Geldpolitik im Tango-Stil

Afghanistan

Marktupdate 34/2021

Markus Schön, Dienstag 31. August 2021

 

Wer auf ein historisches Treffen der Notenbanken-Vertreter im „virtuellen“ Jackson Hole gehofft hatte, wurde enttäuscht. Mit Ausnahme der aufgrund der Delta-Variante des Corona-Virus erneut virtuellen Form gab es wenig, dass den Marktteilnehmern länger in Erinnerung bleiben wird. Der US-Notenbankpräsident Jerome Powell kündigte entgegen vieler Erwartungen keine Zinswende an. Er hielt an der vorsichtigen Ausrichtung fest, betonte die Inflation als temporäres Problem, aber lobte auch die konjunkturellen Erfolge, die mit der extrem expansiven Geldpolitik einhergingen. Geschickt ließ er jedoch außen vor, dass der US-Arbeitsmarkt weit von dem Niveau vor Corona entfernt ist und die wirtschaftlichen Probleme vieler US-Bürger ausgeprägter als während der Finanzkrise sind. Zeitgleich erlebt man mit Joe Biden einen US-Präsidenten, der zwar verbindlicher im Ton ist, dem Menschen zugewandter agiert, aber faktisch in weiten Teilen an der Politik seines Amtsvorgängers Donald Trump festhält. So setzt er weiterhin auf Handelsbeschränkungen, Strafzölle und weitere protektionistische Maßnahmen. Aus Trumps „America first“ scheint in Wirtschafts- und Handelsfragen – Biden-typisch – ein höfliches „America first, please“ zu werden. In politischen oder – wie aktuell in Afghanistan – ist die Kommunikation fast nicht von Donald Trump zu unterscheiden. Die USA geben den Ton an und die (Nato-)Verbündeten müssen folgen. Die Alternative gerade der europäischen Staaten ist, sich den politischen Positionen Russlands oder Chinas anzuschließen, die entweder das Versagen des Westens feiern oder offen Interesse an den immensen Bodenschätzen Afghanistans zeigen. Hier hat China schon in Afrika unter Beweis gestellt, dass zur Absicherung des wirtschaftlichen und politischen Erfolgs fast jeder Gesprächspartner akzeptiert ist.

 

So kommt Deutschland in der Rohstoffsicherung natürlich weiter ins Hintertreffen. Während China moralische Maßstäbe und ethische Integrität dem Weltmachtstreben unterordnet und die USA zunehmend wie eine autoritäre Weltmacht agieren, versucht die größte europäische Wirtschaft mit einem Wertekosmos erfolgreich zu sein, der global immer weniger Bedeutung hat. Statt auf die Corona-Pandemie in globaler Geschlossenheit zu reagieren, handelt die Weltgemeinschaft immer stärker nach dem Motto, „wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“. Es ist eine wirtschaftliche Entwicklung, in der zunehmend nur noch die Macht des Stärkeren relevant ist. Dies ist eine bedenkliche Entwicklung, der man aber begegnen muss. Statt mehr Protektionismus und mehr Nationalstaatlichkeit sollte eine stärkere globale Vernetzung in den Fokus rücken. Sonst ist es unmöglich, den globalen Konzern Grenzen zu setzen. Selbst die Einigung auf eine Digitalsteuer bremst die US-Technologiewerte nicht. Von diesem Segment gehen die Kurssteigerungen aus. Entscheidend ist dort die Wachstumsfantasie und weniger der wirtschaftliche Erfolg. Dies zeigt auch die Bereitschaft vieler Investoren, Geld in fragwürdige Geschäftsmodelle zu stecken. Solange das Geld aber so günstig ist, wird es viele Fehlsteuerungen bei Anlagen geben. Dadurch entstehen große wirtschaftliche Risiken. Umgekehrt wird es aber auch nicht zu einer wirklichen Zinswende kommen können. Schließlich haben die Notenbanken Geld so günstig gemacht, dass die Verschuldung von vielen Unternehmen, aber gerade von Staaten so hoch ist, dass höhere Zinsen nicht verkraftbar wären. Deswegen war das diesjährige Treffen in Jackson Hole so ergebnisarm. Einerseits will man vermeiden, die Fehlsteuerungen weiter anzufachen. Andererseits darf nicht der Eindruck entstehen, dass es schnell zu (stark) steigenden Zinsen kommt. Beide Szenarien könnten für einen Anlagecrash sorgen, der Corona, die Finanzkrise 2008 und die Weltwirtschaftskrise 1929 weit übertreffen würde. Danach gäbe es das Finanzsystem in seiner heutigen Form nicht mehr. Vor diesem Hintergrund wird man eine „Geldpolitik der Akzente“ erleben. Statt einer klaren Linie wird es eher nach zwei Schritten in eine Richtung eine Gegenbewegung mit einem Schritt entgegengesetzt geben. Dies wird zu stärkeren Schwankungen führen, aber eine Bewegung ausschließlich in eine Richtung mit hoher Wahrscheinlichkeit weitgehend verhindern. Entsprechend schwankungsintensiv wird das gesamte Umfeld bleiben. Vor allem ist es die Wette, mit den kleinen Schritten wieder Handlungs-fähigkeit zu erhalten, dass man auf die nächste – vielleicht ganz „normale“ – Krise in Folge eines zyklischen Wirtschafts-abschwungs reagieren kann. Spätestens seit 2008 ist dies eigentlich nicht mehr möglich. Die Notenbanken sind die Retter der globalen Wirtschaft und fluten die Kapitalmärkte mit Geld. So verliert Geld aber letztlich an Wert. Hierbei spielt weniger die reale Inflation eine Rolle, sondern vor allem Preissteigerungen bei vermeintlichen Sachwerten, die von der Realität entkoppelt sind.

 

Die Haltung, Sachwerte werden weiter im Preis steigen, strahlt auch auf den Anleihebereich ab. So sind die Aufschläge für Nachranganleihen so niedrig wie lange nicht. Ausfallrisiken bei Unternehmen werden einfach nicht gesehen. Es bleibt aber dabei: Kapitalismus ohne Pleiten ist wie Fußball ohne Tore. Wenn ein unternehmerisches Risiko größere Chancen bietet, muss damit auch ein höheres Risiko verbunden sein. Alles andere ist wirtschaftlicher Unsinn. Dieses einfache Faktum rückt aber durch die Notenbankpolitik des billigen Geldes immer weiter in den Hintergrund. Gerade in Europa wird dieser Trend anhalten, weil man niedrige Zinsen hier vielleicht noch dringender als in den USA benötigt. Der Investitionsstau – auch in Deutschland – ist immens, während die Corona-Rettungsmaßnahmen die staatliche Verschuldung deutlich erhöhen. Es ist vielleicht historisch die größte Umverteilung staatlicher Finanzkraft in privates Vermögen.

 

Auf diese Entwicklung muss man eine Antwort finden. Andernfalls droht die Überschuldung vieler Staaten, von der wiederum China profitieren könnten. Nach der von dort ausgehenden Pandemie wäre es – dann allerdings eindeutig politisch gewollt – möglich, die Zinsen in den USA durch Verkäufe entsprechender Anleihen steigen zu lassen. Dann müsste die US-Notenbank ihr Kaufprogramm ausweiten, statt der in Jackson Hole zu hörenden, leichten Tendenz einer perspektiven Reduzierung folgen zu können. Etwas plakativ formuliert, bestimmt China faktisch die US-Notenbankpolitik. Deswegen sollten Unternehmen in dem aktuellen Umfeld versuchen, ihre Verschuldung zu reduzieren. Derzeit geht der Trend in eine andere Richtung und insbesondere Technologie-Unternehmen stellen Wachstum vor Rentabilität. Dies ist eine sehr ungewisse Wette auf die Zukunft, so dass man bei Aktien weiter auf Substanz und Zukunftsfähigkeit setzen sollte.

 

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo-Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom US-Arbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des US-Notenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle Abschwächung eingepreist wird. In diesem Fall käme der Anstieg der Rohstoffpreise sozusagen zur Unzeit. Davon profitiert aber die rohstoffnahen Währungen. Neben der Norwegischen Krone, die im Wochenvergleich über 2,5% hinzugewinnen konnte, ist der Anstieg des Australischen Dollars besonders beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%.

 

Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf die Erholung der Rohstoffpreise. Nach einer deutlichen Korrektur in der Vorwoche waren fast durchgängig steigende Preise zu verzeichnen. Besonders wahrnehmbar war dies beim Ölpreis, der um mehr als 10% steigen konnte, aber auch die industriell benötigten Metalle erlebten Zuwächse wie auch der Edelmetallsektor. Hier stach Silber mit einer Steigerung von fast 4,5% hervor, die fast doppelt so stark wie Gold und mehr als dreimal so stark wie Platin ausfiel. Dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Edelmetalle als angebliche Sachwerte auf Sicht des Jahres 2021 deutlich im Minus sind. Dies ist ein deutlicher Unterschied zu den industriell benötigten Rohstoffen, die – mit Ausnahme vom Eisenerz – teilweise deutlich zweistellig prozentual im Plus sind.

 

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