Corona, Tesla, Lieferengpässe - Börsen in einer eigenen Welt

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Marktupdate 44/2021

Markus Schön, Dienstag 09. November 2021

 

Unmittelbar vor der Herbstpause Ihres Schön & Co Marktupdate waren das 3. Quartal und die ersten Oktoberwochen 2021 zu Ende gegangen. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte der DAX mit der Marke von 15.000 Punkten und die Rendite zehn Jahre laufender Staatsanleihen aus Deutschland schien in den positiven Bereich zu steigen. Nun ist alles anders, was wirklich verblüffend ist. Schließlich sind die Nachrichten auf konjunktureller Ebene eher ernüchternd, während die laufende Berichtssaison für das 3. Quartal 2021 bei vielen Unternehmen sehr erfreulich verläuft. Aber nicht diese Nachrichten sorgen in der Breite für steigende Kurse; es sind wieder einmal die Notenbanken. Zwar hat die US-Notenbank den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik erklärt. Er fällt aber so moderat aus, dass man an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens zweifeln kann. Die monatlichen Anleihekäufe in den USA werden von derzeit 120 Mrd. US-Dollar auf 105 Mrd. US-Dollar reduziert. Diese Rücknahme um rund 10% ist deutlich unter den aktuellen Markterwartungen. Als dann noch die Bank of England auf die erwartete Zinserhöhung verzichtete, setzte eine Anleihenrallye ein, die immer noch anhält. Das für Zinspapiere historisch schlechteste Jahr gleicht dies auch nicht aus. Es zeigt aber, dass mit Anleihen weiterhin Geld zu verdienen ist. Strategisch noch wesentlicher ist jedoch die Erkenntnis, wie stark die Aktienmärkte auf billiges Geld angewiesen sind. Wir erleben 2021 keine Aktienrallye des Unternehmenserfolgs, sondern eine Rallye billigen Geldes. Nimmt man dies den Marktteilnehmern weg, wird es sehr schnell zu einem Aktiencrash ungeahnten Ausmaßes kommen. Dies wird man mindestens solange mit allen Mitteln zu vermeiden versuchen, bis die Folgen der Corona-Pandemie mindestens unmittelbar nicht mehr spürbar sind.

 

Zu dem Folgen der Corona-Pandemie zählen auch weiterhin mindestens gestörte Lieferketten und der Mangel an Datenchips, der konkrete wirtschaftliche Auswirkungen hat. Es werden weniger Fahrzeuge produziert, der Automobilabsatz bricht ein und gerade im produzierenden Gewerbe sinkt die Beschäftigungsquote. Dies alles wird – ebenso wie die Situation in China – nicht ohne Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung bleiben. Anders als in Asien kommt dies an den Aktienmärkten aber bislang nicht an. Teilweise haben dort die Indices allein im 2. Halbjahr 2021 mehr als 15% an Wert eingebüßt. Dort werden die Folgen der Regulierung in China, die Sorgen um den chinesischen Immobiliensektor und den weiterhin bestehenden Einfluss der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft viel stärker wahrgenommen. In den westlichen Industrienationen gewinnt man immer mehr den Eindruck, als sei die Entwicklung an den Kapitalmärkten ein Spiel ohne Folgen. Anders ist nicht zu erklären, wenn der Tesla-Gründer Elon Musk eine Twitter-Umfrage startet, ob er 10% seiner Tesla-Aktien verkaufen solle. Bei einem „Autohersteller“, der 500.000 Fahrzeuge weltweit verkauft und Verluste nur durch den Verkauf von Emissionsrechten verhindert, aber dennoch mit 300 Mrd. US-Dollar bewertet wird, muss man die Frage eigentlich nicht stellen. Wer das Glück hatte, eine unwirtschaftliche und ökologisch höchst fragwürdige Technologie in die Köpfe der Medien und der Politik zu bekommen, sollte dies als „Geschenk des Himmels“ betrachten, die Gewinne aus der Illusion realisieren und damit vielleicht etwas Anständiges machen. Ohne die Subventionen gäbe es Tesla schon lange nicht mehr und die Natur in großen Abbaugebieten für Batterierohstoffe wie beispielsweise Chile wäre unberührt. Dieser „Spiel-Kapitalismus“, für den Elon Musk sicherlich der „Prototyp“ ist, wird die nächste große Gefahr an für die internationalen Kapitalmärkte. Es wird nicht funktionieren, dass immer mehr Menschen immer größere Risiken eingehen, um immer geringer werdende Renditen zu erzielen. Der Maßstab ist nicht der „risikolose“ Zins, sondern die Substanz. Wer in einem Niedrigzinsumfeld Milliardensummen verliert, wird nicht zu einem Gewinner, wenn die Zinsen steigen. Für viele – gerade US-Technologieunternehmen – ist ein solches Szenario völlig ausgeschlossen. Steigende Zinsen bedeuten nicht nur höhere Refinanzierungskosten; viel entscheidender ist, dass ein Wettbewerb um das dann knapper werdende Kapital einsetzen wird. Wenn die US-Notenbank ihr Anleihekaufprogramm reduziert, fließen derzeit umgerechnet dennoch monatlich fast 100 Mrd. Euro zusätzlich in die Kapitalmärkte. Mit den weiteren Anleihekaufprogrammen anderer Notenbanken, Staatsfonds und ähnlicher Institutionen sind dies jährlich ca. 3 Billionen, was 1% der globalen Verschuldung entspricht. Addiert man alle Rettungsmaßnahme seit dem Jahr 2008 auf, dürfte die direkte Finanzierung der Verschuldung durch öffentliche Institutionen bei 20% der gesamten Verschuldung weltweit liegen. Notenbanken finanzieren Staaten und Unternehmen auf Rekordniveau.

 

Dieser Trend wird sich nicht wirklich verändern. Letztlich verlässt der Präsident Jens Weidmann die Bundesbank auch in dem Wissen, dass der Weg der aktuellen Geldpolitik mit konventionellen Mitteln unumkehrbar ist. Wer 10 Jahre im Rettungsmodus ist, benötigt 15 Jahre, um die zuvor ergriffenen Maßnahmen „abzubauen“. Wer also an steigende Zinsen glaubt, erwartet eher zwei Jahrzehnte keine (größere) Krise. Tatsächlich stellt sich schon jetzt die Frage, wie lange die Unternehmen so robust auf die gestörten Lieferketten und immer neue Einschränkungen im Zuge der Pandemie reagieren. Schließlich ist es keine Krise mehr in hochentwickelten Staaten, sondern es ist eine Gefahr, die sich in Staaten wie Russland oder China sowie in Regionen wir Südamerika oder dem Balkan zunehmend zeigt.

 

Anders als vielfach suggeriert, ist die Corona-Pandemie nicht vorbei und das „neue Normal“ ist weit weg von der Situation vor der Pandemie. Da dies sozusagen im „Unterbewusstsein der Kapitalmärkte“ wahrgenommen wird, reagierte die Aktie des Pharmakonzerns Roche auf die erfolgreichen Nachrichten zu einem Medikament gegen Corona so positiv. Dies ist eine Chance, dass Corona seinen Schrecken verliert und die – gerade in Deutschland und Österreich aufkommenden – Diskussionen um 2G oder 3G weniger bedeutsam würden. Was früher ein Mobilfunkstandard war, ist nun die Frage nach den Zugangsregeln für Geimpfte, Genesene oder Getestete. Aber so schnell wie sich solche Themen verändern, entwickeln sich auch Aktientrends. Die Aktien der Impfstoffhersteller fielen mit der Nachricht von Roche, da dies ggf. die Impfungen reduzieren könnte. Moderna kam aufgrund von Problemen bei weiteren Zulassungen unter Druck; BioNTech litt unter einem Todesfall in Folge einer Impfung.

 

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo- Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom USArbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des US-Notenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle llars besonders beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona- Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. Die Bedeutung, die Corona in der internationalen Wahrnehmung wieder erlangt hat, lässt die starke Entwicklung des Australischen Dollars etwas fragwürdig erscheinen. Durch die „Insellage“ konnte sich Australien relativ stark abschotten und musste nur geringe Infektionszahlen hinnehmen. Wie alle Staaten, die gut durch Pandemie gekommen sind, kämpft Australien auch mit einer geringen Impfbereitschaft. Dennoch dürfen nun vollständig geimpfte Personen wieder einreisen. Damit erhöht sich das Risiko dort, aber dennoch ist die Entwicklung der Währung gerade in den letzten Tagen sehr stark. Noch besser entwickelte sich – trotz neuerlichem Lock-down – der Russische Rubel. In diesem Jahr hat sich die Währung um fast 10% verteuert. Der Rohstoffhunger der Weltwirtschaft macht dies möglich und zeigt, dass am Ende die wirtschaftliche Entwicklung wichtiger als die Politik ist. Sanktionen beeindrucken die russische Wirtschaft nur sehr eingeschränkt.

 

Umgekehrt stellt sich natürlich die Frage, wie lange sich der Trend steigender Rohstoffpreise – insbesondere im Energiesektor – fortsetzt. Nach dem „Hype“ um Holz, das sich von seinen Höchstständen gedrittelt hat, haben sich auch die Preise für Eisenerz vom Hoch mehr als halbiert, aber auch die Edelmetalle sind weiterhin deutlich im Minus. Dennoch bleibt die Preisentwicklung kurios: Durch die Rückgänge vieler industriell benötigter Rohstoffe sinkt der Druck auf die Inflation. Dies bestätigt auch der moderate Anstieg der US-Lohnkosten. Aber genau in dieser Phase steigen die Edelmetallpreise, die eigentlich ein Schutz vor Geldentwertung darstellen. Deutlicher kann sich der Nachteil der weiterhin weltweit expansiven Geldpolitik nicht zeigen: Rationale Entwicklungen gibt es derzeit nicht.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.