EZB schafft billiges, aber vor allem dummes Geld

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Marktupdate 23/2021

Markus Schön, Dienstag 15. Juni 2021

 

Diese Marktsituation erinnert an Pippi Langstrumpf und die Liedzeile „ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Derzeit scheint es, als spiele Realismus an den Kapitalmärkten keine Rolle. Die Inflationsdaten in den USA und Europa liegen – teilweise deutlich – über den Erwartungen. Da sich aber die Sicht eines temporären Problems durchgesetzt hat, sinken die Zinsen, die Aktienmärkte – mit Ausnahme des US-Leitindex Dow Jones – steigen weiter und die Edelmetallpreise fallen. Mindestens letzteres ist ein Ausdruck einer Sorglosigkeit, die langsam beängstigte Formen annimmt. Schließlich droht nicht Kaufkraftverlust durch die Inflation, sondern die Bewertungen für nahezu alle Anlageformen steigen immer weiter, weil die Notenbanken weltweit Geld in das Finanzsystem pumpen, das zunehmend überhaupt nicht mehr sinnstiftend verarbeitet werden kann. Warum dann gerade Gold, aber insbesondere Silber und Platin nicht weiter im Kurs steigen, sondern teilweise sogar an Wert verlieren, ist nicht nachzuvollziehen. Diese Irrationalität ist noch weniger zu erklären, wenn man beachtet, dass gleichzeitig die Zinsen wieder fallen. Die Kurse von US-Staatsanleihen sind in den vergangenen Handelstagen so stark wie seit einem Jahr nicht mehr gestiegen. Dies geschieht in einem extrem robusten Rohstoffumfeld. Die Nachfrage nach Industrierohstoffen ist hoch, trifft auf begrenzte Produktionskapazitäten und vor allem auf weiterhin gestörte Lieferketten, bei denen Deutschland und Europa zunehmend ins Hintertreffen geraten, weil Umweltschutz in den USA – trotz Joe Biden – und vor allem in China eine untergeordnete Rolle spielen. Dort werden Hafenanlagen eben so ausgebaut, dass dort immer größere Container-Schiffe anlegen können. Die von solchen Schiffen ausgehenden Gefahren werden ignoriert, solange diese günstigere Frachtraten ermöglichen.

 

An den Kapitalmärkten werden die genau durch ein so großes Container-Schiff verursachte Blockade des Suez-Kanals und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen schnell vergessen. Solange die Notenbanken Geld bereitstellen und die Zinsen niedrig bleiben, kann man an den Kapitalmärkten aus „Mist“ Geld machen. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich mit dem aus den USA herüberschwappenden Trend beschäftigt, bei dem sich Kleinanleger zusammenschließen, um bestimmte Aktien im Kurs zu treiben. Unsere Einschätzungen zu den entsprechenden Entwicklungen bei Gamestopp oder AMC wurden in so vielen Medien aufgenommen, dass man zurecht sagen kann, dass wir damit ein „Millionenpublikum“ erreicht hatten. Die US-Kleinanleger verfolgten aber immerhin mindestens ein strategisches Ziel: Sie konzentrierten sich auf Aktien, bei denen es viele Leerverkäufe gegeben hatte. Die Spekulanten mussten bei deutlich steigenden Kursen die leerverkauften Aktien wesentlich teurer zurückkaufen. In der Folge machten einzelne Hedgefonds Milliardenverluste. In Deutschland haben Kleinanleger als Ziel das 2015 an die Börse gegangene Unternehmen windeln.de entdeckt. Die Aktie war nach einer unglaublichen Bewertung im Jahr 2015 von über 500 Mio. Euro ein „penny-stock“ und sollte auf ein zweistelliges Kursniveau gebracht werden. Damit hätte man die aktuelle Marktkapitalisierung von 35 Mio. Euro wieder etwas in die Nähe der Bewertung beim Börsengang gebracht. Aber auch hier stellt sich die Frage nach dem Grund. Das Unternehmen setzt im Jahr rund 80 Mio. Euro um und häuft jährlich Verluste im zweistelligen Millionenbereich an. Substanziell ist der Wert – ähnlich wie bei Tesla – mit 0 Euro noch optimistisch. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund haben Anleger bei dieser Aktie in den sechs letzten Jahren über 90% ihres Wertes eingebüßt. Ohne Kapitalerhöhung oder „neues Geld“ wird auch windeln.de nicht überleben. Die am vergangenen Donnerstag nochmals bekräftigte expansive Geldpolitik der EZB wird es solchen Werten leicht machen, sich günstig zu refinanzieren. Es handelt sich aber um klassische Fehlanreize, weil das Unternehmen keinen Mehrwert schafft. Aber auch die Kleinanleger erreichen damit auch kein strategisches Ziel. Bei dem Unternehmen gibt es keine nennenswerten Positionen von Leerverkäufern. Hier wird möglicherweise der Kurs von Investoren nach oben getrieben, die die Naivität von Kleinanlegern ausnutzen. Die Unwissenheit scheint sich proportional zur Ausweitung der expansiven Geldpolitik zu verbreiten. So will die EZB über die Sommermonate ihr Anleihekaufprogramm ausweiten, um der nachlassenden Liquidität entgegenzuwirken. Das Problem ist allerdings nicht die sinkende Nachfrage in dieser Zeit, sondern das geringere Angebot. Finanzabteilungen von Unternehmen und Emissionen begleitende Banken sind durch Urlaub weniger stark besetzt. Nicht notwendige Geschäfte werden Richtung September verschoben. Dies weiß die EZB natürlich; setzt jedoch auf die Dummheit am Markt, um das wahre Ziel zu verschleiern: Die Zinsen sollen noch stärker fallen.

 

Dabei ist es den Notenbanken – trotz temporär steigender Inflation – doch gelungen, die Zinsen wieder zu drücken. Zwischenzeitlich war ein Zinsanstieg für zehn Jahre laufende deutsche Staatsanleihen Richtung 0% p. a. wahrscheinlich. Jetzt könnte über den Sommer das bisherige Jahrestief 2021 getestet werden. Schließlich bleibt die wirtschaftliche Erholung zumindest in Teilen hinter den Erwartungen zurück. Zwar erwarten u. a. die EZB und die Deutsche Bundesbank einen stärkeren Aufschwung, aber die Realität bleibt – wie so häufig – hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland ist völlig überraschend der Auftragseingang in der Industrie rückläufig gewesen, was sich durch den Rohstoffmangel eher verschlimmern dürfte. In den USA sind die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung immer noch 70% höher als vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019.

 

Trotz explodierender Rohstoffpreise und eher durchwachsener Konjunkturdaten besteht gerade an Aktienmärkten die Erwartung eines wirtschaftlichen Booms. Selbst wenn sich diese Einschätzung vollumfänglich erfüllt, sind die Bewertungen vieler Aktienwerte sehr hoch. Fundamental ist das Kursniveau einfach nicht gerechtfertigt. Der Vergleich zwischen dem relativ soliden Dow Jones und dem extrem stark fremdfinanzierten Nasdaq zeigt, dass nur die extrem niedrigen Refinanzierungskosten die Kurse treiben. Dabei haben unter dynamischen Inflationsentwicklungen vor allem Aktienwerte gelitten, die sich teilweise mehr als halbiert haben. Durch das historisch hohe Niveau an Fremdfinanzierungen wäre ein Einbruch bei anhaltender Inflation vermutlich noch viel größer. Gerade jetzt sind Aktien von erstklassigen Unternehmen mit niedriger Verschuldung nur als Beimischung sinnvoll.

 

Kombiniert man die Aktienbeimischungen mit Edelmetall-positionen und legt den Schwerpunkt auf Anleihen bietet der Fremdwährungssektor nun besondere Chancen. Gerade die rohstoffnahen Währungen profitieren überdurchschnittlich von der hohen Nachfrage in diesem Segment. Besonders stark konnte sich in den vergangenen Handelstagen der Russische Rubel entwickeln, der – neben dem steigenden Ölpreis – vor allem von der derzeit politisch ruhigen Phase profitieren konnte. Selbst bei dem G7-Treffen lag der Fokus der teilnehmenden, aber sicherlich nicht wirtschaftlich insgesamt führenden Staaten eher auf China. Dies wird sich in den nächsten Tagen sicherlich wieder etwas ändern, wenn es zum Treffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden kommen wird. Der neue US-Präsident verfolgt eher eine diplomatische Strategie, um seine Ziele zu erreichen. Dies könnte Russland und damit die russische Währung weiter stützen.

 

Sollte sich der Preisanstieg der letzten Monate bei den Rohstoffen fortsetzen, drohen erhebliche Verwerfungen der Weltwirtschaft. Vielfach wird dies schlicht nicht mehr zu bezahlen sein. Deswegen stellt man nach der Bekräftigung der expansiven Geldpolitik eine Sektor-Rotation fest, in der ebenso Unternehmen mit besonders großem Refinanzierungsbedarf profitieren wie Konzerne, die weniger stark von aktuell besonders nachgefragten Rohstoffen abhängig sind. Hierzu zählen u. a. auch Pharmawerte, die den Gesamtmarkt in den vergangenen Handelstagen insgesamt stabilisiert haben. Während dies weitgehend nachvollziehbar ist, überrascht – gerade vor dem Hintergrund der Stabilität von Industrie-Rohstoffen – die Schwäche der Edelmetalle. Während Silber und Platin mit knapp 6% bzw. rund 7% auf Jahressicht 2021 noch im Plus sind, weist Gold nun auch im Gesamtjahr 2021 eine negative Wertentwicklung auf. Die Übergewichtung von Silber und größere Beimischung von Platin im Vergleich zu Gold bestätigen sich in sehr guten Wertentwicklungen der Schön & Co Mandate.

 

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