Chance und Risiko der Hoffnung auf eine schnelle Konjunkturerholung

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Marktupdate 37/2020

Markus Schön, Dienstag 15. September 2020

 

Während die Wirtschaftsforschungsinstitute auf dem bisherigen Hochpunkt der Corona-Krise mit einem knapp zweistelligen Einbruch der Konjunktur in Deutschland rechneten, gehen aktuelle Prognosen „nur“ noch von einem Minus von ca. 6% auf Jahressicht aus. Es wäre immer noch der stärkste Einbruch seit dem 2. Weltkrieg, aber diese Krise wird an vielen Stellen nicht wirklich wahrgenommen. Darin liegt Chance und Risiko. Die Chance ist eine Art selbsterfüllender Prophezeiung, mit der dann eine wirtschaftliche Belebung aus der Stimmung ohne wirkliche fundamentale Grundlage ergibt. Das Risiko ist eine falsche Wahrnehmung, die dann ein Umsteuern schwieriger machen kann, wenn die Erholung schwächer ausfällt, als derzeit erwartet wird. Viele müssten sich dann erst auf die neue Situation einstellen. Während man dies für die Wirtschaftsforschungsinstitute und weite Teile der Politik vermuten kann, gilt es mit Sicherheit an den Kapital-märkten. Dort ist die Risikowahrnehmung nahe Null. Vor diesem Hintergrund hat sich etwas wohltuend und aus unserer Sicht überraschend die EZB positioniert. Statt aufgrund des starken Wechselkurses des Euro die Geldpolitik noch weiter zu lockern, hält sie nun zunächst an ihrem Kurs fest. Mit Blick auf die in vielen Staaten steigende Zahl an neuen Corona-Infektionen und die daraus folgende Unsicherheit ist dies vielleicht kein schlechter Ansatz. Es gibt ja auch noch viele weitere Risiken.

 

Aus europäischer Sicht zählt hierzu natürlich vor allem das Abkommen mit Großbritannien, das den BREXIT eigentlich wirklich regeln soll. Nach so vielen Verhandlungsrunden ist das nachlassende Interesse an den Kapitalmärkten schon fast nachvollziehbar. Allerdings hat der britische Premier-Minister Boris Johnson eine neue Ebene des Konflikts erreicht. Um seine Ziele durchzusetzen, ist er bereit, ein bestehendes Abkommen mit der EU zu brechen und so gegen Völkerrecht zu verstoßen. Ob er hierfür politische Mehrheiten findet, ist völlig unklar. Allein dies als Gedanke einzubringen, zeigt, wie wenig verlässlich Politik noch ist. Überträgt man dies auf den zweiten großen Konflikt in Europa zwischen Griechenland und der Türkei, muss man sich fast auf einen Krieg um die Gasvorkommen im Mittelmeer einstellen. Die Eskalation dort steht völlig im Schatten zu den Diskussionen um eine Fertigstellung der Ostsee-Pipeline Nordstream 2 von Russland nach Deutschland. Dies fordern die USA unter Donald Trump schon lange und drohen einem Hafen auf Rügen mit Sanktionen. Jetzt könnte die vermutliche Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny einen Baustopp ermöglichen. Für Donald Trump wäre dies – losgelöst von der Frage der Richtigkeit eines solchen Schritts – ein Argument seinen Politikstil fortzuführen, der auf Konflikte und Spaltung setzt. Für den Augenblick mag dies die Aktienmärkte beflügeln, aber langfristig zerstört Trump das auch an den Kapitalmärkten so wichtige Vertrauen. Dabei sollte man nicht den Fehler machen, auf eine Abwahl Trumps im November 2020 zu hoffen. Die starke Aufholbewegung zeigt, dass in den USA die Stimmung nicht so gegen Trump gerichtet ist, wie dies vielfach in Europa und vor allem in Deutschland dargestellt wird. Allerdings müsste der Blick wirtschaftlich derzeit stärker nach China gehen. Als eine Folge der Corona-Pandemie ist China derzeit der wichtigste Exportmarkt für Deutschland und hat die USA überholt, die aber selbst wieder einen größeren Fokus auf Asien legen müssten. So scheint ein Teil der Rallye der US-Technologie-werte auf Käufe des japanischen Konzerns Softbank zurückzugehen, der auf weiter steigende Kurse der Nasdaq setzte. Diese Spekulation sorgte bei Softbank selbst für stark fallende Kurse und steigende Nervosität an den Aktienmärkten insgesamt. Noch konnte sich der DAX diesem Trend entziehen, was aber eher auf die weiterhin expansive Geldpolitik der EZB zurückzuführen ist.

 

Schließlich bleibt Geld weltweit extrem günstig. Anleihen zu kaufen und langfristig zu halten, funktioniert nicht mehr. Bei deutschen Staatsanleihen ist es eine Garantie, Geld zu verlieren. Allerdings ist wie in der Eurozone auch in Deutschland die Inflation im August 2020 in den negativen Bereich gekippt. Geld gewinnt also an Kaufkraft hinzu und mindert die immer stärker bei Kreditinstituten um sich greifenden Negativzinsen etwas. Jedoch sind deflationäre Tendenzen ein großes Risiko. Wenn Geld immer mehr Wert wird, sinkt die Konsum- und Investitionsbereitschaft.

 

Dies würde dann natürlich auch die Aktienmärkte belasten. Schließlich führt eine sinkende Ausgabenbereitschaft zu geringeren Umsätzen und Gewinnen, so dass in der Folge Unternehmen über Kostensenkungen nachdenken. Im Ergebnis wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die mit klassischen Notenbankinstrumente nicht gestoppt werden kann. Selbst eine extrem expansive Geldpolitik wie in Japan liefert keine Antwort auf ein solches Szenario. Wenn nun eine so stark geschwächte Weltwirtschaft eine Deflation in Japan, Europa und ggf. noch den USA erleben würde, ist ein wirklicher Aktiencrash nicht weit. Dieses Risiko wird aber ausgeblendet, obwohl selbst die Endpreise im Technologie-bereich unter Druck kommen. So hat Apple selbst den Fokus auf die eigene hohe Marge im Apple-Store gelegt. Die dort vielfach erzielten 30% sind übertrieben. Wenn dies zu sinkenden Preisen führt, heizt es in einem – kleinen – Bereich die Deflation dynamisch an. Aber auch in anderen Bereichen steigen die Preise eher nicht. Schließlich erholt sich die Nachfrage ohne Preissteigerungen nur langsam.

 

Ein nicht unerheblicher Teil der Nachfrage geht von China aus, das wirtschaftlich in vielen Bereichen auf dem Vor-Corona-Niveau liegt. Allerdings ist dies keine Selbstverständlichkeit. Die in Afrika bis in das Jahr 2020 stabilste Volkswirtschaft Südafrika ist wirtschaftlich im 2. Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 50% eingebrochen. Damit wurde die Hälfte der volks-wirtschaftlichen Wertschöpfung zumindest temporär zerstört. In solchen Fällen ist eine starke Abwärtsbewegung der Währung nachvollziehbar. Sonst ist es häufig politisch gewollt. Unter diesen Blickwinkel kann man die Provokationen von Boris Johnson zum Brexit-Abkommen auch interpretieren. Schließlich fällt so das Britische Pfund.

 

Auch dies zeigt die verrückte Zeit. Früher waren Politiker stolz, wenn die eigene Währung stabil war. Derzeit herrscht eine Schlacht um den geringsten Außenwert und Exporte in andere Währungsräume zu verbilligen. Die Rohstoffimporte vieler Staaten verteuern sich so zwar, aber durch die zuvor stark gefallenen Rohstoffpreise ist dies im aktuellen Umfeld kein Belastungsfaktor. Umso erfreulicher ist die relativ stabile Entwicklung der rohstoffnahen Währungen. Hier hat sich der Mexikanische Peso besonders erfreulich entwickelt, weil Mexiko – trotz massiven Corona-Infektionen – wohl einen Haushaltsüberschuss erzielen wird. Grundsätzlich ist die stabile Entwicklung der rohstoffnahen Währungen aber ein Signal für steigende Preise im Rohstoffsektor. Hier favorisieren wir weiter Silber und Platin, sehen aber auch Potenziale beim Öl, das derzeit unter der Nervosität an den Märkten, zweifelhaften Konjunkturaussichten und vor allem der Uneinigkeit der Förderländer leidet. Der sich wieder verschärfende Preisrückgang erhöht die Deflationsrisiken vor allem in der Eurozone weiter. Dies erklärt auch, weshalb sich der Goldpreis von seinem Hoch deutlich entfernt und derzeit eher eine leichte Schwäche zeigt.

 

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