Corona-Impfstoff – Wunsch und Wirklichkeit
Marktupdate 46/2020
Markus Schön, Dienstag 17. November 2020
Der Auftakt der hinter uns liegenden Handelswoche fiel sehr positiv aus. Mit dem – offiziell immer noch nicht bestätigten – Wahlsieg Joe Bidens und der Nachricht über einen Impfstoff gab es zwei Nachrichten, die schon fast für Euphorie sorgten. Wieder einmal verteilten viele Marktteilnehmer „Vorschusslorbeeren“; es kann weder von einer geordneten Regierungsübergabe in den USA noch von einem wirklichen Durchbruch im Kampf gegen Corona gesprochen werden. Bislang liegt auch hier nur eine Pressemitteilung der beiden an der Entwicklung beteiligten Unternehmen vor, die etliche Fragen unbeantwortet lässt. Erst mit einer Genehmigung einer Arzneimittelbehörde wird klarer sein, unter welchen Voraussetzungen welche Wirksamkeit für welche Personengruppen wie lange gegeben ist. Hier stehen offizielle Daten aus, völlig unbeachtet blieb die Unterbrechung einer weiteren Impfstoffstudie, bei der schwere Komplikationen aufgetreten waren. Gleichzeitig steigen die Neuinfektionen in vielen Ländern ungebremst. In der FAZ und dem Manager Magazin wurden wir hinsichtlich des US-Wahlausgangs u. a. mit unserer Befürchtung zitiert, dass es in den USA täglich bis zu 250.000 Neuinfektionen geben könnte. Aber auch in Europa sind die Entwicklungen erschreckend.
In Italien werden wieder Negativrekorde erreicht, während sich die Stimmung in der Bevölkerung immer stärker gegen die Einschränkungen richtet. Dies wird ebenfalls eine große Herausforderung in Österreich sein, das zu Beschränkungen wie im März 2020 zurückkehren wird. Nachdem dies bekannt wurde, dauerte es nicht lange, bis der CSU-Chef und bayrische Regierungschef Markus Söder auch Verschärfungen in Deutschland forderte. Es wäre leichter, wenn er festhalten würde, dass zu Corona-Beschränkungen der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz stets auch für Bayern sprechen darf. Dabei ist die Lage auch in Deutschland viel zu ernst, um in Aktionismus und Alarmismus zu verfallen. Die bisherigen Maßnahmen haben bestenfalls zu einer Verlangsamung der Neuinfektionen in Deutschland beigetragen. Das Ziel, eine deutlich sinkende Zahl zu erreichen, wurde bislang nicht erreicht. Deswegen ist bei dem morgigen virtuellen Treffen der Regierungschefs der Länder und des Bundes vermutlich mit einer kurzfristigen Vertagung weiterer Entscheidungen zu rechnen. Diese deuten aber nicht auf Entspannung, sondern dürften eher auf eine weitere Verschärfung abzielen. Dabei sind schon jetzt die meisten Politiker mit der Situation überfordert. SPD und Linke träumen wohl offensichtlich von einer neuen Form des Staatskapitalismus. So gibt es Vorschläge, Krankenhäuser zu verstaatlichen oder – wie es formuliert wird – zu entprivatisieren. Ein viel wirksamerer Schritt wäre doch erst einmal, den Versicherungsschutz für Kliniken staatlich zu organisieren, um so erhebliche Kostenreduktionen zu ermöglichen. Aber auch Peter Altmaier schafft es nicht, die den von den Schließungen betroffenen Branchen zugesagten Hilfen zügig auszuzahlen. Jetzt sind Abschlagszahlungen geplant. Gleichzeitig dreht sich aber die Welt weiter und unter der Führung Chinas ist im pazifischen Raum gerade die größte Freihandelszone der Welt entstanden. Zu den Teilnehmern gehören neben China auch bislang sehr westlich eingestellte Staaten wie Japan, Südkorea und Australien. Anders als die USA – schon vor Trump – und teilweise die EU versucht China nicht, die anderen Staaten zu dominieren, sondern lässt Partnerschaften zu. Dies ist natürlich auch leichter, weil man sich in dieser Freihandelszone auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeignet hatte und vielfach keine Standards vereinbart wurden. Dies ist der Nachteil, wenn man wie die USA oder EU nicht mitverhandeln kann.
Nicht eingeladen zu sein, wäre dem noch amtierenden US-Präsidenten vermutlich auch im Falle einer zweiten Amtszeit egal gewesen. Seine Zentrierung die USA ist ein Fehler und die EU kann sich eine Konzentration auf sich selbst überhaupt nicht erlauben. Schließlich ist Asien die weiterhin am stärksten wachsende Weltregion. Weniger egal wäre Donald Trump sicherlich für eine zweite Amtszeit die Zinsentwicklung in den USA gewesen. Dort nährte sich die 10-Jahres-Rendite im Verlauf der letzten Tage wieder der Marke von 1% p. a. an. Dieser Anstieg hätte schnell auch die Aktienmarktgewinne beenden können. Schließlich sind die niedrigen Zinsen der Brennstoff für das Strohfeuer an den Aktienmärkten. Dies hat sich dann wieder etwas relativiert, beschäftigte Donald Trump aber auch nicht. Seine Arbeitsverweigerung ist schlecht für die US-Wirtschaft, die dringend auf Konjunkturhilfen angewiesen ist. Viel schlimmer ist jedoch seine Tatenlosigkeit in der Bekämpfung der Corona-Pandemie, die in den USA nun auch völlig außer Kontrolle geraten könnte. Dann bleibt dort auch keine Alternative als ein vollständiger Lockdown.
Derzeit wird dieses Risiko an den Kapitalmärkten nicht eingepreist. Es ist so unvorstellbar, auch weil es so sehr dem Selbstverständnis großer Teile der US-Bevölkerung widerspricht. Damit wäre auch unklar, wie stark deutliche Beschränkungen außerhalb von US-Metropolen akzeptiert würden. Nun die Phase bis zur Genehmigung eines Impfstoffes einfach „überbrücken“ zu wollen, wird nach unserer Einschätzung nicht funktionieren. Die Euphorie an den Märkten zu BioNtech verflog an den Börsen etwas, was unsere Einschätzung zu untermauern scheint, dass zu wenig unabhängige Daten über den Corona-Impfstoff vorliegen und die Lagerung bei -70 Grad zum Problem werden wird.
Mit der Hoffnung auf einen Impfstoff und einer dann ggf. eintretenden Normalisierung stieg die Risikoneigung global wieder. Davon profitierten nahezu alle Währungen im Vergleich zum Euro. Zusätzlichen Schub verliehen die Erwartungen auf einen Wirtschaftsboom den Währungen, deren Volkswirtschaften von einer steigenden Nachfrage nach Rohstoffen besonders profitieren. Dies galt vor allem für den Mexikanischen Peso und den Russischen Rubel, die jeweils ca. 1% steigen konnten. Australischer und Neuseeländischer Dollar haben jeweils ungefähr 0,5% im Vergleich zur Vorwoche hinzugewonnen. Die Stärke der russischen Währungen ist mit Blick auf die politischen Entwicklungen überraschend. Schließlich hatte Russland sozusagen Gegen-Sanktionen gegenüber Deutschland verhängt. Mit Blick auf die wirtschaftliche Kraft, die Verschuldung und die Zinssituation ist die Russische Währung deutlich unterbewertet. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Abwertung des Euros insgesamt, aber auch gegenüber dem US-Dollar in den nächsten Wochen nicht unwahrscheinlich. Schließlich überlegt die EZB, wie sie die Geldpolitik noch weiter lockern kann und wie sie mit dem Inflationsziel umgehen will. Derzeit kämpft sie gegen die Deflation.
Schließlich sind auch im Oktober 2020 die Preise auf Jahressicht um 0,3% in der Eurozone gefallen, während der Rückgang in Deutschland mit 0,2% etwas niedriger war. Von der Rohstoffseite kommt wenig Entlastung, da vor allem die Energierohstoffe nach starken Schwankungen nun seit Monaten eine Seitwärtsbewegung aufweisen. Lediglich Industriemetalle steigen teilweise deutlich. Der Einfluss auf die Inflation bleibt aber überschaubar, zumal diese auch in China deutlich zurückgeht und auf den tiefsten Stand seit der Finanzkrise 2009 gefallen ist. Eine Inflationsrate von 0,5% in einer so großen und wieder wachsenden Volkswirtschaft ist wie eine Deflation und ein schlechtes Signal für die Zukunft. Ähnlich wie unmittelbar nach der Finanzkrise könnte China Preisrückgänge exportieren.
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