Die Kette des Abstiegs

Marktupdate 38/2022

Markus Schön, Montag 19. September 2022

Zu Beginn der hinter uns liegenden Handelswoche schien es eine Frage der Zeit zu sein, bis der deutsche Leitindex DAX die Marke von 14.000 Punkten wieder erreicht haben würde. Dann kamen Inflationsdaten aus den USA und der deutsche Aktienmarkt verlor in weniger als zwei Handelstagen wieder

1.000 Punkte. Jetzt steuert der DAX auf sein bisheriges Jahrestief 2022 zu. Wenn man sich aber die Fakten vor Augen führt, kann man über diese Entwicklung nur den Kopf schütteln. So hat sich die Inflation in den USA ermäßigt; allerdings lag der Rückgang unter den Erwartungen und damit steigt die Angst auf, die US-Notenbank könnte am kommenden Donnerstag den dortigen Leitzins statt um die erwarteten 75 sogar um 100 Basispunkte erhöhen. Damit kommen schon jetzt immer schwächere Konjunkturdaten aus immer mehr Volkswirtschaften. Auch die USA selbst können sich diesem Trend nicht entziehen, wie die aktuellen Unternehmenszahlen des Logistikkonzern FedEx zeigen. Hierbei handelt es sich nicht nur um einen durch gestörte Lieferketten eingebrochen Geschäftsverlauf, sondern um einen deutlichen Vorboten einer Rezession. Auch deswegen warnen Weltbank und Internationaler Währungsfonds vor einer globalen Rezession, wenn die Zinsen im bisherigen Tempo weiter erhöht werden. Die Wirkung auf Rohstoffpreise solcher Zinserhöhungen ist und bliebt begrenzt. Nur über einen Nachfragerückgang an Öl oder Gas kann man die Preise beeinflussen, wenn das Angebot zeitgleich nicht stärker sinkt. Dieser Nachfragerückgang wird dann aber über eine Rezession möglicherweise sehr teuer erkauft. Während ein moderater Abschwung für Deutschland – natürlich keine Wirtschaftspolitik wie von Robert Habeck angestrebt –, Europa und die USA verkraftbar wäre, würde dies Schwellen- und Entwicklungsländer in dem aktuellen, globalen Krisenumfeld an Grenzen führen.

So haben sich auch in Afrika und weiteren Regionen des „globalen Südens“ die Lebensmittelpreise deutlich erhöht. Teilweise ist dort die Versorgung mit Nahrung zum Erliegen gekommen. Wenn dort nun auch noch die – vielfach nur rudimentären – Wirtschafts-strukturen zusammenbrechen, entsteht der nächste politische und gesellschaftliche Flächenbrand. Genau in diesen Regionen sind aber Russland und vor allem China starke Partner. Durch diese – z. T. von Russland bewusst herbeigeführten – Entwicklung steigt der globale Einfluss eher autoritär agierender Staaten. Über die aktuelle Krise hinaus scheint die Welt damit – ähnlich, aber extremer als während des Kalten Krieges – in zwei Blöcke zu zerfallen: Die westlichen, eher demokratische orientierten Staaten stehen autokratischen Systemen im Nahen und Fernen Osten sowie weiten Teilen Afrikas und Südamerikas gegenüber. Für die wirtschaftlichen Perspektiven bedeutet dies, dass sich der westliche Absatzmarkt auf eher weniger als 1 Mrd. Menschen konzentrieren wird, sofern Russland und China ihre jeweiligen Stärken miteinander verbinden. Dann wird es eine volkswirtschaftliche „Kette des Abstiegs“ von Europa ausgehend in die USA geben. Das wirtschaftliche und wohl auch politische Zentrum des Weltgeschehens droht sich, vor allem nach China zu verschieben. Weiterhin agieren dort die Politik und auch die Notenbank strategisch sehr geschickt. So hat die chinesische Zentralbank die Leitzinsen nicht gesenkt, obwohl die Konjunktur-daten aus China eher schwach bleiben. Aber noch ist die Situation nicht so dramatisch, dass geldpolitisch stärker gehandelt werden muss. Hier kann sich „China entspannt zurücklehnen“ und die verzweifelten Bemühungen anderer Staaten betrachten, die Inflation in den Griff zu bekommen. Dieses Problem hat China nicht und wird es zunächst auch nicht bekommen. Schließlich kauft es in Russland Energierohstoffe günstiger als vor dem Krieg in der Ukraine ein, weil die russischen Energiekonzerne bereitwillig die Verkäufe nach Asien rabattieren. Dies macht sich auch auf der Angebotsseite bemerkbar. Neben dem teilweise in Europa dramatischen Einbrüchen aufgrund von Produktions-stopps scheint Russland nun andere Absatzmärkte außerhalb Europas relativ umfänglich bedienen zu können. Daher wird sich der Konkurrenzkampf der unterschiedlichen Gesellschafts- und Politiksysteme eher schwieriger werden. Dennoch ist es weder aus deutscher noch europäischer Sicht ein aussichtsloses Unterfangen. Auch China macht Fehler und wird ebenso wenig wir Australien um 1900 oder Japan in den 1980iger Jahren die „Weltherrschaft“ erlangen. Zu den chinesischen Fehlern gehört die hohe Verschuldung, die allerdings auch sehr schnell Folgen in Europa haben könnte. So ist die Muttergesellschaft der deutschen Bank Hauck Aufhäuser Lampe massiv unter Druck geraten, nachdem Gerüchte aufkamen, die dortigen Aufsichtsbehörden hätten andere Kreditinstitute aufgefordert hatten, das Volumen ihre Geschäftsverbindungen mit der Mutter, von Hauck Aufhäuser Lampe offenzulegen. Das Dementi half Aktien und Anleihen nicht.

Ähnliche Beteuerungen der Unternehmen hatte man auch bei Lehman Brothers oder Wirecard gehört. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ähnliche Entwicklungen bei Fosun drohen. Bereits in der Vergangenheit hatten sich unsere kritischen Einschätzungen u. a. bei AirBerlin, Lehman Brothers, Wirecard und dem MDAX-Wert Grenke bestätigt.  Letzterer sorgte auch in den vergangenen Tagen für Negativschlagzeilen, die jedoch kaum wahrgenommen wurden. Während nahezu alle anderen Unternehmen Anleihen problemlos platzieren konnten, erhielt das Leasingunternehmen statt der angestrebten 250 Mio. Euro nur Angebote für 150 Mio. Euro und musste die Platzierung einer Neuemission absagen. Auch hier stellt sich die Frage, wann Grenke noch größere Schwierigkeiten einräumen muss. Schließlich zeigen vielfach die Entwicklungen der Zinsen Risiken viel früher, als diese auf der Aktienseite erkannt und eingepreist werden.

Danach müssten auch deutsche Staatsanleihen als Hochrisikopapiere gelten. Wäre der grüne Politiker Robert Habeck nicht Bundeswirtschafts-, sondern Bundesfinanzminister wäre dies vermutlich gerechtfertigt. Vermutlich würde er in Anlehnung an seine interessante Einschätzung, was eine Insolvenz ist, formulieren, dass hohe Zinsen ja einen Zahlungsausfall ausgleichen können. Nun droht – trotz über 16% Verlust in diesem Jahr – bei deutschen Bundesanleihen kein Zahlungsausfall. Aber die Bereitschaft, Schulden mehr oder weniger intransparent aufzubauen, um immer neue Entlastungspakete zu finanzieren, muss Anlass zur Sorge geben. Wenn nun Rettungspakete für Unternehmen geschnürt werden, die alles Vorangegangene in den Schatten stellen und Verstaatlichungen drohen, sind dies zusätzliche Risiken, die die Zukunftsfähigkeit nicht begünstigen.

Aber die Inflationsdaten aus den USA in der vergangenen Woche zeigen wie unter einem Brennglas, wie groß die Herausforderungen sind, vor denen die Kapitalmärkte stehen. Die als negativ empfundene Entwicklung setzt alle Märkte unter Druck. Selbst bei Gold herrschte Ausverkaufsstimmung, obwohl Silber und Platin hinzugewinnen konnten. Entsprechend verloren – mit Ausnahme des Russischen Rubel – auch die rohstoffnahen Währungen und der US-Dollar konnte leicht hinzugewinnen, kämpft aber weiterhin mit dem Euro um die Parität. Hier wird eingepreist, dass die USA besser durch die Krise kommen werden. Zwar sind sie weit vom Kriegsgeschehen entfernt, aber die FedEx- Unternehmenszahlen und die – auch gerade in China – schwachen Konjunkturdaten zeigen, dass die Krise global um sich greift.

Dies setzt die industriell benötigten Rohstoffe preislich ebenso unter Druck wie die Energiepreise. Nur in Deutschland ist das Problem so ausgeprägt, weil insbesondere der Bundeswirtschafts-minister Marktmechanismen nicht versteht. Ankündigungen, irgendwann, irgendwo Gas oder Öl kaufen zu wollen, wirkt nicht dämpfend auf die Preise, wenn andere Staaten nicht reden, sondern wirklich handeln. Diese Schwäche nutzen Staaten wie China oder die USA aus. Aufgrund von Produktionsstopps in energieintensiven Branchen in Europa stoßen chinesische und weitere asiatische Staaten in die Lücke. So liegt die Aluminium-Produktion in China auf Rekordniveau und gleicht die Produktionsrückgänge in Europa mehr als aus. Dort sind gestiegenen und nun teilweise deutlich rückläufigen Energiepreise kein Problem. China kauft günstig in Russland ein, während Deutschland bis heute Lieferalternativen sucht. So verliert die Wirtschaft immer mehr an Bedeutung und Europas größte Volkswirtschaft droht ins Hintertreffen zu geraten.

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