Corona-Krise ist wie die Titanic - solange die Musik spielt, wird getanzt

Veroeffentlichungen

Marktupdate 29/2020

Markus Schön, Dienstag 21. Juli 2020

 

Unseren Erwartungen entsprechend fielen die Zahlen der US-Kreditinstitute für das 2. Quartal 2020 gut aus. Dies ging auf das starke Investmentbanking mit hohen Handels-aktivitäten zurück. Für uns überraschend sorgte dies auch beim DAX für Kursgewinne, die den Index der Marke von 13.000 Punkten näher brachten. Fundamental ist der Index damit eher 25% als 20% überbewertet, weil die deutschen Kreditinstitute keinesfalls solche Ergebnisse aufweisen werden, sondern viel stärker unter dem auch in den USA erkennbaren Trend leiden werden. Wer viele Kredite vergeben hat, muss hohe Abschreibungen bzw. Wertberichtigungen in Kauf nehmen. Entsprechend stark werden die Gewinne bei Sparkassen, Volksbanken, aber auch vermutlich der Commerzbank einbrechen. Dabei ist das Schlimmste dabei noch gar nicht absehbar. Durch die in Deutschland ausgesetzte Insolvenzpflicht werden die Zahlungsausfälle erst in der Zukunft deutlich steigen. Hier schocken Zahlen aus Israel. Der Staat, der aktuell wieder stark von Corona betroffen ist, musste bereits im April 2020 fast eine Verdopplung der Firmeninsolvenzen hinnehmen. So schlimm wird es in Deutschland nicht kommen, aber in den USA, China und vermutlich auch Südeuropa drohen zweistellige Prozentsteigerungen bei den Firmenpleiten. Dies wird an Aktionären, aber teilweise auch an Anleihe-gläubigern nicht spurlos vorbeigehen. Vor allem sorgt es für eine viel schwächere wirtschaftliche Entwicklung als vielfach erwartet. Zusammen mit weltweit immer noch stark steigenden Infektionszahlen droht eine wirtschaftlich sehr schwierige Zeit. Umso wichtiger wäre es, wenn sich die sonstigen Krisenherde entspannen. Aber weder beim Brexit noch bei dem US-Handelsstreitigkeiten oder beim Konflikt um Hongkong, das mit ebenfalls einer wieder außer Kontrolle geratenen Virusentwicklung zu kämpfen hat, sind Lösungen zu erkennen, die auf eine positive Entwicklung deuten. Vielfach wird es vergessen, aber wir befinden uns immer noch in der schlimmsten Krise seit 75 Jahre.

 

In Deutschland ist dies vielleicht aufgrund der geringeren Infektionszahlen weniger stark spürbar, aber dauerhaft wird man sich von den globalen Rahmenbedingungen nicht entkoppeln können. Hier zeigen sich Gefahren auf mehreren Ebenen, die durch den blinden Glauben der Marktteilnehmer an Notenbanken und Politik nicht ernst genommen werden: Der Luxusgüterkonzern Richemont musste im 2. Quartal 2020 eine Halbierung seines Umsatzes hinnehmen. Wenn nun die luxusaffinen Märkte wie Hongkong oder Japan mit einer neuen Infektionswelle kämpfen, ist es kein positives Zeichen. Gleiches gilt für eher schwache US-Konsumdaten mit enttäuschenden Zahlen bei dem Streamingdienst Netflix. Hier merkt man – übrigens zunehmend global – eine zunehmende Sparsamkeit, die die ohnehin schwache Weltwirtschaft weiter belasten wird. Die schuldenfinanzierte Munition der Staaten wird kleiner und die Möglichkeiten der Notenbanken zumindest nicht größer. Wenn ein selbsttragender Aufschwung ausbleibt, droht eine lange Phase einer wirtschaftlichen Stagnation. In diesem Umfeld ist es sinnvoll, Risikopositionen eher „mit gebremstem Schwung“ zu betrachten und eher zu verkaufen als neue Positionen aufzubauen. Umso wichtiger ist aber ein einheitliches Vorgehen – am besten global, zumindest aber ganz aktuell in Europa. Danach sieht es aber beim aktuell laufenden und schon einen Tag verlängerten EU-Gipfel nicht aus. Dabei hatte die EZB in der hinter uns liegenden Woche schon die richtige Entscheidung getroffen, indem sie hier 1,35 Billionen Euro großes Rettungsprogramm nicht ausgeweitet hat. Jetzt muss erst Einigung über das EU-Paket geschaffen werden. Hierbei steht jedoch viel zu sehr die Frage des Geldes im Fokus, viel stärker ist die Frage zu stellen, wie die Staaten gemeinsam Wachstum gestalten können. Dann entsteht eine Perspektive, die auch höhere Aktienkurse rechtfertigen würde. Jetzt sind es Verhandlungen aus einer Position der Schwäche, da die zukunftsorientierte Perspektive fehlt. Dennoch wird es an den Märkten belohnt, weil Geld so billig zu haben ist. Ähnlich reagiert man auf politische Aussagen, die einen zweiten Lockdown ausschließen. Dies erfolgt ja nicht, weil man eine Lösung für die Pandemie hat – letztlich hofft man auf einen Impfstoff –, sondern aus dem Wissen, dass ein nochmaliger Lockdown nicht verkraftbar wäre.

 

Möglicherweise erklärt der Blick auf die Zinsstrukturen die schwierigen Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungs-chefs über das Wochenende. Italien weist mit knapp 1,20% p. a. für zehn Jahre laufende Staatsanleihen mit Griechenland vergleichbare Rendite auf und muss rund 70 Basispunkte mehr als Spanien oder Portugal bezahlen. Im Vergleich zu den „sparsamen Vier“ liegt der Unterschied bei ungefähr 150 Basispunkten. Eine Hilfe über EU-Schulden würde – anders als nicht rückzahlbare Zuschüsse – die Situation nicht verbessern. Also kann der Weg nur in eine faktische Transferunion führen, bei der die Zuschüsse aus Sicht der südeuropäischen Staaten nicht hoch genug sein könnten. Dies ist aber in vielen Staaten, die wie Dänemark oder Schweden weniger stark von dem gemeinsamen Wirtschaftsraum profitieren und ihre volkswirtschaftliche Situation durch Währungsabwertungen jederzeit verbessern können, kaum durchsetzbar. Schließlich basiert viel auf dem Narrativ, dass Verbindlichkeiten irgendwann zurückgezahlt werden. Die Realität sieht anders aus.

 

Tatsächlich werden vor allem staatliche Verbindlichkeiten einfach nur umgeschuldet und durch die global sinkenden Zinsen sind immer neue Schuldenhöchststände möglich, die ggf. sogar immer stärker von den Notenbanken refinanziert werden. Teilweise ist diese Entwicklung aber auch bei Unternehmen feststellbar. Wenn dadurch Wertschöpfung entsteht, ist eine steigende Verschuldung möglicherweise vertretbar. Dies ist aber immer seltener der Fall. Dennoch sucht die immense – geld- und finanzpolitisch getriebene – Liquidität immer neue Anlagemöglichkeiten. Dadurch werden nicht nur höhere Schulden begünstigt, sondern auch unsinnige Anlagemodelle wie Tesla bis hin zu Betrugs-fällen wie Wirecard erst ermöglicht. Nun will die Deutsche Börse die Regeln verschärfen und insolvente Unternehmen direkt aus dem Top-Börsensegment ausschließen. Hier wird die Chance vertan, einen deutschen Leitindex zu schaffen, der tatsächlich einen Qualitätsmaßstab definiert. Schließlich entwickelt sich der Dow Jones u. a. besser, weil höhere Kontinuität bei den jeweiligen Werten besteht.

 

Die sehr seltenen Veränderungen im US-Leitindex sorgen für Qualität und schaffen Vertrauen bei Anlegern. Dem Index wird damit etwas zugestanden, was der US-Währung immer mehr abhandenkommt: der Ausweis als Leistungsindikator einer Volkswirtschaft. Inzwischen bemühen sich die Regierungen und Notenbanken viel mehr, ihre jeweilige Währung „kleinzureden“, um einen Wettbewerbsvorteil durch günstigere Exportpreise zu haben. Besonders negativ tut sich auch hier Donald Trump hervor, der die USA wirtschaftlich autark aufstellen und dann durch einen sehr günstigen Wechselkurs erreichen will, dass sein Staat besonders exportstark wird, indem er zusätzlich die Marktzugänge für ausländische Unternehmen erschwert. Derzeit scheint ihm die Corona-Pandemie an dieser Stelle zu helfen. Durch die in den USA nach wie vor explodierenden Krankheitszahlen wird der US-Dollar immer schwächer. Es werden weitere geldpolitische Maßnahmen und eine schwächere Wirtschaftsentwicklung eingepreist. Ein Scheitern des EU-Gipfels könnte hier für eine Gegen-bewegung sorgen. Schließlich könnten dann ganz schnell Sorgen um den Zusammenhalt der EU nach dem Ausstieg Großbritanniens, aber auch um die Eurozone aufkommen.

 

Seit rund zwei Wochen erlebt Silber – nahezu unbemerkt durch den öffentlichen Fokus auf den Goldpreis – eine starke Rallye mit Zuwächsen von mehr als 3,5% pro Woche. Damit entwickelt sich Silber aktuell deutlich besser als Gold und holt so die seit Jahresanfang 2020 noch schwächere Wertentwicklung sukzessiv auf. Dies passt in das Bild insgesamt recht freundlicher Kursentwicklungen bei industriell benötigten Rohstoffen, während Gold deutlich weniger stark hinzugewinnt. Allerdings zeigte sich in den letzten Tagen vor allem beim Ölpreis eine nachlassende Dynamik. Seit Jahresanfang hat der Energierohstoff fast 35% an Wert verloren. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie in Europa waren die Verluste noch stärker. Nun spitzt sich die Lage in den USA, Indien, Südamerika, aber auch Hong Kong und Japan wieder bzw. weiter zu. Dies wird den Bedarf an Rohstoffen reduzieren und zu eher fallenden Preisen führen. Die in den letzten Tagen leicht abwärts-gerichte Entwicklung des Ölpreises sehen wir daher als Signal für eine beginnende Korrektur. Es war auffällig, dass die verhaltene Entwicklung erfolgte, obwohl China mit eher positiven Konjunkturdaten teilweise überrascht und eigentlich für steigende Preise hätte sorgen können.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.