Inflation als Mittel der Geldpolitik

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Marktupdate 46/2021

Markus Schön, Dienstag 23. November 2021

 

Das Jahr 2021 ist nicht nur das historisch schwächste Jahr bei Anleihen; es zählt auch zu den schwankungsintensivsten. Während beispielsweise 30 Jahre laufende Bundesanleihen vor knapp einem Monat mit 0,40% p. a. deutlich im positiven Bereich notierten, sind die Kurse so stark gestiegen, dass nun auch die am längsten laufenden Staatsanleihen aus Deutschland eine negative Rendite aufweisen. Vor diesen Bewegungen profitieren unsere Schön & Co Mandate, zumal wir auch im Zinsbereich eine deutlich positive und damit deutlich über dem Markt liegende Entwicklung haben. Unsere Strategie, keine negativ verzinsten Anleihen zu kaufen, zahlt sich derzeit besonders aus. Der Anstieg der vergangenen Tage ist vor allem auf Unsicherheit zurückzuführen, die wiederum durch die neue Dynamik der Corona-Pandemie in Deutschland und Europa entsteht und u. a. Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung auslöst. Wie seit Beginn der Corona-Pandemie liegen die Gefahren durch Einschränkungen auf der Nachfrageseite, aber auch die erneut bzw. teilweise weiterhin gestörte Lieferketten sind eine Gefahr für die globale Wirtschaft beeinträchtigen. Auch vor diesem Hintergrund erklären sich die Rücknahmen der Wirtschaftsprognosen. Weniger nachvollziehbar sind aber die Stimmen, die eine deutliche Erholung für das Jahr 2022 prognostizieren. Global ist eine Entspannung der Pandemie nicht abzusehen. Schließlich zeigt das Infektionsgeschehen in Deutschland mit einer Impfquote von knapp unter 70%, welche Dynamik die Corona-Pandemie immer noch zu entfalten vermag. Der einzige „Vorteil“ scheint in dem geringeren Fokus auf andere Themen zu liegen, die die Kapitalmärkte zudem belasten könnten. So spielen weder die geopolitischen Risiken – die USA rechnen mit einem Einmarsch Russlands in der Ukraine – noch die Folgen der expansiven Geldpolitik weltweit derzeit eine wahrnehmbare Rolle.

 

Dies zeigte eindrucksvoll die EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei einem Bankkongress, bei dem sie die Inflation als „notwendiges Übel“ abtat. Spätestens diese Positionierung zeigt, wie stark sich die Geldpolitik verändert hat. Es geht nicht mehr um Geldwertstabilität, sondern um die Sicherstellung der Finanzierung von Staaten und teilweise auch Unternehmen. Es bleibt aber dabei: Kapitalismus ohne Pleiten ist wie Fußball ohne Tore. Entsprechend müssen die Notenbanken ihre geldpolitische Ausrichtung ändern. Die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Schritt ist aber extrem gering. Die EZB hat sich eindeutig positioniert. Bei der US-Notenbank steht die Frage an, ob die Amtszeit des vom früheren US-Präsident Donald Trump eingesetzten Jerome Powell verlängert wird. Seine Vorgängerin und heutige Finanzministerin Janet Yellen scheint einer Verlängerung der Amtszeit des US-Notenbankpräsidenten positiv gegenüberzustehen. Parteipolitisch könnten die US-Demokraten jedoch einen Wechsel anstreben. Geldpolitisch würde sich mit einer neuen Führung der US-Notenbank allerdings wenig verändern. Lediglich die Restriktionen für die US-Finanzwirtschaft könnten wieder verschärft werden. Dies wäre in jedem Fall mittel- und langfristig eine gute Nachricht. Kurzfristig würden solche Maßnahmen erhebliche Verwerfungen an den Kapitalmärkten nach sich ziehen, wie die Entwicklungen in China zeigen. Dort belasten natürlich auch Corona, die Lieferschwierigkeiten und die Rohstoffpreise die Kapitalmärkte. Der größte Druck resultiert jedoch aus den Beschränkungen, die die chinesische Regierung dem Finanzsektor auferlegt hat. Die massiven Schwierigkeiten, die u. a. der Immobilienkonzern Evergrande weiterhin hat, sind kein „Zufallsprodukt“. Vielmehr zeigt sich hier die Bereinigung einer Immobilienblase, deren Ausmaß nicht abzuschätzen ist. Derzeit scheinen sich die Risiken im Bereich um 500 bis 800 Mrd. Euro zu bewegen. Allerdings werden inzwischen so viele Informationen in allen Bereichen aus China zurückgehalten oder nur eingeschränkt öffentlich gemacht. Dies könnte für ein Risiko ähnlich wie bei dem Platzen der US-Immobilienblase sprechen. Die Schockwellen kommen – möglicherweise nur derzeit – nicht an den Kapitalmärkten an, weil der chinesische Immobiliensektor viel stärker aus China heraus refinanziert ist und Chinas Staatsfinanzen deutlich robuster sind als in den USA im Jahr 2008/ 2009. Werden aber nennenswerte Volumina dieser staatlichen Finanzstärke nun aufgezehrt, fehlt das Geld an anderen Stellen. So könnten in den kommenden Jahren massive Verwerfungen drohen, die derzeit eher unter der Oberfläche versteckt sind. Zusammen mit den Problemen in Folge der Corona-Pandemie, der global explodierten Verschuldung und dem weltweit extrem niedrigen Zinsniveau braut sich der „perfekte Sturm“ zusammen, der nur verhindert werden kann, wenn die Verschuldung weltweit sinkt. Für ein solches Szenario spricht derzeit nichts. Vielmehr scheint man sich auf ein Szenario zu verständigen, in dem man einen Teil der Verschuldung durch die Geldentwertung „weginflationiert“.

 

Diese Strategie klingt auf den ersten Blick verlockend. Zwei Jahre mit einer Inflation von 5% und ohne Zinsen würde die Verschuldung der Staatshaushalte in einer Kaufkraftbetrachtung um 10% reduzieren. Wächst die Wirtschaft dann oberhalb der jeweiligen Inflationsrate, ist der Hebel in der Relation zum Brutto-Inlandsprodukt noch besser. Allerdings werden die gravierenden Nachteile übersehen: Inflation ist ohne entsprechende Lohn- und Rentensteigerungen immer unsozial, auch weil die angeblichen Substanzwerte wie Immobilien, Aktien und Edelmetalle die Inflation ausgleichen sollen. Dies gelingt aber nur durch Preis- und Kurssteigerungen, die gerechtfertigt sind, wenn die Rendite der Anlagen parallel steigt. Bei einem unterhalb der Inflation liegenden Wirtschaftswachstum gelingt dies den Unternehmen nicht. Dann sind Kurssteigerungen bei Aktien nicht gerechtfertigt.

 

Ähnliches gilt, wenn Immobilienbesitzer keine Mieterhöhungen durchsetzen können. Dann sind Aktien und Immobilien – auch aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit zu einem bestimmten Preis oder Zeitpunkt – nicht besser als Anleihen. Vielmehr steigen dann die Ausfallrisiken bei Unternehmen. Deswegen ist es in dieser Phase so wichtig, fundamentale Fakten wie Verschuldung, Geschäftsmodell und Zukunftsfähigkeit im Blick zu behalten. In diesem Anlagejahr spielten solche Aspekte keine Rolle. Besonders erfolgreich waren die Unternehmen, die eine hohe Verschuldung aufweisen, aber Zugang zu günstigen Finanzierungskonditionen haben. Wie wenig Substanz derzeit gefragt ist, offenbart wieder der Blick nach China. Dort wächst der Amazon-Wettbewerber Alibaba weiter dynamisch, aber etwas schwächer als erwartet. Trotz des am Ende der vor uns liegenden Handelswoche beginnenden Weihnachtsgeschäft mit dem auch in China wichtigen „Black Friday“ büßte die Aktie 10% an Wert ein.

 

1,5%. Der „Black Friday“ ist insbesondere in den USA der wichtigste Tag für den Einzelhandel. Nach Thanksgiving am kommenden Donnerstag wird der Freitag genutzt, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Dies ist der Tag, an dem viele Unternehmen aus dem Handelssektor erstmals auf Jahressicht Gewinne ausweisen können. Durch den boomenden Online-Handel hat der Tag an Bedeutung verloren. Er läutet aber auch immer eine ruhige Marktphase an den Kapitalmärkten – insbesondere bei Anleihen – ein. Viele institutionelle Investoren schließen ihre Bücher. Dies bringt selektiv Marktchancen insbesondere bei Unternehmens- und Währungsanleihen. Da der Euro bislang ein schwaches Jahr 2021 erlebt hat, ist durch die nachlassenden Umsätze die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich der Trend weiter fortsetzt. Allerdings ist weiteres Potenzial z. B. beim US-Dollar eher gering.

 

Unter der Stärke der US-Währung litten auch die Edelmetalle. Währungsbereinigt konnte auf Wochensicht nur Gold einen leichten Zugewinn verzeichnen. Insbesondere Platin verlor mit einem Minus von 5% relativ deutlich. Übertroffen wurde dies vom Ölpreis, der um 6% nachgab und in der Spitze fast 10% verlor, weil international immer mehr Staaten über die Freigabe ihrer strategischen Energiereserven nachdenken. Damit soll der Preisanstieg gedämpft werden. Vor allem soll aber Druck auf die Energierohstoffproduzenten erzeugt werden, die Fördermengen zu erhöhen. Ob dies gelingen wird, bleibt abzuwarten. Insbesondere Russland könnte hier als „Bremsklotz“ agieren, da aus formalen Gründen die neue Gaspipeline Nordstream 2 noch nicht in Betrieb genommen worden ist. Es könnte Liefer-ausweitungen schwieriger machen und die Preise hoch halten.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.