Phantasie wird zum neuen Wertmaßstab

Veroeffentlichungen

Marktupdate 27/2020

Markus Schön, Dienstag 07. Juli 2020

 

Die Arbeitslosigkeit in den USA ist – Stand mit Juni 2020 – auf rund 11% gesunken. Wenn dieser Wert – eher still und heimlich – nach oben korrigiert wird, spielt dies an den Kapitalmärkten vermutlich keine große Rolle. Schließlich erfolgt die Anpassung so spät, dass man schon wieder auf eine weitere Belebung des US-Arbeitsmarkt setzen kann, obwohl die USA in diesen Tagen einen Corona-Negativrekord nach dem anderen aufstellen. Aber dies spielt an den Kapitalmärkten keine Rolle. Schließlich mehren sich die Stimmen für ein weiteres Konjunkturpaket in den USA, aber auch in Deutschland kommen erste Stimmen auf, die eine weitere konjunkturelle Unterstützung fordern. Dies ist auf mehreren Ebenen eine fatale Entwicklung. Insbesondere in Deutschland wartet man nicht, ob die beschlossenen Maßnahmen die Konjunktur hinreichend stabilisieren. Stattdessen will man weitere Schulden machen, um neue Ideen umzusetzen. Es wird ausgeblendet, wie eine zunehmend explodierende Verschuldung jemals zurückgezahlt werden soll. So verspielt Deutschland sehr schnell seine gute Basis, die man sich durch die Haushaltsdisziplin der Vorjahre erarbeitet hatte. Natürlich ist man dadurch besser aufgestellt als viele andere Staaten und insbesondere die USA. Dort wird nicht abgewartet, bis sich die Pandemie entspannt, sondern schon die Überlegung weiterer Konjunkturmaßnahmen sendet ein Signal aus, sozusagen mitten in die Gesundheits-krise hinein zu konsumieren. Es entsteht das Risiko einer ungebremsten Abwärtsbewegung, weil Konjunkturpakete in der Krankheitsentwicklung hinein wirkungslos bleiben und so die Verschuldung ohne positiven Effekt steigt. Dies alles ist an den Kapitalmärkten egal. Die Staaten verschulden sich ohne jede Restriktion und werden dabei von den internationalen Notenbanken unterstützt. Damit ist die Betrachtung fundamentaler Daten außer Kraft gesetzt und begünstigt Fehlallokationen in einem nie gekannten Umfang. Damit steigen die Anlagerisiken weiter.

 

Diese Abkehr von Fakten und fundamentalen Daten muss zu Ende gehen, sonst endet dies in einer wirtschaftlichen Katastrophe. Immer neue Schulden werden nicht zu bezahlen sein; gleichzeitig sinkt das Vertrauen in die Notenbanken, wenn diese die Schulden immer weiter finanzieren. Es entsteht eine Vermögenspreisinflation, die Entwicklungen wie bei Wirecard und anderen Anlagebetrugsfällen erst möglich macht. Die starken Kursausschläge dort und das Interesse der Deutsche Bank ein illusorisches Geschäftsmodell zu stützen, zeigen die fehlende Risikobewertung, die durch das günstige Geld begünstigt wird. Ohne diese „Kapitalmarktdroge“ wäre Tesla nie zum wertvollsten „Automobilhersteller“ der Welt aufgestiegen. Mit sehr mäßigen Gewinnen, sinkenden Verkaufspreisen und geringen Produktionsvolumina ist Tesla an der Börse höher bewertet als der bislang wertvollste Automobilkonzern Toyota, der allerdings mehr als 2.500 Mal so viele Autos verkauft wie Tesla und wesentlich nachhaltiger produziert. In einem normalen Zinsszenario hätte Tesla keine Banken, Fondsgesellschaften und Versicherer gefunden, die den Unsinn finanzieren. Jetzt wird nach dem Motto agiert, „keine Zinsen haben wir schon, vielleicht macht man den Jahrhundertgewinn“. Diese Spekulation sorgt für Preisblasen auch bei Gold und Palladium, ohne dass dies vielen Anlegern wirklich bewusst ist. Deswegen ist jetzt vielleicht die gefährlichste Phase an den Kapitalmärkten seit Ausbruch der Pandemie. Neben den staatlichen und geldpolitischen Maßnahmen werden viele Kurse von der Hoffnung auf Besserung gestützt. Wenn allerdings in der größten Volkswirtschaft 0,5% der Bevölkerung aktuell mit dem Corona-Virus infiziert sind und keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung zu stoppen, wird nicht nur der US-Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten enttäuschen, sondern die gesamte Weltwirtschaft belastet werden. Diese Schwäche will insbesondere China nutzen und vereinbart jetzt eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Iran. Klarer kann das Signal gegen die USA nicht sein, mit denen ja immer noch keine Lösung im Handelsstreit gefunden ist. „America first“ – zuletzt mit dem Aufkauf des Medikaments Remdisivir – trifft auf „China zuerst“. Das über ein Hilfspaket zerstrittene Europa droht dabei vollständig ins Abseits zu kommen.

 

Dieses Risiko wird an den Kapitalmärkten zumindest immer wieder einmal angedacht. So sorgte zur Wochenmitte das ergebnislose Brexit-Treffen für Druck auf die britische Währung und Staatsanleihen. Aber auch Deutschland konnte sich von dieser Entwicklung nicht entkoppeln, da die als Hort der Stabilität geltenden, deutschen Staatsanleihen ebenfalls fielen. Dennoch bleibt die Rendite für deutsche Staatsanleihen mit knapp – 0,45% p. a. im 10-Jahresbereich deutlich negativ. Aber selbst bei 30 Jahre laufenden Bundesanleihen hat man faktisch eine 0%-Rendite. Umso interessanter ist die Mitteilung der staatseigenen KfW, sich – trotz Corona-Kreditvergaben in großem Umfang – weniger Anleihen emittieren zu müssen. Vermutlich kann die Förderbank viele Refinanzierungen als Schuldschein-darlehen bei großen Kapitalsammelstellen platzieren. Werden solche Entwicklungen repräsentativ für den Rentenmarkt trifft eine stark steigende Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten auf ein viel langsamer steigendes Angebot an Zinspapieren. Dies sorgt für steigende Kurse.

 

Gerade für konservative Anleger ist es eine gute Nachricht, aber trägt eben zur Verzerrung der Marktpreisbildung bei. So entsteht dann das Interesse der Deutsche Bank an Geschäftsfeldern von Wirecard, obwohl das Unternehmen operativ wohl nie Geld verdient hat. Vermutlich ist dies eine weitere Parallele zu Unternehmen wie Tesla. Nicht aus dem Blick sollte man in diesem Zusammenhang die Rücktritte bei der Commerzbank verlieren. Zwar übernehmen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender die Verantwortung für die gescheiterte Strategie „Commerzbank 5.0“, aber durch die enge Beziehung zu Wirecard könnten dort noch erhebliche Kreditrisiken zu Tage treten, die bislang an den Aktien-märkten wenig Beachtung fanden. Vielleicht überlegt sich auch die Deutsche Bank lieber Kreditrisiko in Eigenkapital zu verwandeln als hohe Kreditabschreibungen vornehmen zu müssen. Mit Blick auf die wesentlich langsamer als erwartet erfolgende Erholung sollten gerade Aktienanleger die Risiken, die momentan in dem Segment vorhanden sind, nicht unterschätzen. Aktien sind nicht immer werthaltig.

 

Wie schwierig es ist, in diesem Umfeld manche Nachrichten einzuordnen, zeigt die Entwicklung beim Russischen Rubel. Obwohl Kapitalmärkte Kontinuität vielfach schätzen, wurde der Ausgang des russischen Referendums, das Wladimir Putin eine (theoretische) Amtszeit bis 2036 ermöglicht, kritisch gesehen. Der Russische Rubel kam unter Druck und durchbrach wieder die Marke von 80, obwohl der Ölpreis nur moderat korrigierte und andere rohstoffnahe Währung eher leicht hinzugewinnen konnten. Dabei war vor allem der Anstieg des Mexikanischen Peso überraschend, da dort die Corona-Krankheitszahlen – ähnlich wie in den USA – immer neue Rekordwerte erreichen. Aber auch der US-Dollar kommt nicht wirklich unter Druck, was die positive Stimmung an den Aktienmärkten nur noch unverständlicher macht. Schließlich könnten in einem sehr positiv gedachten Szenario die vordergründig guten US-Arbeitsmarktdaten auf die von Donald Trump so sehnlich erhoffte Wirtschaftsbelebung deuten. Diese fiele dann deutlich stärker als in Europa aus und müsste damit die US-Währung unterstützen. Derzeit ist die Entwicklung im Währungsbereich mit „orientierungslos“ am besten beschrieben.

 

Die Rohstoffe sind der Aktienmarktentwicklung gefolgt. Besonders sticht hier der Energierohstoffsektor hervor, da sowohl Öl und Gas jeweils um ca. 5% im Wochenvergleich hinzugewinnen konnten. Seit Jahresanfang 2020 sind dort aber immer noch Verluste zwischen 35% und 50% zu verzeichnen. Positiv aus unserer Sicht war wieder die erfreuliche Entwicklung des Silberpreises, der zusammen mit den industriellen Rohstoffen wesentlich stärker als beispielsweise Gold stieg. Durch die stärkeren Ausschläge im Gesamtjahr ist die Entwicklung beim Silber jedoch schwächer als beim Gold, bei dem an anderer Stelle ein aus unserer Sicht gravierendes Risiko droht. Neben Amerika entwickelt sich Südafrika immer mehr zu einem weiteren Zentrum der Corona-Pandemie. Dort befinden sich wichtige Goldminen, bei denen längerfristige Lieferengpässe die Verfügbarkeit von physischem Gold stark beeinträchtigen können. Wenn dann Marktteilnehmern klar wird, dass lediglich knapp 1,5% des an Börsen gehandelten Goldes vorhanden ist, kann dies für einen steilen Anstieg mit einem umso stärkeren Absturz der Goldkurse sorgen. Deswegen halten wir weiterhin Silber und Platin für die wesentlich besseren Alternativen.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.