Wann ist ein Sieg ein Sieg?

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Marktupdate 45/2020

Markus Schön, Dienstag 10. November 2020

 

Die letzten (Handels-)Tage bestätigten uns in der Einschätzung, dass an den Kapitalmärkten vielfach wie auf einer Bühne agiert wird. Alle schauen auf die Ereignisse im Scheinwerferlicht; alles andere wird nicht wahrgenommen. Deswegen beherrschte die US-Wahl die Wahrnehmung, während in verschiedenen europäischen Staaten und den USA selbst die Corona-Neuinfektionen täglich neue Negativrekorde erreichten. Deswegen verschärfen einige Starten die getroffenen Maßnahmen weiter, was vielfach die jeweilige Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen wird. In Deutschland wird sich der „Lockdown light“ mit 19 Mrd. Euro bemerkbar machen, die aber hälftig vom Staat ausgeglichen werden sollen. Vordergründig wird damit die Wirtschaft um 0,3% belastet; auf das Wachstum schlägt es natürlich stärker durch und die mittelbaren Folgen sind nicht berücksichtigt. Aber in Italien sind die Auswirkungen gravierender. Das neue Hilfspaket wird die ohnehin schon immense Staatsverschuldung dort weiter erhöhen und die Wirtschaft leidet wieder unter den aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dennoch sind in den letzten Tagen die Aktienmärkte deutlich gestiegen. Genährt werden sie von der Hoffnung eines Wahlsiegs bei den US-Präsidentschaftswahlen von Joe Biden.

 

Zwar sieht es derzeit danach aus, aber es liegt noch kein offizielles Ergebnis vor, in drei besonders umkämpften Staaten sind beide Kandidaten lediglich zwischen 10.000 und 20.000 Stimmen auseinander. Derzeit sieht es zudem nicht danach aus, dass Donald Trump eine Wahlniederlage einräumen wird. Deswegen ist die positive Reaktion an den Kapitalmärkten überraschend. Eigentlich ist es eine denkbar schlechte Situation: Solange Trump an seinem Glauben, doch noch siegen zu können, festhält, wird es keine Kooperation mit Joe Biden geben. Dies wiederum führt dazu, dass mindestens einen Monat ein neues Hilfsprogramm in den USA nicht verabschiedet werden wird. Zudem dürften die ohnehin schon schwachen Bemühungen der Trump-Regierung, das Corona-Virus einzudämmen, völlig zum Erliegen kommen. Dann werden die Neuinfektionen dramatisch ansteigen und bis zu einer möglichen Amtseinführung von Joe Biden wird der tägliche Zuwachs an Neuinfektionen in den USA vermutlich über der Marke von 250.000 liegen. Dann wird der neue US-Präsident Joe Biden ähnliche Maßnahmen wie in Europa ergreifen, was die US-Wirtschaft zusätzlich belasten wird. Entsprechend schwierig dürfte das Jahr 2021 wirtschaftlich global und gesellschaftlich insbesondere in den USA beginnen. Daher war das – ebenfalls öffentlich kaum wahrgenommene – Signal der US-Notenbank am letzten Donnerstag wesentlich, ggf. die ohnehin schon sehr expansive Geldpolitik weiter zu lockern. Am Ende stellt sich allerdings die Frage, wie dies dauerhaft bezahlt werden soll. Während Staaten wie Spanien, Italien und möglicherweise Frankreich auf eine „Europäisierung“ der Staatsschulden hoffen können, müssen die USA eine eigene Lösung finden. Hier hat die Entwicklung des US-Dollar einen Fingerzeig auf die Erwartungshaltung gegeben. Wenn die US-Währung fällt, sinkt zumindest der Außenwert der Verschuldung. Aber auch hier denken viele Kapitalmarktakteure zu schlicht: Größter Gläubiger der USA sind nicht mehr China oder Japan; es ist die eigene Notenbank, so dass eine „Entschuldung“ über einen niedrigen Währungskurs nicht möglich ist. Gleichzeitig befinden sich nahezu alle Währungsräume global in einem Abwertungswettkampf, so dass eine schwache US-Währung kaum das Mittel ist, die Verschuldung wirksam zu bekämpfen. Man wird also auch andere Instrumente nutzen müssen und Europa sollte nicht glauben, dass mit Joe Biden alles wieder gut werden wird.

 

Dafür ist der Druck, der auf den USA lastet, zu groß. Umso wichtiger ist eine einheitliche Linie in Europa, die aber immer mehr in Frage steht. So fordert der französische Präsident Emmanuel Macron mehr Grenzkontrollen, um Terroranschläge wie zuletzt in Wien verhindern zu können. Sozusagen im Schatten der Corona-Krise wird Europa wieder einzelstaatlicher und droht damit, wirtschaftlich im Wettbewerb mit den USA und China zurückzufallen. Auch hier wird gilt derzeit die EZB als Retter in der Not. Hier wird erwartet, dass immer neue Hilfsprogramme aufgelegt werden. Anders ist es – gerade mit Blick auf die immer stärker steigende Verschuldung – nicht zu erklären, weshalb die Rendite italienischer Staatsanleihen ein neues Allzeittief erreicht hat. Risiko scheint keine Rolle zu spielen, weil es im Zweifelsfall neue Kaufprogramme der Notenbanken gibt. Von dieser Haltung profitieren auch Unternehmensanleihen teilweise deutlich, zumal das Volumen bei Neuemissionen deutlich zurückgeht und in den nächsten Wochen das gehandelte Volumen geringer werden dürfte.

 

Während dies bei Anleihen neue Marktchancen eröffnen wird, sind die Aktienmärkte in der Breite schon sehr hoch bewertet, zumal die Quartalsberichte der Unternehmen teilweise enttäuschten. Während man von der Deutsche Lufthansa kaum etwas Positives erwarten konnte – die Kosten sind nach wie vor zu hoch und auf den Ernst der Lage reagiert das Management zu zögerlich –, waren die Zahlen des Chemiekonzerns Bayer eine negative Überraschung. Statt die „Glyphosat-Krise“ hinter sich zu lassen, bleiben die Belastungen sehr hoch. In dieser unsicheren Gesamtsituation sind die Herausforderungen für den Konzern groß, aber Deutschland benötigt solche Konzerne, um dauerhaft international wettbewerbsfähig zu bleiben.

 

Ohne eine starke industrielle Basis wird Deutschland die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können. Ohne ein zukunftsfähiges Deutschland wird es für Europa insgesamt ganz schwierig, zumal sich die Währungsräume um die Eurozone herum bemühen, ihre jeweiligen Währungen zu schwächen. Dies ist in der hinter uns liegenden Handelswoche lediglich den USA gelungen, da der US-Dollar im Verhältnis zum Euro fast 2% an Wert eingebüßt hat. Sonst hat die europäische Gemeinschaftswährung verloren und beispielsweise gegenüber der Norwegischen Krone fast 2,5% nachgegeben. Dazu trug die freundliche Entwicklung der Rohstoffpreise bei, die wiederum auf die starke Entwicklung Chinas zurückging.

 

Wirtschaftlich hat China mit dem größten Anstieg der Wachstumserwartungen seit fast zehn Jahren die Corona-Krise hinter sich gelassen. Die Zahlen zu den dortigen Neuinfektionen sind jedoch weiterhin mehr als fragwürdig, aber die Nachfrage nach Rohstoffen spricht eine eindeutige Sprache: China will die weltweit führende Wirtschaftsmacht werden. An den Kapitalmärkten herrscht kaum Zweifel, dass dies gelingen wird. Deswegen sind die Preise für industriell benötigte Rohstoffe nahezu explodiert. Das von uns favorisierte Silber konnte über 8% hinzugewinnen, aber auch Platin hatte mit 6% eine starke Entwicklung und hat deutlich stärker als Gold hinzugewonnen, das sich lediglich um knapp 4% verteuerte. Der Kupferpreis liegt nur noch 2% unter seinem Jahreshoch 2020 und zeigt, wie groß die industrielle Nachfrage insbesondere in China ist. Selbst der „Ausverkauf“ beim Öl wurde nicht nur gestoppt; vielmehr fiel der Preisanstieg mit fast 5% innerhalb der hinter uns liegenden Handelswoche sehr spürbar aus. Neben der guten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas spielt natürlich auch hier die US-Wahl eine Rolle; die Risiken der politischen Entwicklungen dort werden aber ebenso ausgeblendet wie die in den USA und Europa stark steigenden Corona-Zahlen.

 

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