Nicht nur Übernahmen sind spannend

Marktupdate 45/2022

Markus Schön, Mittwoch 09. November 2022

Manchmal bewegt auch einfach die Hoffnung die Kapitalmärkte. Insbesondere am Freitag war es die Hoffnung bei deutschen Aktien, in China würde man von der Null-Covid-Politik abrücken. Dies sorgte für einen steilen Anstieg bei Aktien und teilweise Nachranganleihen, obwohl die US-Märkten einen enttäuschenden Wochenverlauf hinter sich hatten. Insbesondere die US-Technologiebörse Nasdaq kämpft weiterhin mit dem Jahrestief 2022. Der Index ist nach einem Wochenminus von knapp 6% mit nun wieder 33% seit Jahresanfang 2022 im Minus. Von den 100 wichtigsten US-Technologiewerten haben viele Werte noch deutlich mehr verloren. Bis zu 60% Verlust sind keine Seltenheit, während die Gewinnerliste in diesem Jahr sehr überschaubar ist. Die großen Technologiewerte zählen nicht dazu. Deswegen ist es fraglich, ob der Artikel des sehr renommierte Wirtschaftsmagazin https://www.capital.de/wirtschaft-politik/ein-inverstor-will-galeria-zum-deutschen-amazon-machen-32879454.html positiv zu sehen ist. Mit der Erfolgsgeschichte Amazons verglichen zu werden, ist natürlich schmeichelhaft, aber unser Fokus ist und bleibt die konservative Vermögensverwaltung. Je breiter die Expertise ist, desto erfolgreicher sind wir für unsere Kunden tätig. Deswegen bleibt unser unabhängiges Research so wichtig. Schließlich waren nicht nur die Überlegungen in China, die Corona-Restriktionen zu lockern, ein wichtiges Thema, sondern auch die Wahlen in den USA am kommenden Dienstag dürften große Bedeutung für die Kapitalmärkte haben. Der aus unserer Sicht wahrscheinliche Verlust der Mehrheiten der Demokraten im US-Senat und US-Kongress wird die USA nicht nur lähmen und die politische Spaltung vorantreiben, sondern auch außenpolitisch eher wieder eine Rückkehr zu den „Trump-Zeiten“ einleiten und die „America first“-Politik wiederbeleben.

Dann wird die US-Notenbank noch tiefer in ein Dilemma stürzen, da die in der vergangenen Woche erfolgte Fortsetzung der aggressiven Zinspolitik die wirtschaftliche Entwicklung der USA noch weiter bremsen wird. Eine Rezession scheint unabwendbar, auch wenn Jerome Powell die Märkte auf weniger starke Zinsschritte einzustimmen versuchte. Allerdings deutete der US-Notenbankpräsident ein höheres Zinsniveau als bislang erwartet an. Damit sorgte er für deutliche Verluste in nahezu allen Anlageklassen. Im Moment bestimmen nicht wirtschaftliche Fakten, sondern geldpolitische Angst die Entwicklung an den Kapitalmärkten. Allerdings deutet viel auf eine „Bodenbildung“ – selbst bei vielen Technologiewerten. Schließlich sind bei Amazon, Meta oder Microsoft Bewertungsniveaus erreicht, die die Aktien attraktiv machen. Noch stärker gilt dies im Anleihesegment. Dort haben erstklassige Zinspapiere – neben der nun wieder attraktiven Rendite – allein in den letzten Wochen bis zu 10% hinzugewonnen. Möglicherweise beschleunigt sich die Beruhigung, nachdem die USA nun die Ukraine aufgefordert haben, Verhandlungs-bereitschaft gegenüber Russland zu signalisieren, weil immer mehr Staaten offenkundig „kriegsmüde“ erscheinen. Politisch ist dies sehr brisant, zeigt aber, welche Bedeutung Russland gerade im Rohstoffbereich – übrigens weit über den Energiesektor – hat. Ohne russische Exporte bleiben viele Waren so teuer wie aktuell. Damit steigt die Inflation nicht weiter, aber Lebensmittel werden für viele Staaten des globalen Südens unbezahlbar. Diese Angst setzt der russische Präsident Wladimir Putin leider sehr effektiv ein. Mit dem Aus- und Einstieg beim Getreideabkommen sorgte er für deutliche Preisschwankungen, die natürlich auch für neue Spekulationen sorgen. Deswegen sind Lebensmittelspekulationen ethisch verwerflich und werden von seriösen Vermögensverwaltungsgesellschaften wie uns nicht angeboten oder durchgeführt. So werden Trends verschärft, die dann für Staaten, die unbedingt Grundnahrungsmittel zur Vermeidung von Hungerkatastrophen kaufen müssen, diese Produkte unbezahlbar machen. Aber insgesamt scheint es immer mehr eine Zeit der Extreme zu werden. So hat der Tesla-Gründer Elon Musk nun doch den Kurznachrichtendienst Twitter übernommen, wundert sich über die hohe Verschuldung des bislang völlig unrentablen Unternehmens und will nahezu alle Meinungsäußerungen wieder zulassen. Entsprechend dürfte es nicht lange dauern, bis der ehemalige US-Präsident Donald Trump wieder „twittert“. Wenn die von ihm unterstützten US-Republikaner große Erfolge bei den jetzt anstehenden Zwischenwahlen feiern, wird er möglicherweise über diesen Weg seine Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl 2024 ankündigen. Für die Finanzmärkte wäre es keine gute Nachricht, weil dann nicht nur immer stärker ein Wettstreit zwischen autoritären und demokratischen Systemen entstehen würde, sondern auch wieder ein stärkerer Fokus auf nationale Wirtschaftspolitik erfolgte, der dann die Globalisierung zusätzlich belasten würde.

Durch Corona, die weiterhin gestörten Lieferketten und die Preisschwankungen sowie eingeschränkt verfügbare Vorprodukte zeigen sich Grenzen bei globalen Warenströmen. Wenn dann noch nationale Interessen in der Breite in den Fokus rücken, dürfte eine dynamisch wachsende Weltwirtschaft der Vergangenheit angehören. Deswegen war es so wichtig, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Kurzreise nach China das Interesse an einer Partnerschaft betonte. Aus europäischer Sicht hätte es jedoch kaum schlechter sein können: Eine gemeinsame Reise mit dem französischen Präsidenten erfolgte nicht. Es schien auch nicht so zu sein, als habe man sich zielgerichtet abgestimmt. Dabei sind Deutschland und Frankreich im Vergleich jeweils zu klein, um globale (Wirtschafts-)Politik gestalten zu können.

Es wäre jetzt umso wichtiger, einen gemeinsamen Weg zu finden und zu gehen. Schließlich ist die aktuelle wirtschaftliche Lage möglicherweise nicht das Problem, sondern die vor uns liegenden Wochen und Monate. Noch ist die Lage wesentlich besser als die Erwartung, aber eine Gewissheit ist dies nicht. So schwanken die US-Indices so stark wie zuletzt 2008. Davor war die Schwankung nur 1933 größer. Die Krisen kommen nicht nur schneller; sie sind auch ausgeprägter. Dies führt zu Irrationalitäten, die die Nervosität an den Kapitalmärkten weiter erhöhen. Nun könnte aber die Phase beginnen, in der eine Normalisierung einsetzen könnte. Es haben nicht nur viele Aktien stark an Wert verloren, sondern immer mehr Unternehmensberichte für das 3. Quartal 2022 lagen mindestens im Rahmen der Erwartungen. Wenn sich nun die politischen und geldpolitischen Rahmenbedingungen stabilisieren, ist mit einer positiven Marktentwicklung zu rechnen, die sich in Deutschland – anders als bei US-Werten – aktuell zeigt.

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo-Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom US-Arbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des US-Notenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. Natürlich profitiert Deutschland auch vom niedrigen Eurokurs, der Exporte verbilligt, Rohstoffe allerdings zusätzlich verteuert. Dennoch ist das aktuelle Niveau im gesamten Währungssegment nicht falsch; schließlich sind die konjunkturellen Daten nicht überzeugend. Umgekehrt sind sie aber eben nicht so schwach, dass sie die niedrigen Kurse an den Aktienmärkten und bei vielen Anleihen rechtfertigen. Gegenüber den rohstoffnahen Währungen – insbesondere Australischer Dollar und Mexikanischer Peso – wird die europäische Gemeinschaftswährung nach unserer Einschätzung unter Druck bleiben. Gegenüber dem US-Dollar müsste jedoch größeres Aufwärtspotenzial bestehen, was sich am vergangenen Freitag andeutete. Trotz der weiterhin aggressiven Zinspolitik der US- Notenbank hatte die US-amerikanische Währung die schlechtesten Wertentwicklung seit mehr als 2 ½ Jahren.

Völlig anders sah es bei den Rohstoffen aus. Durch die sich wohl nicht so umfänglich bestätigende Lockerungen der Corona-Politik in China konnten vor allem industriell benötigte Rohstoffe deutlich hinzugewinnen. Dazu zählten auch Silber und Platin, die bis zu 8% angestiegen sind. So konnte das von uns favorisierte Silber an einem Handelstag den Jahresverlust 2022 halbieren. Es liegt nun nahezu auf dem Niveau von Gold, das mit rund 2% weit weniger stark hinzugewinnen konnte. Die Energierohstoffpreise steigen wieder, weil die Lagerbestände in den USA gesunken sind, aber vor allem eine Lockerung in China zu mehr wirtschaftlicher Dynamik führen würde. Zumindest dort muss man Rückgängen einplanen.

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.