Notenbanken – zu allen Seiten offen und damit nicht ganz dicht?
Marktupdate 33/2021
Markus Schön, Dienstag 24. August 2021
Wirklich neue Erkenntnisse gab es in den letzten Wochen nicht; vielmehr bewegt man sich in einer Art „Schlafwagenmodus“. An den Kapitalmärkten regiert das Motto, solange immer mehr billiges Geld produziert wird, werden Aktien und Immobilien im Preis nicht fallen. Schließlich – so ist der Narrativ – steigen Sachwerte immer im Wert. Dabei wird Gold derzeit gern unerwähnt gelassen. Das als „Ursprung aller Sachwerte“ geltende Edelmetall hat 2021 bislang rund 6% an Wert verloren, obwohl die Inflation weltweit – aus unserer Sicht überraschend – hoch bleibt. Dies führt auch zu Diskussionen innerhalb der US-Notenbank, die dortigen Anleihekäufe zu reduzieren und ggf. sogar eine Zinserhöhung vorzunehmen. Realistisch werden größere Veränderungen eher in sechs bis zwölf Monaten anstehen. Aber Märkte, die ausschließlich vom billigen Geld der Notenbanken leben, reagieren auf jede Andeutung in diese Richtung äußerst nervös. Dabei sind größere Veränderungen der Geldpolitik auch auf Sicht nahezu unmöglich. Einerseits würden deutlich steigende Zinsen Staaten, Unternehmen und Privathaushalte global wirtschaftlich kollabieren lassen. Andererseits werden die für eine Abkehr von der expansiven Geldpolitik sprechenden Argumente an Gewicht verlieren. Spätestens nach den bisherigen Preiseinbrüchen bei Rohstoffen im August 2021 wird der Inflationsdruck nachlassen, der wirtschaftliche Aufschwung kommt durch Lieferengpässe und Containerstaus ins Stocken und die Corona-Pandemie ist noch nicht ausgestanden. Hinzu kommen neue Risiken wie die Entwicklung in Afghanistan mit der neuerlichen Machtübernahme der Taliban als globale Gefahr oder das eher deutsche Risiko einer Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen oder der Linkspartei.
Neben der Frage, wie viel staatliche Regulierung die größte Volkswirtschaft Europas verkraften kann, würden Themen wie Substanzbesteuerungen durch Vermögensabgaben o. ä. zu einer deutlichen Verunsicherung führen, die auch die Kapitalmärkte mindestens in Deutschland nachhaltig belasten würde. Umso verwunderlicher war der zwischenzeitliche Anstieg des DAX auf über 16.000 Punkte und die immer neuen Rekordhochs bei den US-Indices. Selbst größere Korrekturen wie bei Amazon bleiben an den Kapitalmärkten ohne größere Wirkung. Momentan werden die Notenbanken als Versicherung gegen fallende Kurse wahrgenommen. Dabei wird übersehen, dass der Versuch der US-Notenbank nach der Finanzkrise 2008, die Politik des billigen Geldes zu stoppen, über den Weg des damaligen Notenbank-präsidenten Ben Bernanke sehr holprig verlaufen ist. Dabei war er ein wesentlich besserer US-Notenbankchef als der jetzt amtierende Jeremy Powell. Entsprechend groß ist die Beachtung, die das traditionelle Treffen der Notenbankvertreter in Jackson Hole haben wird, das in der vor uns liegenden Handelswoche stattfindet. Vermutlich wird es sich aber in die Reihe der aktuellen Wirtschaftsnachrichten einreihen – mit vielen Worten wenig sagen und in möglichst viele Richtungen anschlussfähig sein. Schließlich weiß niemand, wie lange die Störungen der Lieferketten anhalten, welche wirtschaftlichen Folgen die Corona-Pandemie noch nach sich zieht und wie sich die weltweit angespannte politische Lage entwickelt. Aber wer – wie die Notenbanken – zu allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Politik und Notenbanken müssen erkennen, dass sie nicht jedes volkswirtschaftliche Problem lösen können. China hat dies über mindestens fast zwei Jahrzehnte versucht und muss nun immer neue Restriktionen einführen, damit sogenannte Zombie-Firmen nicht irgendwann einen zu großen Anteil an der Wertschöpfung haben. Dies führt zu einer sehr verhaltenen Entwicklung an den Aktienmärkten dort, obwohl die Zinsen weltweit, aber auch in Asien niedrig sind und in den letzten Wochen wieder rückläufig waren. Gleichzeitig ist Asien derzeit besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen. Die Staaten, die mit Schutzmaßnahmen sehr gute Eindämmungsstrategien entwickelt hatten, haben Probleme, nennenswerte Impfquoten zu erzielen. Das eindrucksvollste Beispiel ist in diesem Zusammenhang Neuseeland, das mit seinem Ansatz, kein Corona zulassen zu wollen, bislang gut durch die Pandemie kam. Nun gab es einen Ausbruch, der 70 weitere Infektionen mit der Delta-Variante nach sich zog. Jetzt wird man auch dort die „0-Covid-Strategie“ aufgeben, auch weil die gesellschaftliche Akzeptanz für die dortigen Einschränkungen immer weiter nachlässt. Dieser Wunsch nach mehr Normalität führt in weiten Teilen zu einer wirtschaftlichen Belebung, ist aber auch ein Risikofaktor für die Konjunkturerholung. Durch die – teilweise trotz guter Impfquoten – steigenden Infektionen drohen gerade in den führenden Industriestaaten erneute Restriktionen.
Derzeit wird eingepreist, dass die USA die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen besser als beispielsweise Europa meistert. Spätestens nach dem Debakel um den noch von Donald Trump eingeleiteten Truppenabzug in den USA muss man die Fähigkeiten des US-Präsidenten Joe Biden im Krisenmanagement bezweifeln. Möglicherweise aus diesem Grund steht er vor den Herausforderungen der stark anziehenden Fallzahlen im Süden der USA auch zunehmend hilflos. Nur auf die Notwendigkeit der Impfung zu verweisen, scheint gerade in den USA nur mäßig erfolgreich zu sein. Zudem führen die massiven Lockerungen, die für Geimpfte gelten, zu steigenden Infektionszahlen mit der Delta-Variante des Virus. Dies spricht für ein weiterhin sehr niedriges Zinsniveau, das – neben Staaten – auch Unternehmen hilft.
Schließlich sind niedrige Zinsen einer der wesentlichen Faktoren für die steigenden Aktienmärkte. Konjunkturell werden viele Staaten das Vorkrisenniveau frühestens im Jahr 2022 wieder erreichen. Entsprechend teuer sind viele Aktien und Unternehmen sind hoch bewertet. Ohne die niedrigen Zinsen wären die Bewertungen deutlich niedriger. Neben der Nervosität der US-Technologiewerten bei Anzeichen steigender Zinsen macht der Blick auf China deutlich, wie groß die Abwärtsrisiken tatsächlich sind. Rechnet man dies – stark vereinfacht und einfach linear – auf den deutschen Leitindex DAX um, läge dessen Kursniveau 25% unter den aktuellen Ständen. Wahrscheinlich ist eine solche Entwicklung derzeit nicht. Aber auch deutliche Kursanstiege – außerhalb besonderer Sektoren – werden zunehmend fraglich.
Ein Vorbote für eine solche nervöse und ggf. eher abwärtsgerichtete Entwicklung könnte neben den chinesischen Märkten auch der Luxusgütersektor sein. Nach dem bislang steilen Anstieg in diesem Jahr sind die Kurse von Werten wie LVMH oder Richemont teilweise deutlich gefallen. Auch dies ist in Teilen auf die Entwicklung in Asien zurückzuführen. Konsumausgaben werden bei nachlassender wirtschaftlicher Entwicklung und/ oder steigenden Corona-Fallzahlen schneller zurückgefahren. Bei Luxusgütern erfolgen relativ wenig Umsätze online. Zudem wird der relativ starke US-Dollar zu einem Belastungsfaktor, während die rohstoffnahen Währungen unter den aktuellen Preisrückgängen leiden und sich damit Luxusgüter währungsbereinigt spürbarer verteuern.
Der Trend sich abschwächender Rohstoffpreise – gerade im industriell benötigten Bereich – dürfte sich fortsetzen, weil sich die sehr hohen Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung nicht zu erfüllen scheinen. Davon profitieren derzeit vor allem Mineralölkonzerne wie Shell oder BP, die ihre Margen deutlich ausweiten. Bei der starken Abwärtsbewegung bei industriell benötigten Metallen oder auch Energierohstoffen drohen neue Konjunkturnachteile: Wenn die Preise deutlich fallen, geht die Investitionsbereitschaft in diesem Sektor zurück, der ohnehin schon aufgrund der Energiewende vieles in Frage stellt. Noch weniger nachzuvollziehen, sind die deutlichen Rückgänge bei den Edelmetallen. Weder der „Sachwert“ Gold noch der Inflationsindikator Silber oder das industriell benötigte Platin konnten in diesem Jahr im Wert steigen. Gerade Silber und Platin haben sich über den Sommer 2021 enttäuschend entwickelt, aber auch Gold verzeichnete ein deutliches Minus.
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