Bundestagswahl: (K)ein Aufbruchsignal für Deutschland

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Marktupdate 38/2021

Markus Schön, Dienstag 28. September 2021

 

Manchmal haben die Kapitalmärkte ein gutes Gespür. Die Bundestagswahl spielte in den letzten Wochen keine große Rolle. Selbst als Olaf Scholz mit der SPD zwischenzeitlich deutlich in Führung zu liegen schien, waren die Sorgen um eine Vermögenssteuer und höhere Belastungen für Unternehmen sehr gering. Möglicherweise hatte man schon vorhergesehen, dass es derzeit in Deutschland keine Mehrheit für ein Linksbündnis gibt und damit die Veränderungen durch die Bundestagswahl gering ausfallen werden. Derzeit zieht es tatsächlich so aus. Ob ein „weiter so“ ein gutes Signal wäre, bleibt abzuwarten. Vielmehr könnten aber auch politische Veränderungen anstehen, durch die Deutschland neue Dynamik entfalten könnte. Mit Christian Lindner bei der FDP und Annalena Baerbock bei den Grünen sind Politiker in der ersten Reihe, die man als „Generation nach Angela Merkel“ bezeichnen kann. Wenn hier nun wieder mehr wirtschaftliche Zukunftsthemen gestaltet werden, kann dies für Deutschland gut sein. Ob dies mit einem Kanzler gelingen kann, der als Bundesfinanzminister eher weniger erfolgreich agiert hat, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich wäre das Schwierigste, wenn es zu einer erneuten Koalition aus CDU/ CSU und SPD – ggf. auch unter SPD-Kanzlerschaft – käme. 16 Jahre weitgehender Merkel-Stillstand und davon der Großteil in einer großen Koalition haben Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit geschadet. Ohne die herausragenden Unternehmen in Deutschland stünde man wirtschaftlich und finanziell vermutlich ähnlich schwach da wie Italien oder Spanien. Deswegen muss man Sorge haben, dass das Aufbruchssignal ausgeblieben ist. Deutschland kann im globalen Wettbewerb nur bestehen, wenn man innovativ und dynamisch agiert. Andere Volkswirtschaften sind wesentlich größer.

 

Neben den USA muss man bei der Größe einer Volkswirtschaft insbesondere an China denken. Dort versucht man die drohenden Verwerfungen eines Zusammenbruchs des zweitgrößten Immobilienkonzerns einzuschätzen und abzumildern. Unsere Einschätzung wurde nicht nur in Ostwestfalen regional, sondern auch im Handelsblatt und bei der Deutsche Welle aufgenommen. Dadurch erzielte unser unabhängiges Schön & Co Research auch internationale Aufmerksamkeit, weil sich unsere Einschätzung zu bestätigen scheint. Statt einer staatlichen Rettung wird man nur die Folgen des Zusammenbruchs abmildern. Konkret wird man die Kleininvestoren retten, während man Großinvestoren eher fallen lassen wird. Der Verzug der anstehenden Zinszahlung bei einer auf US-Dollar lautenden Anleihe zeigt sehr deutlich, welche Bedeutung internationale Investoren aus chinesischer Sicht haben. Aufgrund des weltweiten Anlagedrucks werden sich weltweit agierende Anleger nicht von den Marktchancen in China abwenden, nur weil ein Konzern seine internationalen Verpflichtungen nicht nachkommt. Diese Sichtweise dürfte aufgehen. Argentinien konnte sich nach der Staatspleite und diversen Restrukturierungen immer wieder finanzieren. Griechenland findet derzeit teilweise günstiger Refinanzierungs-konditionen als Italien vor und der deutsche Technologiesektor schmeißt Werten wie Delivery Hero oder Auto1 immer noch Geld hinterher, obwohl weiterhin keine wirklichen Gewinnperspektiven zu erkennen sind. Diese – in Teilen neue – Machtwahrnehmung spielt China konsequent aus, indem man auch dort den Einsatz von Digitalwährungen verbietet. Dies sorgte für deutliche Verluste in dem Sektor. Die führende Digitalwährung Bitcoin verlor im Wochenvergleich 10% und gehörte in einem – zumindest auf Wochensicht – hinsichtlich der Markschwankungen relativ ereignisarmen Handelszeitraum zu den Werten mit stärkeren Bewegungen. Zum Anfang der hinter uns liegenden Handelswoche sah es aber nach deutlich größeren Rückgängen an den Aktienmärkten aus, die sich dann aber wieder relativierten. Die Nervosität ist deutlich spürbar, die sicherlich auch weiter zunehmen wird, da die Rohstoffpreise weiterhin hoch sind und die Lieferketten weiterhin nicht reibungslos funktionieren. Hier bremst sicherlich auch der verhaltene Ausblick der japanischen Notenbank, die die Wirtschaft dort durch Corona weiter belastet sieht. Die in Teilen der Welt – trotz Impffortschritt – steigenden Infektionszahlen sind ein Signal, dass die Pandemie zwar nicht mehr das beherrschende Thema ist, aber wirtschaftlich noch längere Zeit ein belastender Faktor sein wird. Positiv ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass immer mehr Staaten die Einreisebeschränkungen aufheben, was nicht nur dem Tourismussektor hilft, sondern auch gut für den globalen Handel ist. Ohne den internationalen Austausch werden Handelsbeschränkungen noch stärker um sich greifen und zu weiteren Belastungen der globalen Handelsströme führen. So gibt es zwar positive Signale; Euphorie ist jedoch nicht angebracht.

 

Trotz nachlassender Konjunkturentwicklung planen immer mehr Notenbanken den Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpolitik. Nach den bereits erfolgten Zinserhöhungen in Norwegen oder Brasilien kündigt auch die Bank of England an, die positive wirtschaftliche Entwicklung für eine Zinserhöhung im kommenden Jahr nutzen zu wollen. Dies führt weltweit zu steigenden Zinsen, weil fälschlicherweise damit die Erwartung einer Zinswende verbunden ist. Tatsächlich werden die Zinsen auch auf Sicht nicht deutlich steigen. Dies zeigen Neuemissionen bei Unternehmens-anleihen, die immer deutlich überzeichnet sind, auch wenn die Erstnotierungen teilweise deutlich unter den Emissionskursen liegen. Es macht das irrationale Umfeld deutlich. Statt bestehende Anleihen zu kaufen, setzt man auf neue Papiere und macht Verluste. Dies lässt sich mit unabhängiger Expertise vermeiden.

 

Gleiches gilt auch am Aktienmarkt: Der drohende Zusammenbruch des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande sorgt für Nervosität an den internationalen Märkten. Obwohl zu diesem Thema – auch international – unsere Einschätzung „Crash in China, global nein“ wahrgenommen wurde, waren die Aktienmärkte so nervös wie lange nicht mehr. Zum Anfang der hinter uns liegenden Handelswoche war der auf 40 Werte erweiterte, deutsche Leitindex DAX auf den tiefsten Stand seit knapp einem halben Jahr gefallen. Zusammen mit dem Auskauf der Edelmetalle kam – wieder einmal – die Argumentation von alternativlosen Sachwerten ins Wanken. Im Wochenvergleich hatte der DAX um rund 0,25% hinzugewonnen, während der US-Technologie-Index Nasdaq nahezu unverändert blieb. Hier zeigte sich, wie stark Kursanstiege von weiterhin niedrigen Zinsen und einer expansiven Geldpolitik abhängig sind. Deswegen ist es ein positives Signal, wenn der drohende Linksruck in Deutschland ausgeblieben ist. Entsprechend werden die Ergebnisse der Bundestagswahl an den deutschen Aktienmärkten ohne große Auswirkungen bleiben.

 

Selbst bei den teilweise eher politischen Devisenkursen dürfte das Wahlergebnis keine großen Auswirkungen haben. International werden viele die Fortsetzung der Koalition aus SPD und Union erwarten, während eine Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP vermutlich die derzeit wahrscheinlichste Variante ist. Dies dürfte den Euro gegenüber dem US-Dollar weitgehend unverändert lassen. Entscheidend bleiben hier Wirtschaftskraft und Zinsdifferenz. Beides spricht mindestens perspektivisch für einen Anstieg der US-Währung. Spannender ist die Frage zu der weiteren Entwicklung der Rohstoffwährungen, da Rohstoffe unter dem Blickwinkel der Ressourcenschonung in Europas größter Volkswirtschaft weniger gefragt sein dürften, wenn die Grünen ihre Vorstellungen zur Energiepolitik durchsetzen können.

 

Allerdings dürften dann nicht nur die Preise für Nickel und Kupfer für die Elektrifizierung des Verkehrs steigen, sondern auch der Kohlepreis müsste zulegen. Schließlich war in diesem eher sonnen- und windarmen Jahr 2021 der wesentliche Energielieferant Kohle und damit der umweltschädlichste fossile Brennstoff überhaupt. Deswegen ist kluge Energiepolitik nicht so einfach, wie es vielfach erscheint. Mit durch Steuern steigende Rohstoffpreise verliert Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit. In Großbritannien werden – aus überwiegend anderen Gründen – bestimmte Lebensmittel knapp. Dies zeigt, dass die Versorgungssicherheit in Europa weit weniger stabil als vielfach angenommen ist. Deswegen ist eine strategische Rohstoffbevorratung wichtig und muss als eine der wesentlichen Aufgabenstellungen angegangen werden. Hätte man hier während der Corona-Pandemie antizyklisch agiert, könnten Deutschland und Europa gerade jetzt große strategische Vorteile gegenüber den USA und China nutzen.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.