Deflation ist DIE unterschätzte Gefahr

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Marktupdate 39/2020

Markus Schön, Dienstag 29. September 2020

 

Die Corona-Pandemie spielte an den Kapitalmärkten keine Rolle mehr, obwohl weltweit die Infektionszahlen stiegen. Erst mit der deutlichen Rückkehr nach Europa rückt das Virus wieder in den Fokus und die Wahrnehmung an den Börsen. Inzwischen sorgen rund 70.000 tägliche Neuinfektionen für Sorgen um (regionale) Lockdowns, die in Großbritannien, Frankreich und Spanien mindestens diskutiert und in Israel vollzogen sind. Dies hat dann zum Beginn der hinter uns liegenden Handelswoche besonders die Reisebranche unter Druck gesetzt, aber auch Rohstoffe büßten deutlich an Wert ein und die Nervosität wie während des Corona-Crash war zumindest in Teilen wieder spürbar. Dies verwundert aus deutscher Sicht vielleicht besonders, weil die deutsche Wirtschaft die Krise fast unbeeindruckt zu überstehen scheint. So rechnet nun sogar der deutsche Einzelhandel in diesem Jahr mit einem Umsatzwachstum, nachdem vor wenigen Wochen noch „Horrorzahlen“ im Umlauf waren. Im weltweiten Vergleich ist die Situation in Deutschland nicht nur gesundheitlich, sondern vor allem wirtschaftlich entspannt. Global sind die Einkommen um rund 10% eingebrochen. In Deutschland lag das Minus – vor staatlichen Maßnahmen wie Kurzarbeiter-geld und Soforthilfen – „nur“ bei 4%. Aber auch hier wurde der Niedriglohnsektor stärker getroffen. Die globale Sicht auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie „die Armen werden ärmer und die Reichen reicher“ scheint sich auch in Deutschland zu bestätigen. Für Europa ist dies ein Problem; das Ungleichgewicht wird immer größer. Deutschland wird immer stärker, während die anderen Eurostaaten wie Frankreich, Spanien, Italien oder Belgien immer weiter zurückfallen. Das hält weder der Euro-Währungsraum noch die EU dauerhaft aus. Deswegen müssen Anleger eigentlich auch sorgenvoll auf die ausbleibende Einigung auf einen neuen EU-Haushalt blicken. Ohne diesen wird die Festlegung und Auszahlung der EU-Corona-Hilfen sehr schwierig. Großbritannien betrifft dies durch den BREXIT nicht mehr unmittelbar; dort hat man sich aber von einer schnellen wirtschaftlichen Erholung bereits verabschiedet.

 

Die entscheidende Frage ist, ob Großbritannien einfach realistischer ist oder Deutschland tatsächlich – vor allem neben China – zu den Krisengewinnern zählt. Die Konjunkturdaten sind ordentlich, erklären aber nicht die positive Erwartung zu einem nur noch moderat erwarteten Rückgang der Wirtschaftsleistung. Der ifo-Geschäftsklima-Index ist zum 5. Mal in Folge gestiegen, lag aber unter den Erwartungen der Analysten. Die Einkaufsmanagerindices deuten eher auf eine Stagnation und selbst in der Baubranche gehen die Aufträge zurück. In den USA sind die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe wieder gestiegen und spätestens seit der Nominierung einer konservativen Richterin für den Obersten Gerichtshof der USA durch Donald Trump dürften die Chancen auf die von vielen Seiten geforderten Konjunkturhilfen vor der US-Wahl in rund einem Monat deutlich gesunken sein. Die USA wankt in der dort größten Krise seit 1929 und kann kurzfristig weder auf geld- noch wirtschaftspolitische Maßnahmen hoffen. Dieser Stillstand löst sich möglicherweise, falls Donald Trump wiedergewählt wird. Eine Wahlniederlage würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anerkennen, so dass dann die USA im politischen Chaos versinken würden. Dies droht ohnehin schon, falls die US-Republikaner die Mehrheit im US-Senat verlieren. Dann wird Trump noch stärker per Dekret regieren und sich immer weiter von einer demokratischen Legitimation entfernen. Diese Risiken sorgen schon jetzt für ein Erstarren der US-Wirtschaft. Damit erhöhen sich die Deflationsrisiken, die in Europa mit dem vielfach festzustellenden Nachfragerückgang größer werden und durch die Infektionszahlen weiter steigen.

 

Vordergründig ist eine Deflation gut für Zinspapiere. Schließlich wird Geld mehr Wert. So einfach ist es allerdings nicht. Schließlich bleiben die Rückzahlungsrisiken, wenn Unternehmen wirtschaftlich bestenfalls stagnieren und Schulden die Finanzkraft von Staaten immer weiter belasten. Eine Deflation ist schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung; für den Kapitalmärkt wäre sie ein Desaster. Dieses Risiko wird viel zu wenig ernst genommen. Vielmehr reagieren die Märkte irrational: Mit fallenden Kursen stiegen die Risikoaufschläge auch für gute Unternehmens-anleihen, aber Neuemissionen waren so stark nachgefragt, dass die emittierenden Unternehmen das 10- bis 12-fache hätten platzieren können. Trotz der Suche nach Anlagen wird in größeren Schwächephasen tatsächlich alles verkauft und der Schutz in Liquidität gesucht. Vereinfacht formuliert hat das „Geld auf dem Konto“ die vermeintlichen Sachwerte Gold und Aktien abgelöst. Schließlich ist die Finanzkrise für viele Anleger schon so lange her. Viele Marktteilnehmer kennen diese Krise auch nur aus Erzählungen und waren an steigende Kurse gewöhnt.

 

Die hohe Nachfrage an Anleihen steht in einem deutlichen Missverhältnis zu den beiden Neuemissionen am deutschen Aktienmarkt, die auf schwache Nachfrage stießen. Selbst das in dem boomenden Wohnwagensegment aktive Unter-nehmen KnausTabbert enttäuschte hinsichtlich der Kursentwicklung. Dabei müssten solche, relativ „Pandemie-sichere“ Geschäftsmodelle eigentlich gut funktionieren, zumal die Anzahl der börsennotierten Unternehmen selbst in den letzten 13 überwiegend positiven Börsenjahren sinkt und damit der Anlagedruck eher steigt. Fälle wie Arcandor, Wirecard und möglicherweise Grenke zeigen aber auch, dass derzeit weder Quantität noch Qualität stimmt.

 

Ein Stück weit bestätigte sich dies auch zu Beginn der hinter uns liegenden Handelswoche, als alle 30 DAX-Werte im Minus waren und zu den größten Verlierern Werte wie Deutsche Lufthansa und Deutsche Bank zählten. Letztere waren wieder von einem Geldwäscheskandal betroffen, gaben bekannt, weitere Filialen zu schließen und bekommen keine Kontinuität im deutschen Privatkunden-geschäft. Der bisherige Leiter wechselt zur Commerzbank, was sicherlich gut für die Bank und den Finanzplatz Deutschland ist. Den internationalen Bedeutungsverlust wird dies aber nicht stoppen, wenn man dafür die Entwicklung des US-Dollars als Maßstab nimmt. So konnte die US-Währung – trotz der politischen Risiken dort – von den steigenden Infektionszahlen in Europa und der politischen Uneinigkeit profitieren. So stieg der US-Dollar im Wochenvergleich um knapp 1,5%, während die rohstoffnahen Währungen insgesamt auch gegenüber dem Euro unter Druck blieben. Hier wird die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung deutlich, obwohl gerade in Australien und Neuseeland die Infektionszahlen niedrig sind. Dies geht auch auf eine deutliche Abschottung zurück, die zum volkswirtschaftlichen Problem werden könnte.

 

Zudem stellt sich die Frage, wie sich die Weltwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. China plant, bis zum Jahr 2060 klimaneutral zu sein. Damit würde der globale Temperaturanstieg von 2,7 auf 2,4 Grad gebremst. Von dem 2-Grad-Ziel ist man dennoch deutlich entfernt, auch weil viele Volkswirtschaften ineffiziente Konzepte verfolgen und eine ganzheitliche Betrachtung vermissen lassen. Ein Tesla ist ja nicht CO²-neutral, nur weil er keine Emissionen während der Fahrt verursacht. Der Flächen- und Wasserverbrauch für die Herstellung von Elektro-Fahrzeugen ist dramatisch. Auch mit Blick auf die endlichen Rohstoffvorkommen und damit verbundene Preisrisiken muss der wirtschaftliche Umbau ökologisch klug erfolgen.

 

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