Große Ausschläge bei Wirecard – mehr als 25% Tagesverlust

Veroeffentlichungen

Marktupdate 25/2020

Markus Schön, Dienstag 23. Juni 2020

 

Obwohl im Wochenvergleich die Marktbewegungen nicht so stark wie in den Vorwochen gab, waren die Ausschläge an einzelnen Handelstagen sehr groß. Bei den Einzelwerten hat hier sicherlich Wirecard einen neuen Maßstab gesetzt. Schließlich hat sich der Wert um 2/3 am Donnerstag und mehr als 25% am Freitag ermäßigt. Einen höheren Tagesverlust hatte als DAX-Wert nur die Hypo Real Estate zu verkraften, die dann im Zuge der Finanzkrise staatlich gerettet werden musste. Bei Wirecard dürfte morgen der Abverkauf weitergehen, weil die Zentralbank der Philippinen heute klarstellte, dass die „vermissten“ 1,9 Mrd. Euro nicht bei einem Kreditinstitut dort zu finden seien. 

 

Die Frage ist nun nicht, der alten Börsenweisheit folgend „das Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anders“, ob es wirklich jemand anders hat, sondern vielmehr ob es jemals vorhanden war. Wir warnen seit vielen Jahren vor Wirecard, weil nicht nur die Bilanzpolitik seltsam erschien, sondern weder das Geschäftsmodell noch ein Alleinstellungsmerkmal zu erkennen waren. Bei Wirecard fühlt man sich eher an die Jahrtausendwende und den Hype um den Neuen Markt erinnert. Solidität wurde gern gegen „hippes Start-up-Auftreten“ eingetauscht. Insofern verwundert es, dass die Fondsgesellschaft DWS ernsthaft mit Klage-ankündigungen vorprescht. Vielmehr sollte sie dies im Stillen vorantreiben und vor allem ihren Investmentprozess überprüfen. In unserem Schön&Co-Research ist Wirecard nie über das Votum „Zahlungsausfall“ hinausgekommen. 

 

Anders sahen wir einige Jahre die Entwicklung bei der Deutsche Lufthansa. Die deutsche Fluggesellschaft hat sich im Wettbewerb – gerade im Wettbewerb mit arabischen und asiatischen Staatsfluggesellschaften – auch durch die Angebote in Wartung und Catering behauptet, aber spätestens ab dem Jahr 2019 verlor das Unternehmen den strategischen Fokus. Die notwendige Rettung ist nicht durch Corona verursacht, sondern beschleunigt worden. Wenn sich nun ein Großaktionär gegen diese stellt, ist es positiv.

 

Schließlich handelt es sich um den unternehmerisch geprägten Großaktionär Hans-Herrmann Thiele, der den Maschinenbaukonzern Knorr-Bremse bis in den MDAX geführt hat. Dort wird ab morgen auch die Deutsche Lufthansa gehandelt werden, der aber am kommenden Donnerstag bei der Hauptversammlung viel Dramatischeres als der Abstieg aus dem DAX droht. Setzt sich Thiele mit seiner Ablehnung des Rettungspaketes durch, droht die Insolvenz von Deutschlands größter Fluggesellschaft. Dann würde allerdings auch der Weg frei, das Unternehmen wirklich neu aufzustellen. Die Mehrmarkenstrategie muss ebenso als gescheitert verstanden werden wie der Wettbewerb im Billigsegment. Lufthansa muss in allen Feldern die Qualitäts-, aber nicht die Preisführerschaft anstreben. Zudem müssen den Logistik-, Wartungs- und Cateringbereichen für andere Fluggesellschaften größere Bedeutung beigemessen werden. In eine solche Richtung gehen die Überlegungen des Großaktionärs, der damit natürlich mehr Managementkompetenz einfordert. Daher steht am Donnerstag bei der Hauptversammlung die Frage im Raum, ob man bei einem börsennotierten Unternehmen mehr Markt wagen will oder auf mehr Staatskapitalismus setzen will. 

 

Insofern ist die Frage der Lufthansa-Rettung möglicherweise ein Fingerzeig, wie sich die deutsche Volkswirtschaft insgesamt entwickelt. Der seit der Finanzkrise herrschende Trend, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, kann nicht richtig sein. So wird Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit immer weiter einbüßen. Schließlich zeigen die USA mit einem weiteren Konjunkturpaket über 1 Billion US-Dollar und einer Notenbank, die Unternehmensanleihen und Investment-fonds kauft, wie kompromisslos dort die Marktwirtschaft – allerdings auch dort auf Kosten vieler Menschen – wieder in Gang gesetzt werden soll. Aus Sicht Donald Trumps soll dafür am besten Deutschland bezahlen, dass ja den USA aufgrund zu geringer Verteidigungsausgaben genau 1 Billion US-Dollar schulde. Die Wirkung solcher Vergleiche bei der Kernwählerschaft Trumps darf man nicht unterschätzen, auch wenn die Wiederaufnahme seines Wahlkampfs durch die vielen leeren Plätze eher misslungen war. Eine zweite Amtszeit schon jetzt auszuschließen, wäre verfrüht und aus unserer Sicht eine fatale Fehleinschätzung.

 

Die Risikobereitschaft der US-Bevölkerung sollte nicht unterschätzt werden. Möglicherweise wird der Mut – oder eher die Dummheit – Trumps belohnt, trotz erneut steigender Infektionszahlen jetzt wieder Wahlkampf zu machen und einen weiteren Lockdown der US-Wirtschaft auszuschließen. Geht dieser Plan mit der inzwischen extrem expansiven Geldpolitik der US-Notenbank auf, dürfte die US-Wirtschaft vor dem Wahltermin im November 2020 wieder deutlich an Fahrt aufgenommen haben. Diesen Optimismus haben wir nicht, weil die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erst langsam ihre gesamten negativen Folgen entfalten. Dies wird zwar weiter extrem günstige Refinanzierungskosten für Unternehmen begünstigen, aber die Vorgänge bei Wirecard zeigen, dass ohne wirkliche Substanz auch kein wertschöpfender Effekt geschaffen werden kann. Deswegen sollte man neben den Aktien auch die – inzwischen auf Ramschniveau herabgestuften – Anleihen meiden. Die Ratingagenturen haben hier wieder gezeigt, dass sie ohne wirkliche Expertise nur reagieren.

 

Dabei ist es in dieser global nach wie vor unsicheren Lage entscheidend, objektive und unabhängige Expertise zu erhalten. Schließlich ist es eine bislang historisch einmalige Situation, die sich an den Aktienmärkten bislang nur durch Liquidität und die Hoffnungen auf die Wirksamkeit der Konjunkturpakete nicht mit deutlich niedrigeren Kursen bemerkbar macht. Dabei zeigt die Entscheidung von dem Warenhauskonzern Karstadt Kaufhof, rund 1/3 der Filialen zu schließen, wie groß die Gefahren u. a. im Einzelhandel sind. Kommt es zu einem flächendeckenden Personalabbau, drohen die konjunkturellen Impulse zu verpuffen und Deutschland kommt mit knapp 220 Mrd. Euro neuen Schulden und einer schwächeren Wirtschaft aus dieser Krise heraus. Dabei kann es nicht tröstlich sein, dass man innerhalb Europas dann besser positioniert ist als andere Staaten. Die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft entscheidet sich global. Auch mit diesem Blick hat der BASF-Vorstandsvorsitzende auf ein Über-nahmerisiko beim weltgrößten Chemiekonzern gewarnt.

 

Zwar hat man nun Erschwernisse bei der Übernahme deutscher Konzerne durch ausländische Investoren beschlossen. Für den globalen Wettbewerb und den Finanzplatz Deutschland ist dieser Ansatz nicht förderlich. Letztlich ist eine starke Volkswirtschaft immer der beste Schutz vor unerwünschten Übernahmen. Der Grundsatz, ein starker Außenwert der Währung spiegele die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft wider, kommt immer stärker aus der Mode. Angefacht von der Notenbankpolitik Japans sind insbesondere die USA dazu übergegangen, den Währungskurs des US-Dollars zunehmend exportorientiert zu sehen. Entsprechend bemühen sich immer mehr Staaten, um einen schwachen Außenwert ihrer eigenen Währung. Dieser Abwertungswettlauf hilft keinem, da ihn nahezu alle Staaten betreiben. Lediglich nicht ganz so „erfolgreich“ sind die Volkswirtschaften, die u. a. durch Rohstoffe als substanzstark gelten. Daher nutzen wir diese zur Diversifikation und haben in den letzten Tagen von den Gewinnen beim Australischen Dollar und Russischen Rubel profitiert, die weiter hinzugewinnen konnten.

 

Nicht zu den Gewinnern und damit den Profiteuren eines wieder gestiegenen Ölpreises zählte der Mexikanische Peso. Dort macht sich der starke Anstieg an Corona-Infektionen bemerkbar, der – trotz sicherlich zu früh erfolgter Lockerungen – ein Belastungsfaktor für die dortige Wirtschaft bleibt. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des deutschen Automobilherstellers Volkswagen, der sein mexikanische Werk wieder hochgefahren hat, aber weltweit eine Auslastung von 60 bis 70% verzeichnet. Dies wirkt dämpfend auf die industriell benötigten Rohstoffe, wenn sich diese Momentaufnahme verstetigt. Entsprechend stark sind die Schwankungen auch in diesem Bereich, auch wenn Öl und Silber gerade in den letzten Tagen wieder stärker hinzugewonnen haben. Das Edelmetall zeigt nun immer wieder das Aufholpotenzial zum Gold, während der Ölpreis neben der Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung von Diskussion um verlängerte und ggf. sogar neue Förderkürzungen profitiert. Letztlich scheint aber die Nachfrage weiterhin eher begrenzt zu sein, da die Lager-kapazitäten extrem gut gefüllt sind.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.