Lieber eine einfache Lüge als die komplizierte Wahrheit

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Marktupdate 36/2021

Markus Schön, Dienstag 14. September 2021

 

Die Internationale AutomobilAusstellung (IAA) oder neu „IAA mobility“ fand erstmals in München statt. Es gab aber keine ausgebuchten Hotels und die Neuigkeiten bei der Messe waren sehr überschaubar. Teilweise war dies sicherlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Aber ohne die Proteste von Klimaaktivisten wäre die gesamte Messe vermutlich „untergegangen“. Dabei wurden dort seit Jahrzehnten die Maßstäbe für den Automobilsektor gesetzt und Trends definiert. Jetzt rücken andere Mobilitätskonzepte in den Vordergrund und keinen interessiert die Messe mehr. Sofern dies ein Fingerzeig auf die zukünftige Entwicklung ist, muss man sich um die deutsche Automobilindustrie große Sorgen machen. Teilweise macht sich dies schon jetzt in den Wertentwicklungen der Aktien in diesem Segment bemerkbar. So verloren DMW, Daimler und Volkswagen im Wochenvergleich an Wert. Neben einer auf allen Ebenen enttäuscht verlaufenden Messe macht sich hier auch weiterhin der weltweite Mangel an Datenchips bemerkbar. Dieser soll nun bis 2023 anhalten und hemmt natürlich die Digitalisierung. Das rundherum vernetzte und „idealerweise“ vollständig autonom fahrende Auto rückt damit immer weiter in die Zukunft. Damit kommt der – neben der Elektrifizierung – zweite Mega-Trend in diesem Bereich ins Stocken. Dies droht zu einem Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft zu werden. Der Automobilsektor benötigt so viele unterschiedliche Rohstoffe, dass ein Angebotsrückgang für viele Branchen gravierende Folgen haben könnte. Deutschland ist davon besonders betroffen, was dann auch die gesamte Eurozone belasten würde. Auch dies ist eine Erklärung, weshalb sich die EZB am vergangenen Donnerstag so zurückhaltend präsentierte. Statt ein klares Signal auf Ende der Anleihekäufe auszusenden, geht die expansive Geldpolitik weitgehend weiter.

 

Schließlich wurde ein wesentlicher Aspekt an den Kapitalmärkten kaum wahrgenommen. Zwar wurde in der regulären Zinssitzung der EZB eine Reduzierung der Anleihekäufe beschlossen; aber in der Sitzung wurde der Zeitraum unverändert gelassen und keine 24 Stunden später betonte die EZB-Präsidentin, weiterhin alles zu tun, was zur wirtschaftlichen Stabilisierung notwendig ist. Dies ist natürlich eine Reaktion auf die nachlassende Wirtschaftsdynamik, aber vielleicht auch eine Vorsichtsmaßnahme vor neuen Corona-Varianten und ggf. ein Signal, einem bei einem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz unvermeidlichen Linksruck in Europas größter Volkswirtschaft geldpolitisch entgegenzuwirken. Es zeigt aber vor allem, dass die EZB-Sitzungen weitgehend Symbolpolitik sind und Fakten um die Sitzungen herum geschaffen werden. Nun sind Notenbanken ohnehin keine demokratisch legitimierten Institutionen, aber der nach Finanzkrise, Euro-Schuldenkrise und Corona-Pandemie erreichte Einfluss ist beängstigend. So entwickelt sich in Europa, aber zunehmend auch global ein „Notenbank-Wirtschaftssystem“, das dem Kommunismus wesentlicher näher als Marktwirtschaft oder Kapitalismus ist. Es muss wieder normal sein, dass Staaten und Unternehmen, die schlecht wirtschaften, zahlungsunfähig werden. Nur so können Marktbereinigungen stattfinden. Nur so wäre der vermeintliche Elektromobilitätspionier Tesla zu verhindern gewesen. Jetzt hilft dem nicht überlebensfähigen Geschäftsmodell eine staatliche Subvention aus Brandenburg im dreistelligen Millionenbereich. Die ökologischen Schäden, die Elektromobilität versuchen, sind durch das billige Geld unter keinen Umständen auszugleichen. Sie geschehen nur im Verborgenen. Schließlich sieht niemand die Umweltschäden in Südamerika, die mit dem Abbau der Batterie-Rohstoffe einhergehen oder das Faktum, dass der schmutzigste Diesel 40.000 km gefahren worden sein kann, bevor er die zusätzliche CO2-Belastung eines Elektrofahrzeugs erreicht hat. Hier gilt leider immer noch: Der Mensch glaubt lieber eine einfache Lüge als eine komplizierte Wahrheit. Anders wäre Donald Trump und seine „alternativen Fakten“ nie möglich gewesen. Deswegen ist sein Bruch mit den Konventionen zum Gedenktag des 11. Septembers kein Aufreger. Er griff seinen Amtsnachfolger für den Abzug in Afghanistan an, den er 2020 selbst verhandelt hatte. Die daraus resultierenden Risiken für die Weltwirtschaft spielen keine Rolle. Neben den deutlich gestiegenen Anschlagsgefahren wird der Rohstoffreichtum dort zu einer globalen Wettbewerbsfrage. Während Europa und – überraschenderweise auch die USA – moralische Bedenken haben, gehen Russland und insbesondere China sehr unbefangen auf die sich neu etablierende Taliban-Regierung zu. So erhält man – wie schon zuvor in Afrika – viel leichter Zugang zu zukünftig für die technologische Entwicklung wichtige Rohstoffe. Die zunehmend reale Gefahr ist, dass Europa und insbesondere Deutschland den wirtschaftlichen Anschluss verlieren, weil man keine Lösung hat, wie man mit totalitären Regimen umgehen will.

 

Bezogen auf China scheint dies ziemlich einfach zu sein, weil man sich dort vielfach auf die Frage der Menschenrechte beschränkt und vor allem den Absatzmarkt sieht. China ist aber auch wichtig als Geldgeber vieler Industriestaaten. Würde sich die (noch) zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihren Bestand an US-Staatsanleihen verkaufen, würden die USA in eine Schuldenkrise stürzen, bei der nur noch die US-Notenbank als Retter zur Verfügung stünde. Würde man den Glauben an die Handlungsfähigkeit dieser Institution verlieren, würden die USA finanzwirtschaftlich zusammenbrechen. Mit Blick auf das absehbare Erreichen der Schuldenobergrenze wird dieses Szenario nicht unwahrscheinlicher. Es spielt aber keine Rolle, da die Zinsen weltweit zwar leicht steigen, aber die Zuversicht an den internationalen Kapitalmärkten weiterhin sehr groß ist.

 

Es sind aber nicht die fundamentalen Daten, die die Aktienmärkte auf diesem Niveau halten. Es sind die Notenbanken, die mit dem „Mantra des billigen Geldes“ für steigende Aktienkurse sorgen. So war in der ersten Hälfte der hinter uns liegenden Aktienwoche deutliche Nervosität erkennbar. Neben Konjunktur- und Corona-Sorgen trug hierzu auch die Unsicherheit zur weiteren EZB-Politik bei. Nach dem Signal der Notenbank, das mit einem „weiter so“ perfekt zusammengefasst ist, erholte sich der deutsche Leitindex zumindest teilweise von seinem Wochentief. Zwar standen am Ende der hinter uns liegenden Handelswoche spürbare Verluste in nahezu allen relevanten Aktienmärkten, aber mit Blick auf die überwiegend schwachen Konjunkturdaten waren die Kursrückgänge sehr überschaubar. Überraschend war die Schwäche des Sektors „Erneuerbare Energien“, die vor allem auf negative Analystenkommentare zurückzuführen war.

 

Die Irrationalität am Aktienmarkt überträgt sich zunehmend auch auf den Devisenmarkt. Würde es um fundamentale Fakten gehen, würden die rohstoffnahen Währungen zu den großen Gewinnern zählen. Tatsächlich hat von den im Schön & Co Research analysierten Werten aber – nach dem Mexikanischen Peso – der Dollar am stärksten abgeschnitten. Der Zuwachs um 0,5% im Wochenvergleich erscheint umso unverständlicher, wenn man das anstehende Erreichen der US-Schuldenobergrenze betrachtet. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der US-Präsident Joe Biden zwar eine Erhöhung erreichen; es lenkt aber den Fokus auf die immense Verschuldung, die die USA inzwischen angehäuft haben und bei der mehr als fraglich ist, wie eine Reduzierung auf ein stabiles Niveau – eine Entschuldung ist nicht zu erwarten – möglich ist.

 

Umso verwunderlicher ist die Entwicklung der Edelmetallpreise. Nach einer moderaten Erholung verloren diese wieder deutlich an Wert. Besonders negativ stach Platin hervor, das im Wochenvergleich über 6% verlor und sich nun auf Jahressicht 2021 mit einem Minus von 10% ebenso schwach wie Silber präsentierte. Aber auch Gold kam deutlich unter Druck und markierte mit einem Wochenminus von fast 2,5% ebenfalls einen der drei stärksten Wochenrückgänge in diesem Jahr. Der Bereich der industriell benötigten Rohstoffe konnte hingegen teilweise deutlich hinzugewinnen. Während der Ölpreis eher seitwärts tendierte, haben beispielsweise Nickel – dort sogar ein Mehrjahreshoch – und Kupfer spürbar hinzugewinnen können.

 

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