Weltwirtschaft bei 60 bis 80% der Vor-Corona-Zeit

Veroeffentlichungen

Marktupdate 28/2020

Markus Schön, Dienstag 14. Juli 2020

 

Es bleibt eine seltsame Situation. Obwohl die Corona-Pandemie an den Kapitalmärkten immer weiter in den Hintergrund rückt, werden viele Nachrichten, die sonst tagelang diskutiert worden wären, kaum wahrgenommen. So wird die Neubesetzung des Chefpostens der Eurogruppe mit dem irischen Finanzminister Donehoe zur Kenntnis genommen; über die Auswirkungen dieser Personalie auf die Finanzpolitik der Eurozone hört man wenig. Dabei steht der neue Eurogruppen-Chef für eine liberale Geldpolitik, die relativ gut zu den geplanten Maßnahmen der EU-Corona-Hilfen passen würde. Allerdings sind diese zwischen den EU-Staaten heftig umstritten. Neben der Frage, wie die Hilfsgelder einzusetzen wären, herrscht vor allem Streit, ob die Gelder als Kredite oder nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährt werden sollen. Kredite würden die Verbindlichkeiten von ohnehin schon hoch verschuldeten und besonders von der Pandemie betroffene Staaten weiter erhöhen. Damit sinkt die Bonität und die Fähigkeit, Zukunft zu gestalten. Entsprechend groß sind die Risiken eines weiteren Auseinanderdriftens der EU, die bis zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone führen könnten. Schon jetzt zeigt die EU-Konjunkturschätzung die Dramatik der Unterschiede. Während – entgegen unserer Erwartung – die Rezession in Deutschland etwas weniger schlimm werden soll, wird die Wirtschaftsleistung in der EU noch stärker als erwartet zurückgehen. Während in Deutschland ein Minus von „nur noch“ 6,7% erwartet werden, droht Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone 10% zu schrumpfen. Wenn man diese Differenzen nicht ausgleichen kann, werden die Spannungen in Europa immer größer. Sollte dann sich die Corona-Pandemie weiter verschärfen, entwickelt sich Europa von einer Staatengemeinschaft zurück in eine einzelstaatliche Struktur. Dann wird Europa den internationalen Einfluss noch weiter verlieren, als dies schon jetzt erfolgt. China und Russland setzen immer stärker ihre eigene Werte durch.

 

So reagiert China unbeeindruckt auf die internationale Kritik zum Hongkonger Sicherheitsgesetz. Lediglich auf die Kritik aus Australien antwortete mit dem Hinweis, man verbitte sich Einmischungen in innere Angelegenheiten. Zusammen mit Russland hat man sich in Syrien auf die Seite des Machthabers Assad gestellt, auf die Schließung eines weiteren Grenzübergangs zur humanitären Versorgung zu bestehen. Die Verhandlungsführer Deutschland und Belgien sind mit eigenen Vorschlägen und selbst einem weniger kurzfristigen Zeitplan gescheitert. In dieser Phase sind die USA politisch faktisch vollständig abgetaucht. Neben dem beginnenden Wahlkampf sind die USA mit explodierenden Corona-Infektionen konfrontiert. Diese auch weltwirtschaftliche kritische Entwicklung zeigt die Kurzfristigkeit, mit der die USA unter dem Präsidenten Donald Trump agieren. Je langsamer der Erfolg umsetzbar ist, umso weniger ist Trump daran interessiert, sich in Lösungsfindungen einzubringen. Umso interessanter wird nun sein, wie er sich zu einer Verlängerung der bis Juli 2020 befristeten Hilfsmaßnahmen positioniert. Einerseits muss er alles tun, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Andererseits sorgen immer weitere Hilfsprogramme für Arbeitslose und Kleinunternehmen für nachlassenden Spielraum bei weiteren Konjunkturprogrammen, die sein Konkurrent um die US-Präsidentschaft Joe Biden bei seiner Wahl schon versprochen hat. Trump ist derzeit innen- wie außenpolitisch in der Defensive. Seine einzige Antwort ist einen Aufschwung herbeizureden, den es nicht gibt. Ebenso wie in Deutschland und Europa verbessern sich konjunkturelle Daten. Aber natürlich müssen Exporte, Industrieaufträge und Stimmungsindikatoren im relativen Vergleich besser werden. Tatsächlich liegt man aber je nach Branche bei 60 bis 80% des Vor-Corona-Niveaus. Entsprechend wäre ein Dax bei 9.500 Punkten und ein Dow Jones bei 21.000 Punkten realistischer bewertet. Jetzt ist die Frage, ob die Märkte mit den höheren Kursen die Zukunft oder eine Utopie handeln. Blickt man auf den neuerlichen Lockdown im australischen Melbourne oder auf die Infektionszahlen in Japan, Südkorea oder Israel, die auf eine zweite Welle der Corona-Pandemie deuten, spricht einiges für eine utopische Bewertung. Daher sind Gewinn-mitnahmen weiterhin sinnvoll.

 

Das gilt auch für Anlehen. Trotz Negativrenditen von aktuell knapp -0,50% p. a. werden deutsche Staatsanleihen immer weiter gekauft. Immer mehr Investoren scheinen zu akzeptieren, in 10 Jahren nur noch 95.000 Euro statt ursprünglich angelegter 100.000 Euro zu erhalten. Möglicherweise ist dies für Anleger, die bei Anlage in Gold zehn Jahre warten mussten, bis sie ihren Kapitaleinsatz wieder erreicht hatten, kein schlechtes Geschäft. Gerade in diesem Umfeld sollte jedoch kein Anleger dauerhaft Negativrenditen akzeptieren, sondern lieber jetzt Gewinne realisieren und auf neue Chancen bei erstklassigen (Unternehmens-)Anleihen warten. Wichtig ist jedoch, weiterhin auf unabhängige Expertise zu setzen, damit man solche Reinfälle wie Wandelanleihen von Wirecard vermeidet. Diese waren genauso unsinnig wie Aktien und Anleihen des Unternehmens. Dennoch gibt es auch jetzt professionelle Anleger, die überrascht auf den drohenden Totalausfall reagieren. Von professionellen Anlegern hätte man zu Recht mehr Expertise erwarten müssen.

 

Aber sehr viele Anbieter halten kein entsprechendes Fachwissen mehr vor. Das inzwischen chinesischen Eigentümern gehörende Bankhaus Lampe gibt das Aktien-Research gerade auf. Die Deutsche Bank will enger mit Google zusammenarbeiten. Die – zwar dementierten, aber dennoch offensichtlichen – Risiken für Kunden des größten deutschen Kreditinstituts sollte man nicht unterschätzen. Insofern verwunderte die positive Reaktion an den Aktienmärkten auf diese Kooperation. Bankwerte sollte man weiterhin konsequent meiden und ggf. vorhandene Positionen in US-Bankwerten verkaufen. Wir rechnen in dem Sektor mit der beginnenden Berichtssaison zwar mit positiven, aber eher aus dem Investment-Banking stammenden Überraschungen. Nachhaltig ist dies nicht. Zusammen mit einer unveränderten Geldpolitik der EZB drohen am Aktienmarkt eher weiter nervöse Bewegungen, von denen sich selektiv Einzelwerte wie SAP in Deutschland, Gilead oder Disney in den USA oder Glencore in Großbritannien teilweise entkoppeln können.

 

Dem Auf und Ab an den Kapitalmärkten konnte sich auch der Euro nicht entziehen. Zum Wochenbeginn verlor die Gemeinschaftswährung – insbesondere gegenüber dem US-Dollar, aber auch im Vergleich zu den rohstoffnahen Währungen – an Wert, bevor die EZB-Präsidentin Lagarde ankündigte, die expansive Geldpolitik nicht noch stärker auszuweiten. Hintergrund ist die Einschätzung einer Stabilisierung der Wirtschaft, die der Konjunkturprognose der EU allerdings widerspricht. Möglicherweise will die EZB das derzeit als positiv wahrgenommene Umfeld nutzen, weitere Expansionsschritte hinauszuzögern, wenn sich die Situation in den nächsten Monaten wieder zuspitzt. Schließlich wird die Entwicklung der Corona-Pandemie in den USA den Welthandel weiter beeinträchtigen. Diese Risiken haben natürlich auch zu einer Abschwächung des US-Dollars beigetragen. Umso überraschender ist der Anstieg des Russischen Rubel, der von einer leichten Stabilisierung bei den dortigen Corona-Infektionen profitiert, aber vor allem aufgrund der steigenden Rohstoffpreise hinzugewinnen kann. Hier hilft der Volkswirtschaft insgesamt eine eher geringe Verschuldung und entsprechenden Handlungsoptionen.

 

Schließlich gehört Russland zu den Ölproduzenten, die auch bei relativ niedrigen Preisen kostendeckend produzieren können. Natürlich bleiben die ökologischen Ansprüche dort vielfach hinter den Erwartungen zurück, aber dies ist für den Rohstoffsektor eine der größten Herausforderungen unabhängig von Corona. Schließlich wird auch Gold immer aufwändiger und ökologisch fragwürdiger abgebaut. Dennoch wurde es an den Kapitalmärkten positiv gesehen, dass der Goldpreis erstmals seit fast 10 Jahren wieder über die Marke von 1.800 US-Dollar gestiegen ist. Bei diesem Jubel wird vergessen, dass viele Anleger in Goldanlagen 10 Jahre später wieder ihr eingesetztes Kapital erreicht haben. Wer auf eine unserer Vermögensverwaltungslösungen gesetzt hat, hat in diesem Zeitraum wesentlich höhere Wertzuwächse, auch weil wir im Rohstoffsektor aktiver agieren und Silber präfieren. Das Edelmetall wird industriell benötigt und kann in freundlichen Marktphasen deutlich stärker hinzugewinnen. So hat Silber im Wochenvergleich 4% hinzugewonnen, während Gold mit rund 1% auf dem Niveau sonstiger (industrieller) Rohstoffe wie Kupfer oder Erdöl lag. Durch die Unsicherheit werden Edelmetalle – vor allem Silber und Platin – weiter an Wert gewinnen.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.