Entlastungspaket facht Inflation an

Marktupdate 36/2022

Markus Schön, Montag 05. September 2022

Seit 15 Jahren veröffentlichen wir – früher in anderer Form – unser wöchentliches Schön & Co Marktupdate. So manchen Sonntag haben sich die Verantwortlichen „um die Ohren geschlagen“, weil gerade während der Finanzkrise 2008 und der Eurokrise 2011/2012 viele wesentliche Entscheidungen am Wochenende und damit außerhalb der üblichen Börsenzeitungen getroffen wurden. Dies war nicht immer einfach, aber man hatte im Tagesgeschäft Zeit, die Entscheidungen auf sich wirken und zum Kundennutzen umzusetzen. Seit der Corona-Pandemie und spätestens dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist dies anders. Alles geschieht in Echtzeit und spiegelt sich unverzüglich an den Börsen wider. Diese Entwicklung ist fatal, weil damit nur die Schwankungsbreite zunimmt, aber fundamental richtige und wichtige Entscheidungen kaum noch möglich sind. So zeigte der vergangene Freitag die gesamte Schizophrenie der Märkte. Der deutsche Leitindex DAX beendete die Handelswoche mit einem leichten Plus und eroberte die Marke von 13.500 Punkten zurück. Dann kam die Nachricht, Russland werde die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 nicht wieder aufnehmen und nachbörslich brach der DAX auf knapp 12.700 Punkte ein. Fast 2,5% Wert gingen verloren, weil derzeit nicht benötigtes Gas nicht geliefert wird. Trotz der erheblichen Lieferreduktionen wird in Deutschland weiter Gas eingespeichert. Nach unseren Analysen gehen die hohen Gasspeicherstände auf eine Erhöhung der Temperatur in den Gasspeicheranlagen zurück, so dass der Vorjahresvergleich besser ausfällt als die Lage tatsächlich ist. Dies würde auch den kraft- und mutlosen Auftritt am heutigen Tage bei Verkündung des dritten Entlastungspakets über 65 Mrd. Euro erklären. Dann weiß die deutsche Bundesregierung, dass die Lage viel ernster ist und nahezu alle Daten kein realistisches Bild der Lage zeigen.

Diese Unsicherheit sorgt für die hohe Nervosität und „crash-ähnliche“ Stimmung an den Kapitalmärkten. Die globalen Anleihemärkte sind erstmals seit über 30 Jahren in einen Bärenmarkt-Modus gefallen. Gleichzeitig konnte sich aber der deutsche Industriekonzern Siemens problemlos mit neuen Anleihen finanzieren. Statt der 2,5 Mrd. Euro Finanzbedarf betrug das Angebot 12 Mrd. Euro, so dass Siemens die vier Anleihe-emissionen auf insgesamt 3 Mrd. Euro erhöhte. Aber auch diese Erhöhung lag nur bei ¼ der Nachfrage. Geld, das Anlagemöglichkeiten sucht, ist umfänglich vorhanden. Dies zeigen auch Anleiheemissionen von dem Lebensmittelkonzern Danone oder dem Versicherer Allianz, der sogar ein neues Nachrangpapier platzieren konnte. Teilweise haben auch die Unternehmen selbst so viel Liquidität, dass versucht wird, bestehenden Anleihen zurückzukaufen. Aktuell hat der deutsche Pharmakonzern Merck ein solches Angebot unterbreitet, das für Anleger aber wenig attraktiv war. Das Unternehmen versucht, die Panik an den Kapitalmärkten zu nutzen, um so Zinsbelastung und die – ohnehin moderate – Verschuldung weiter zu senken. Diese Entwicklungen zeigen, wie wenig sinnvoll die Kapitalmarktreaktionen „in Echtzeit“ sind. Vielmehr sollte man diese analysieren und die sich bietenden Chancen nutzen. So war es noch nie attraktiver als derzeit Anleihen zu halten, Positionen aufzustocken und neue Zinspapiere zu kaufen. Da es in bestimmten Bereichen bereits deflationäre Tendenzen gibt, hat die Inflation – trotz der aktuellen Werte in der Eurozone – ihren Hochpunkt überschritten. Zudem zeigt das aktuell vorgestellte Entlastungspaket, wie wenig relevant die Inflationsthematik tatsächlich ist. So würde man einen identischen Effekt haben, wenn man die Mehrwertsteuer in Deutschland temporär von 19 auf 12% bzw. von 7% auf 5% senken würde. Dies entspräche nicht nur der geplanten Entlastung, sondern würde die Inflation in Deutschland schlagartig deutlich reduzieren. So würde man mit einer außergewöhnlichen Maßnahme auf eine außergewöhnliche Situation reagieren. Damit wäre jedoch dem „Inflationsgespenst“ sein Horrorpotenzial genommen. Möglicherweise fürchtet die Politik, dass dann die schwierigste Situation seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr als solche erkannt würde und ggf. notwendige Einschnitte noch weniger Akzeptanz fänden. Man würde aber so den Druck von der EZB nehmen, sozusagen zur Unzeit eine Zinserhöhung vorzunehmen, die an der Inflation nichts ändern wird. Durch neue Lockdowns in China weiter gestörte Lieferketten und hohe Energiepreise lassen sich durch hohe Zinsen nicht verändern. Geldwertstabilität herzustellen, ist in diesem Fall keine geldpolitische Aufgabe, sondern eine Maßnahme, für die nur die Politik die Instrumente hat. Weder die EZB noch insbesondere die US-Notenbank dürfen die jeweiligen Wirtschaftsräume in eine Rezession stürzen, nur um die Nachfrage so weit zu bremsen, dass das Angebot die Nachfrage deutlich übersteigt. Bei den Energierohstoffen macht man sich so noch abhängiger von Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien.

Schließlich können diese die Förderungen so weit drosseln, dass die Nachfrage immer das Angebot übersteigt. Die jetzt immens gestiegenen Marktpreise schaffen Finanzreserven, mit denen man auch schlechtere Jahre überstehen kann. Dies gilt umso mehr, wenn sich die westlichen Wirtschaftsräume durch eine verfehlte Geldpolitik selbst schwächen. So ist die Stimmung am US-Immobilienmarkt so schlecht wie nie zuvor. Dies hat weniger mit steigenden Baustoffpreisen, die bereits deutlich verloren haben, zu tun als vielmehr mit den deutlich gestiegenen Zinsen. Wenn sich diese Marktübertreibungen fortsetzen oder sogar von den Notenbanken noch befeuert werden, droht eine so tiefe Rezession, dass die Notenbanken sehr aggressiv die Zinsen werden senken müssen. Genau dieses „Hin und Her“ ist schlecht.

Teilweise kann man aber den Eindruck gewinnen, die Politik gieße Öl ins Feuer. So beschlossen die USA Lieferbeschränkungen für bestimmte Mikrochips nach China und Russland(!), was die ohnehin schon in diesem Jahr sehr schwachen Technologiewerte weiter unter Druck setzte. Der entsprechende US-Index NASDAQ nährt sich einem Minus von 30% an, dass der deutsche MDAX nachbörslich am vergangenen Freitag wieder überschritten hatte. Inzwischen gibt es einzelne Handelstage, an denen kein einziger Technologiewert noch eine positive Wertentwicklung aufweist. Die Verluste sind inzwischen so marktbreit, dass man sich manchmal an die Technologieblase zur Jahrtausendwende erinnert fühlt. Damals wurden Unternehmen ohne Substanz mit unvorstellbaren Summen bewertet; heute gibt es viele Unternehmen, die im Technologiebereich viel Geld verdienen. Aber auch dort wird vielfach der „Weltuntergang“ eingepreist.

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo-Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom US-Arbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des US-Notenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. Lediglich auf der Währungsseite gab es in den vergangenen Tagen ein ziemlich stabiles Umfeld. Vordergründig ist dies logisch: Wenn alle Notenbanken stark steigende Zinsen ankündigen, profitiert letztlich keine Währung. Schließlich bleibt dann die Zinsdifferenz gleich. Tatsächlich muss man sich aber mit der Wirtschaftskraft des jeweiligen Wirtschaftsraums auseinandersetzen und hier werden die USA immer noch wesentlich stärker als die Eurozone wahrgenommen. Dies lässt sich aber mit Blick auf die Konjunkturdaten nicht erklären. Dort ist nicht nur der Immobiliensektor schlecht, sondern auch der US-Auftragseingang ist schwach und der Arbeitsmarkt verliert auch an Dynamik.

Letztlich geht dies alles auf die Erwartung einer deutlichen Abschwächung der Weltwirtschaft zurück. Diese Effekte nehmen aber die Rohstoffmärkte bereits voraus. So ist der Kupferpreis allein im Wochenvergleich um über 7% gefallen und nährt sich einem Jahresminus von 25% an. Selbst der Gaspreis ist – vor der Bekanntgabe der anhaltenden Lieferunterbrechung – um 40% von seinem Höchstpreis gefallen. Das Minus von 240 Britischen Pfund lag über dem Wert von rund 200 Britischen Pfund vor Beginn des Krieges. Vor einem Jahr lag der Preis bei 60 Britischen Pfund. Allein diese Schwankungen – von 60 auf 200 auf fast 700 und auf 450 Britische Pfund zurück – zeigen, wie irrational die Märkte sind. Dies macht auch vor deutlichen Wertverlusten bei den Edelmetallen nicht halt. Ebenso wie Aktien und Immobilien scheinen Gold, Silber und Platin kein Inflationsschutz in dieser Krise zu sein. Silber und Platin sind jedoch weiterhin interessant.

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.