Situation in den USA spitzt sich zu, während Corona in Europa in den Hintergrund tritt
Marktupdate 26/2020
Markus Schön, Dienstag 30. Juni 2020
Die Corona-Pandemie war und ist auch aktuell teilweise in den Hintergrund gerückt, nachdem die Infektionszahlen in Europa stark zurückgegangen waren. Dabei hatte man vielfach die globale Entwicklung aus dem Blick verloren. Weltweit tobt die Pandemie mit steigender Intensität weiter. Wie wir in u. a. in unserem Schön&Co-Research zu Corona auf unserer Homepage darstellen, liegt die Quote der aktiven Infektionen zwar unter 50% aller Erkrankungen; durch die absolut stark steigende Zahl erreicht die Anzahl der weltweit Erkrankten täglich neue Rekordwerte. Wieder mehr in die Öffentlichkeit kam diese Entwicklung durch regionale „Hotspots“, in deren Folge der größte Fleischproduzent Deutschlands in Bedrängnis kommt. Losgelöst von Ursache und Verantwortlichkeit zeigt es, dass auch ein bislang wirtschaftlich sehr gesunder Konzern mit über 7 Mrd. Euro Umsatz sehr schnell vor gravierenden wirtschaftlichen Herausforderungen stehen kann. Es sind sehr ungewisse Zeiten, obwohl an den Kapitalmärkten eine entspanntere Wahrnehmung herrscht. Zurückzuführen ist dies auch auf die Versuche der US-Regierung das Corona-Problem kleinzureden. Dabei werden dort immer neue Negativrekorde in der Ausbreitung des Corona-Virus aufgestellt. Während sich die Situation in New York tatsächlich entspannt hat, spitzt sich die Lage in über 30 US-Bundesstaaten zu. Dazu zählen mit Kalifornien, Florida, South Carolina und Texas auch wirtschaftsstarke Regionen. Entsprechend fragwürdig sind Prognosen für die Weltwirtschaft, die von einer schnellen Erholung ausgehen. Die USA steuern auf eine Krise zu, die die ohnehin vor Corona geschwächte und durch den Virus tief erschütterte Wirtschaft wesentlich stärker belasten wird, als dies derzeit an den Aktienmärkten wahrgenommen wird. Dort werden die positiven Erwartungen deutlich stärker als die aktuelle Lage gewichtet. Wenn die erhofften Effekte durch die Lockerungsmaßnahmen – sofern sie durchgehalten werden können – ausbleiben, sind die positiven Erwartungen falsch.
Hier gibt es derzeit sehr viel „Subtext“, der die Ungewissheit zeigt. So regte der deutsche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nicht ohne Grund eine Ausweitung der Öffnungszeiten an. Die Menschen kaufen derzeit eher weniger, weil die Gewöhnung an die Beschränkungen das „Kauferlebnis“ mindert und die Zukunftssorgen auch den Konsum bremsen. Inwieweit sich dies in Deutschland durch die Reduzierung der Mehrwertsteuer ändern wird, ist mehr als fraglich. Aber auch international zeigt der aktuelle Bericht des Sportartikelherstellers Nike, wie groß die globalen Herausforderungen sind. Für das Jahr 2020 erwartet der US-Konzern einen Gewinnrückgang um ca. 30%, nachdem das 1. Quartal 2020 – für viele Analysten überraschend – mit einem Verlust verbunden war. Das 2. Quartal 2020 dürfte noch wesentlich schlimmer sein, weil sich in dieser Zeit die Situation in den USA erst zuspitzte. Mit den dramatisch steigenden Neuerkrankungen in vielen US-Bundesstaaten ist mindestens dort kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Zwar versucht Donald Trump dies zunehmend herbeizureden, aber gegen einen Virus ist sein Politikstil weitgehend machtlos. Deswegen versucht er die Aufmerksamkeit auf andere Themenfelder zu legen. Hier rächt sich aber seine konfrontative Politik, weil er den Druck kaum weiter erhöhen kann, ohne neue wirtschaftliche Risiken einzugehen. So wurde der „Testballon“ des Scheiterns der Handelsgespräche mit China ebenso schnell zurückgezogen wie die Festlegung, welche europäische Produkte man in einem weiteren Schritt mit US-Strafzöllen versehen werde. Spätestens jetzt müsste zielgerichtete Politik in den USA gemacht werden, Trump ist aber in einem Wahlkampfmodus gefangen, der sinnhafte Politik unmöglich macht. Tatsächlich wird seine Wiederwahl nun auch aus unserer Sicht etwas weniger wahrscheinlich, zumal sich die öffentliche Meinung gegen die von Trump so geliebten sozialen Medien wendet. Derzeit spürt dies vor allem Facebook, da sich der Konzern weigert, stärker gegen Rassismus, Hasskommentare und Lügen vorzugehen. Es ist aber nicht ein Aufschrei der Nutzer, sondern ein Rückzug der Werbekunden, der Facebook unter Druck setzt. Es ist spannend, ob anderen Kunden die sinkenden Werbepreise nutzen und so den wirtschaftlichen Effekt weitgehend ausgleichen. Dann wird Facebook sich kaum ändern.
Trump könnte dies dann helfen, auch wenn Facebook nicht sein favorisiertes Medium ist und Twitter bislang mehr Konsequenz zeigte, aber derzeit sprechen die real-wirtschaftlichen Daten eine deutliche Sprache gegen den US-Präsidenten. Viel mehr Unterstützung als derzeit wird er jedoch von der US-Notenbank kaum erwarten können, die nun auch US-Unternehmensanleihen kauft und dabei vor eher schwachen Bonitäten wie dem US-Handelskonzern Walmart nicht zurückschreckt. Trotz dieser – fast weltweit stattfindenden – Käufe von Unternehmensanleihen des jeweiligen Währungsraumes reagieren die Zinspapiere auf Nachrichten zunehmend nervös. Diese Schwankungen bieten aktiv agierenden Marktteilnehmern Chancen, während eine passive Strategie „kaufen und halten“ noch schwieriger geworden ist. Hierzu tragen sicherlich auch Marktverwerfungen bei, für die in Deutschland in den letzten Tagen insbesondere Wirecard verantwortlich war. Die dort vor weniger als einem Jahr mit Topbewertung emittierte Anleihe dürfte für Anleger ein Ausfall werden.
Zwar hat man etwas mehr Chancen auf einen Rückfluss als bei der Wirecard-Aktie, da eine Anleihe stets eine höhere Sicherheit als eine Aktie hat, aber wer in Wirecard investierte, musste immer mit dem Zahlungsrisiko leben. Allerdings ist die Schnelligkeit der Insolvenz schon überraschend. Damit hat der DAX auch seine erste Firmenpleite in einer historischen Zeit – aber nicht als Folge dieser – zu verkraften. Unsere kritische Einschätzung wurde an verschiedenen Stellen – u. a. n-tv und Handelsblatt – auch medial aufgegriffen. Durch die dynamischen Entwicklungen und die große Wahrnehmung traten zwei andere Nachrichten fast in den Hintergrund. Für uns völlig überraschend hat der Lufthansa-Großaktionär entgegen seiner bisherigen Haltung dem Rettungspaket zugestimmt. Dies ist so intransparent, dass man die Aktie nun eher meiden sollte. Völlig anders ist die Entwicklung bei Bayer. Der Chemiekonzern hat sich im Streit in den USA um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat geeinigt. Die Kosten sind mit rund 10 Mrd. Euro hoch, aber für Bayer verkraftbar.
Dieser Vergleich zeigt, dass auch deutsche Unternehmen trotz der für Bayer eher überraschend schwierigen Entwicklungen internationale Übernahmen leisten können. Möglicherweise kann so etwas zukünftig als Indikator für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft gelten, wenn schon der Außenwert einer Währung diese Rolle zunehmend verliert. Schließlich bemühen sich alle Notenbanken, ihre eigene Währung zu schwächen, um damit der jeweiligen Wirtschaft einen Exportvorteil zu verschaffen. Eine nachhaltige Geldpolitik ist dies nicht, zumal es ein internationaler Wettlauf ist, bei dem gerade die US-Notenbank etwas ins Hintertreffen geraten zu sein scheint. Der US-Dollar dürfte – trotz der Insolvenz des US-Fracking-Pioniers Chesapeake – eher wieder Richtung 1,11 steigen. Von dieser Entwicklung auf dem Energierohstoffmarkt werden mindestens perspektivisch die rohstoffnahen Währungen profitieren. Nach unserer Einschätzung zählt hierzu neben dem Russischen Rubel auch der Mexikanische Peso, der aber in den letzten Tagen unter der Zuspitzung der Corona-Pandemie auch dort litt. Durch das Zinsniveau dort sind Währungsbeimischungen dort weiterhin interessant.
Das US-Frackingunternehmen Chesapeake war schon längere Zeit Spielball von Aktienspekulanten. Dennoch zählte es mit einem Umsatz von rund 10 Mrd. US-Dollar zu den 500 größten Unternehmen der USA. Mit der Insolvenz versucht man, sich von der Schuldenlast zu befreien. Entsprechend werden vermutlich die Förderkapazitäten nicht spürbar sinken. Vielmehr ist es ein Signal, dass selbst ein Ölpreis von 40 US-Dollar für viele Anbieter nicht dauerhaft kostendeckend ist. Davon werden Produzenten in Saudia-Arabien, Russland, Mexiko und Norwegen profitieren. Daher wird es zunächst wieder sinkende Preise Richtung 30 US-Dollar geben, bevor – zusammen mit der von uns erwarteten, moderaten Erholung der Wirtschaft – der Ölpreis auf bis zu ca. 60 US-Dollar steigen wird. Davon profitieren auch andere industriell benötigte Rohstoffe, so dass Silber den feststellbaren Aufwärtstrend stärker als Gold fortführen wird und auch die weiteren Industriemetalle eher steigen werden. Fraglich ist die Entwicklung beim Palladium, da es immer noch interessant ist, dies in der industriellen Produktion durch Platin zu ersetzen, das aus unserer Sicht noch größeres Kurspotenzial hat.
Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.