Chinas Griff nach der Weltmacht

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Marktupdate 39/2021

Markus Schön, Dienstag 05. Oktober 2021

 

Ein banger Blick nach Großbritannien ist möglicherweise derzeit nicht völlig verfehlt. Dort hatten in den vergangenen Tagen bis zu 40% der Tankstellen keine Treibstoffe mehr, obwohl die Raffinerien voll und lieferfähig sind. Im Zuge des Brexit sind Großbritannien die ausländischen Lkw-Fahrer ausgegangen. Aber auch über die Treibstoffversorgung hinaus kämpft man dort mit Lieferengpässen, weil entweder die Logistikkette nicht funktioniert oder benötigte Materialien fehlen. Möglicherweise ist dies ein Vorgeschmack auf weltweite Probleme. Immer häufiger hört man Mahnungen, die globalen Logistikströme könnten zum Jahresende 2021 zusammenbrechen, weil einerseits das Personal in diesem Bereich weltweit fehlt, es immer wieder zu Störungen durch regionale Lockdowns kommt, ohne dass sich die weltweiten Warenströme seit der Corona-Pandemie tatsächlich wieder normalisiert hatten, und Rohstoffe und Zwischenerzeugnisse teilweise unglaubliche Preisanstiege verkraften zu haben. Daher ist die Gefahr real, dass es in Regionen mit Unterversorgung bestimmter Waren und Dienstleistungen zu einer Preisexplosion käme, während an den Produktionsstandorten deutliche Überangebote bestünden. Dies wird dann nicht nur die Inflations-prognosen der Notenbanken weltweit durcheinanderwirbeln, sondern auch die wirtschaftlichen Entwicklungen belasten. Zudem sorgt China in diesem Sektor für weitere Risiken. Schon jetzt fehlen weltweit Datenchips, aber China regelt den Energiebedarf hinunter und zwingt so u. a. Halbleiterhersteller zu Produktionsreduzierungen. Zudem verletzten in den vergangenen Tagen chinesische Kampfflugzeuge mehrfach den taiwanesischen Luftraum und setzen implizit ein Fragezeichen an die Produktions- und Lieferfähigkeit des größten Chipherstellregion der Welt.

 

Negativ formuliert macht China somit – ähnlich wie beim Umgang hinsichtlich des Ursprungs der Pandemie – destruktive Wirtschaftspolitik. Allerdings kann sich dieser Ansatz auch als Fehler herausstellen, weil die teilweise spürbare Angebotsverknappung auch von industriellen Fertigprodukten für steigende Unternehmensgewinne sorgen kann. Bestes Beispiel hierfür ist der deutsche Automobilkonzern BMW, der die Marge anheben, weil die Preise im Gebrauchtfahrzeugsektor anziehen und so auch beispielsweise die Erlöse aus zurückkommenden Leasingfahrzeugen verbessern. Es wird nicht lange dauern, bis erste Spekulanten von dem „Sachwert“ Gebrauchtfahrzeug sprechen und damit keine Exoten oder klassische Fahrzeuge meinen. Dies wäre natürlich unsinnig, aber die Frage der Vermögenssubstanz stellt sich gerade in China immer lauter. Der zweitgrößte Immobilienkonzern Evergrande wankt weiterhin, während die Signale der chinesischen Politik zu möglichen Rettungsmaßnahmen unterschiedlich sind. Analog zu unseren Analysen wird es keine staatliche Gesamtrettung geben. Sehr wahrscheinlich werden private Immobilienkäufer regional entschädigt. Dies umfasst auch die Fertigstellung der jeweiligen Immobilien durch Drittfirmen, deren Kosten dann staatlich ausgeglichen werden. Diese mittelbare Unterstützung erfolgt bereits, während Evergrande Vermögenswerte liquidiert. Anders als bei Lehman Brothers im Jahr 2008 versucht die Politik sicherzustellen, dass die Verkaufserlöse möglichst nahe an den jeweiligen Buchwerten liegen. So verteilen sich die Probleme des Immobilienkonzerns möglicherweise auf viele Schultern; gelöst sind sie damit noch lange nicht. Die Finanzkrise 2008 hatte aber auch gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn Marktteilnehmer nicht mehr wissen, wo welche Risiken bestehen. Die Belastungen eines – wie in China relativ – geschlossenen Finanzsystems sind leichter zu beherrschen. In dem System selbst sind die Gefahren eher größer als kleiner. Dies gilt umso mehr, da sich ein neuerlicher Finanzskandal globalen Ausmaßes anbahnt. Nach den Panama Papers aus dem Jahr 2016 sorgt die Veröffentlichung der sogenannten Pandora Papers am heutigen Sonntag um 18 Uhr 30 für Schockwellen. Dort werden Vermögenswerte in Briefkastenfirmen u. a. vom tschechischen und ukrainischen Regierungschef aufgedeckt. Mehr als 300 Politiker weltweit sollen von den Veröffentlichungen betroffen sein. Natürlich wird es auch viele Milliardäre rund um den Erdball treffen und zeigt, wie vergeblich offensichtlich die Bemühungen sind, Geldwäsche und Korruption effektiv zu bekämpfen. Es bleibt aber – auch über das nun erneut in Verruf kommende Panama hinaus – ein Kampf gegen Windmühlen. Dabei wäre es gerade in dieser globalen Situation – Pandemie, Nachhaltigkeit, politische und wirtschaftliche Unsicherheit – wichtig, Transparenz herzustellen. Schließlich können die globalen Herausforderungen nur gemeinsam gemeistert werden. So steigt z. B. der Preis für Kohle mit Grund auf ein Rekordhoch: Der Bedarf ist einfach da.

 

Insbesondere in China werden Energierohstoffe benötigt, weil sich die Wirtschaft trotz den Sorgen um Evergrande weiterhin positiv entwickelt. Für die globalen Klimaziele ist es aber tragisch, dass – ebenso wie derzeit in Deutschland Kohle der wesentliche Energierohstoff ist. Dies nährt natürlich die Sorgen vor einer Energiekrise und lässt die Preise für alle Rohstoffe in diesem Bereich steigen. Dadurch bleibt der Druck auf die kurzfristige Inflation hoch. Erstmals seit 1993 ist die Inflation in Deutschland im September 2021 auf über 4% auf Jahressicht gestiegen. Dadurch kommen auch zunehmend die Kurse erstklassiger Anleihen unter Druck. Für deutsche Staatsanleihen ist 2021 das schlechteste Jahr seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Es ist noch schlimmer, weil in dem derzeitigen Umfeld die bei als sicher eingestuften Anleihen eben keinen Ausgleich durch einen Zinskupon bieten. Deswegen ist unabhängige Expertise und Diversifikation im Anleihebereich besonders wichtig.

 

Während die Anleiheseite ein historisch schlechtes Jahr hinnehmen muss, war der September nahezu für alle Anlageklassen schlecht. Mit Ausnahme der Energierohstoffe gab es fast überall nur negative Wertentwicklungen. Die Aktien- Indices sind entsprechend von ihren deutlichen Zugewinnen teilweise spürbar zurückgekommen. Vor allem bisherige Gewinner mussten deutliche Einbußen hinnehmen. Auch Werte wie Biontech, die als „sicher“ eingestuft wurden, haben vom Höchstkurs teilweise mehr als 40% verloren. Wer dort gekauft hat – Börse lebt davon, dass es zu jedem gehandelten Kurs Käufer und Verkäufer gibt –, benötigt fast eine Kursverdopplung, um das Einstiegsniveau wieder erreicht zu haben. Ein solcher Anstieg ist in dem sehr hoch bewerteten Umfeld mehr als fraglich.

 

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo- Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom USArbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des USNotenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle llars besonders beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona- Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. An Stellen, an denen es Verlierer gibt, lassen sich auch immer Gewinner finden. Hierzu zählt der US-Dollar, der aus unserer Sicht wenig überraschend, ein neues Jahreshoch 2021 erreicht hat. Die Norwegische Krone ist sogar auf dem höchsten Stand seit 1 ½ Jahren und bestätigt damit die starke Entwicklung der Rohstoffwährungen insgesamt. Hier sticht mit einem bisherigen Jahresplus von fast 7% der Russische Rubel hervor. Nicht so stark präsentiert sich aufgrund der Abhängigkeit von der chinesischen Konjunktur und der besonders restriktiven Corona-Politik der Australische Dollar, so dass auch mit einer Schwäche des Neuseeländischen Dollars zu rechnen ist, da dort nach drei Corona-Neuinfektionen wieder ein Lockdown verhängt wird.

 

Auf der Rohstoffseite gab es in der hinter uns liegenden Handelswoche auch eine „Achterbahnfahrt“. Als der DAX zwischenzeitlich 500 Punkte in wenigen Handelsstunden verlor, brachen auch die Preise für die Edelmetalle ein. In so schwachen Marktphasen schützen nur Liquidität und kurzlaufende Anleihen. Durch eine fulminante Kurserholung am vergangenen Donnerstag und Freitag erreichten die Edelmetalle ein leichtes Wochenplus, während die Industriemetalle weiterhin unter Druck standen. Lediglich die Preise für Energierohstoffe steigen unbeeindruckt. Daran wird vermutlich das morgige Treffen der OPEC-Staaten und Russland nichts ändern. Schließlich hatte China signalisiert, den Bedarf an Energierohstoffen am Weltmarkt auch dann decken zu wollen, wenn die Preise weiter deutlich steigen. International bleiben erneuerbare Energien vielfach – leider – ein Randthema.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.