspolitik – auch den US-Dollar schwächt. Dies wiederum hilft den Schwellenstaaten, die sich aufgrund der vielfach eigenen Währungsschwäche in US-Dollar verschulden, unter dessen Entwicklung in diesem Jahr und den höheren Zinsen zusätzlich zu Inflation, Rohstoffpreisen und Lieferketten litten. Nun scheint sich der „perfekte Sturm“ an den Kapitalmärkten etwas abzuschwächen, aber von einer normalen Situation ist man an den Börsen weit entfernt. Vielmehr wird derzeit der Fokus von den ganz schlechten Nachrichten auf eher positive Nachrichten gerichtet. Zusammen mit teilweise deutlich „überkauften“ Werten relativieren sich manche Markt-übertreibungen und es droht schon wieder ein Abkippen in die nächste Euphorie. Erste Analysten sprechen von einer sensationellen Jahresendrallye, obwohl Dow Jones, DAX, MDAX und Nasdaq teilweise deutlich zweistellige Prozentwerte verloren haben. Wie fragil die Erholung ist, zeigt die Entwicklung auf der Zinsseite: Die Laufzeit spielt eine untergeordnete Rolle. Derzeit wird alles, was Risiko bedeutet – Genussscheine, Wandelanleihen, teilweise Nachrangpapiere –, stark gesucht, während sich die als besonders bonitätsstark eingestuften Bundesanleihen nur unter starken Schwankungen moderat aufwärts entwickeln. Ebenso wie unsere Einschätzung richtig war, dass fallende Anleihekurse, fallende Aktienkurse und steigende Inflation nicht dauerhaft miteinander zu kombinieren sind, wird eine „Zinsgerade“ von zwei bis zehn Jahre ebenso wenig funktionieren wie stark steigende Aktienkurse bei nur moderat steigenden Anleihekursen. Schon vor dieser – u. E. überfälligen – Aktienerholung war die Bewertung von Aktien und die damit verbundene Dividendenrendite teilweise deutlich weniger attraktiv als der Kauf einer entsprechenden Unternehmensanleihe, bei der der laufende Zins, die Rendite und der Zeitpunkt der Rückzahlung bereits beim Kauf feststehen.

 

Deswegen sind Anleihen ein so solides und – bei entsprechend guter Auswahl der Emittenten – so sicheres Geschäft, das durch den Zinsanstieg wieder sehr lohnend geworden ist. Daher ist auch derzeit das Jahresmotto 2022 weiterhin richtig: Es ist weiterhin der richtige Zeitpunkt, um Anleihen zu kaufen. Dies zeigen auch die leicht anziehenden Neuemissionen. Trotz vielfach mäßiger Attraktivität sind fast alle Papiere von erstklassigen Emittenten mehrfach überzeichnet. Es ist keine überraschende Entwicklung: Schließlich bleiben die Handelsumsätze bei bestehenden Anleihen niedrig, weil es kaum Verkäufer gibt. Bei Papieren mit weniger Emissionsvolumen führt diese Knappheit dazu, dass schon ein oder zwei mittelgroßes Wertpapierorders ausreichen, um für teilweilweise deutlich steigende Kurse zu sorgen. Neben dem deutschen Wert Grenke gilt wohl auch Twitter als nicht erstklassig. Die bislang den Kurznachrichtendienst finanzierenden Banken bemühen sich, die Kredite zu 60% des ursprünglichen Wertes abzustoßen, werde diese aber nicht los, obwohl Elon Musk als vermeintlich reichster Mann der Welt doch über jeden Bonitätszweifel erhaben ist. Allerdings bestehen immer größere Zweifel an ihm und seinen Fertigkeiten, da sich die operativen Fehler häufen. Vermutlich sind nicht die von Musk so geschätzten Digitalwährungen eine Gefahr für den Finanzmarkt, die Handlungen des Tesla-Chefs sind es jedoch in jedem Fall. Spannend wird sein, wie die Kapitalmärkte auf die erratische Führung und die Sorgen der Banken um Twitter reagieren. Möglicherweise zeigt sich sehr schnell, dass durch Hype aufgeblähte Vermögenswerte keine wirkliche Substanz sind, auch wenn selbst Tesla- und Twitter-Aktien als Sachwert gelten.

 

Sachwerte müssen immer Substanz haben. Diese ist bei vielen Werten nicht gegeben. Deswegen liegen viele Aktien nicht ohne Grund deutlich im Minus, aber auch die eigentlich fehlende Substanz macht sich beim US-Dollar nun bemerkbar. Die Währung hat gegenüber dem Euro im Wochenvergleich fast 4% an Wert verloren und liegt nun mit 1,03 wieder weit von der Parität entfernt. Die Erwartung eines nachlassenden Zinserhöhungszyklus und der Risiken einer deutlich stärker nachlassenden Wirtschaft dort lassen den Außenwert des US-Dollars deutlich sinken. In dessen Sog gab der Mexikanische Peso ähnlich stark nach, da eine schwache US-Wirtschaft auch weniger Energierohstoffe nachfragen würde. Aus ähnlichen Gründen viel der Ölpreis insgesamt; es stand aber mehr eine mögliche Schwäche Chinas im Fokus. Die sinkenden Energierohstoffpreise haben auch den Russischen Rubel belastet, der in diesem Jahr aber immer noch fast 30% Gewinn im Vergleich zum Euro ausweist.

 

Während das „digitale Gold“ Bitcoin einen fulminanten Crash erlebt, profitierten die „echten“ Edelmetalle von der allgemeinen Marktberuhigung. Damit ist aber auch eine grundlegende Frage beantwortet – in einer so verflochtenen Weltwirtschaft hängt die Entwicklung von Gold, Silber und Platin kaum an der jeweiligen Inflation. Entscheidend ist das Zinsniveau. Dies ist – leider – logisch. Auch in diesem Segment gibt es zu viele Spekulanten, die kreditfinanziert Edelmetalle kaufen. Je höher die Zinsen, desto schwieriger und unattraktiver ist das Geschäft, desto eher müssen viele Investoren verkaufen und die Preise fallen. Durch einen starken Anstieg von 7,5% ist Platin wieder in die Gewinnzone auf Jahressicht 2022 zurückgekehrt und gehört zu den wenigen Anlagen, mit denen Anleger weltweit eine positive Entwicklung erzielen konnten. Es wäre gut, wenn auf diesem Niveau eine Konsolidierung einsetzen würde, um die von uns erwarteten Anstiege – vor allem beim Silber – weiter zu stabilisieren.   

 

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