Das Ende der Krise ist noch lange nicht in Sicht

Veroeffentlichungen

Marktupdate 23/2020

Markus Schön, Dienstag 09. Juni 2020

 

Es soll die schlimmste Krise seit dem 2. Weltkrieg sein, aber die Aktienmärkte weltweit kennen seit mehr als zwei Wochen nur eine Richtung: steil nach oben. Wer versucht, dies fundamental zu erklären, wird sehr schnell scheitern. Die Konjunkturdaten sind dramatisch; nur ganz wenige fallen besser als befürchtet aus, aber von einem Ende der Krise ist in vielen Regionen der Welt und vielen Branchen nichts zu spüren. Selbst in Deutschland müsste allen Marktteilnehmern die Zahl der Kurzarbeiter die Augen öffnen. 7,3 Millionen Menschen sind davon betroffen. Das sind fast 17% der Beschäftigten. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit auch in Deutschland. Bald ist jeder vierte Erwerbstätige von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen. Dies sind dramatische Zahlen, deren Ausmaß noch deutlicher wird, wenn man es mit der Finanzkrise 2008 vergleicht. Damals waren 1,5 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen. Der Absturz an den Kapitalmärkten war langsamer, aber wesentlich heftiger und die Erholung ließ länger auf sich warten. Nun mag man einwenden, dass Deutschland weder wirtschaftlich noch als Finanzplatz das Zentrum der Welt ist. Blickt man also in die USA ist – trotz einer leichten Erholung – die Arbeitslosigkeit dort so hoch wie während der Großen Depression 1929. Der damals höhere Prozentwert täuscht etwas, da man damals schon 14-jährige als arbeitslos erfasste. Relativ betrachtet liegt die Arbeitslosigkeit in den USA 20% höher als während der Finanzkrise. Gleichzeitig zerstört die weltweite Pandemie eine der beeindruckendsten Wachstumsgeschichten weltweit. Australiens Volkswirtschaft ist seit 1991 ununterbrochen gewachsen. Nach dem Rückgang im 1. Quartal 2020 wird dies nun in diesem Quartal zu Ende gehen. Auch wenn man vielfach die Krise nicht spürt, ist sie doch da und gefährdet ebenso wie das Virus selbst die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung weit mehr als viele Menschen – und insbesondere Akteure an den Kapitalmärkten – es wahrnehmen wollen.

 

Aktuell sieht es nach einem wunderbaren Umverteilungsprojekt aus: Je reicher man ist, desto besser ist die Chance zu profitieren. Selbst das hoch gelobte Konjunkturpaket in Deutschland begünstigt dies. Die höheren Abschreibungen für die Jahre 2020 und 2021 helfen Unternehmen, die Gewinne machen. Die Mehrwertsteuersenkung nützt vor allem Privatpersonen, die konsumieren können, aber ist geldpolitisch ein Ritt auf der Rasierklinge, den wir schon im Handelsblatt erläutert hatten. Mehrwertsteuererhöhungen haben immer einen Effekt zu einer steigenden Inflation. Das Risiko einer Senkung der Mehrwertsteuer liegt u. a. in einem dämpfenden Effekt auf die Geldentwertung, sofern die daraus folgenden Preisanpassungen weitergegeben werden. Andernfalls verpufft der konjunkturelle Effekt ohnehin. Nun hat aber die EZB am Donnerstag ihre Prognose für die Inflationsentwicklung in der Eurozone auf 0,3% für dieses Jahr zurückgenommen. Das Konjunkturpaket aus Deutschland ist dabei noch nicht berücksichtigt. Nach Berechnung aus unserem Schön&Co-Research drückt dies die EZB-Prognose bei einem unveränderten Anteil Deutschlands an der europäischen Wirtschaftsleistung auf eher 0,1%. Damit droht – aus unserer Sicht erstmals ernsthaft – ein Abrutschen Deutschlands und der Eurozone in eine Deflation, obwohl EU, EZB und neben Deutschland auch andere Staaten das Geld mit vollen Händen ausgeben. Ein solches Szenario wäre der Kontrollverlust. Die wirtschaftlichen Folgen wären unabsehbar, weil dies ein Szenario ist, gegen das eine ohnehin schon extrem expansiv ausgerichtete Geldpolitik kaum eine Chance hätte. Es ist ein Denkmodell, weshalb es in den nächsten Monaten an den Kapitalmärkten nochmals sehr ungemütlich werden kann. Derzeit scheinen alle Probleme durch unglaubliche Geldmengen weggespült zu werden. Fundamental ist dies natürlich Unsinn, aber derzeit regiert eine Geldparty die Kapitalmärkte. Durch den Beschluss der EZB, das gerade in Deutschland heftig umstrittene Anleihekaufprogramm nochmals aufzustocken, werden jeden Tag 6 Mrd. Euro zusätzliche Staats- und Unternehmensanleihen gekauft. Der nächste Schritt scheint zu sein, dass die EZB auch risikoreiche Papiere – sogenannte junk-bonds – in wirklich großem Stil erwerben wird. Spätestens dann sind wir tatsächlich in einer „Null-Zins-Welt“ angekommen.

 

Bis dahin profitieren Anleger von den mit sinkenden Zinsen untrennbar verbundenen steigenden Kursen. Insofern bietet dies gerade mit der unabhängigen Expertise bei uns in Schön&Co-Mandaten viele Chancen. Aber dennoch sehen wir dies mit Sorge. Wenn Kreditrisiken nicht mehr bepreist werden und damit die Beurteilung ohne unabhängige Expertise noch schwieriger wird, drohen vielen Anlegern immer größere Vermögensrisiken. In diesem Zusammenhang war sicherlich das Urteil gegen eine deutsche „Ratingagentur“, die eine mit dem Kreuzfahrt-schiff MS Deutschland besicherte Anleihe positiv bewertet hatte, ein Lichtblick. Wir hatten dieses Segment und gerade auch diese Anleihe sehr kritisch bewertet. Die spätere Insolvenz des Unternehmens bestätigte unsere Expertise. Erschreckend ist aber, dass die BaFin bei der „Ratingagentur“ 90% der Analysen eines Segments rügte, weil die selbst entwickelten Bewertungsmaßstäbe nicht eingehalten wurden. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, weshalb wirklich unabhängige Expertise so wichtig ist.

 

Die Bedeutung wird in der Zukunft eher noch zunehmen, weil eine „Null-Zins-Welt“ auch den Aktienmarkt betreffen würde. Auch dort wären klassische Risikoindikatoren außer Kraft gesetzt. Wenn sich ein Unternehmen zu 0% refinanzieren kann, hat es die Möglichkeit, den Aktienkurs in völlig neue Dimensionen zu bringen. Dabei spielt die Zinsersparnis keine Rolle. Viel wesentlicher ist die Möglichkeit, Aktienrückkaufprogramme aufzulegen und so das Angebot an Aktien zu verknappen. Eine solche Reduzierung führt zu steigenden Kursen und es ist nahezu egal, wie es dem Unternehmen geht. Das beste Beispiel hierfür bleibt der US-Flugzeughersteller Boeing. Die letzten 35 Mrd. Euro Eigenkapital wurden genutzt, um eigene Aktien zu kaufen. Dann kam die Corona-Krise, die Aktien fielen und das Eigenkapital war plötzlich negativ. Eigentlich war Boeing pleite – Fehlbetrag, negatives Eigenkapital und keine neuen Aufträge. Solange sich das Unternehmen aber refinanzieren kann, wird es auch diese – vom Management als temporär empfundene – Krise überleben.

 

Wenn dies Boeing nicht aus einiger Kraft gelingt, wird der Staat schon einspringen. Wie dies funktioniert, hat man gerade erst bei der Deutsche Lufthansa gesehen. Hier wiederholt man Fehler, die man schon während der Bankenrettung gemacht hatte. Allerdings befindet man sich in einer noch extremeren Situation als 2008/ 2009. Schließlich bemühen sich die USA nicht mehr um ein wirtschaftliches Miteinander, sondern haben einen nach innen wie nach außen spaltenden US-Präsidenten Donald Trump, der sich bemüht, den Außenwert des US-Dollars zu schwächen. Seine eigenen Erfolge sind auch hier überschaubar, aber in dem irrationalen Markt profitiert er von der EZB. Obwohl dort die Notenpressen auf Hochtouren laufen müssen, gewann der Euro spürbar hinzu. Auch dies ist fundamental nicht zu erklären. Vielleicht ist es die nachlassende Sorge um ein Auseinander-brechen der Eurozone, nachdem eine italienische Staatsanleihe auf Rekordnachfrage stieß und fast neunfach überzeichnet war. Vielleicht trägt aber die innenpolitisch angespannte Lage der USA zu der Schwäche des US-Dollars bei. Gegen andere Währungen hat der Euro eher verloren.

 

Dies gilt neben dem Australischen Dollar vor allem für den Mexikanischen Peso und Russischen Rubel, die trotz eher angespannter Corona-Situation dort von den steigenden Ölpreisen profitieren konnten. Insofern wird spannend zu beobachten sein, wie der Ölpreis auf die am Wochenende beschlossene Beibehaltung der Förderkürzung reagieren wird, an die sich Mexiko jedoch nicht gebunden fühlt. Hier macht sich der wirtschaftliche Druck aus der Corona-Pandemie bemerkbar. Fraglich ist nur, ob Mexiko höhere Fördermengen ab Juli 2020 absetzen kann. Schließlich ist mit den USA ein wesentlicher Abnehmer noch immer heftig von der Corona-Pandemie betroffen. Umso überraschender ist die eher schwache Entwicklung des Goldpreises in den letzten Tagen, der dann auch den Silberpreis belastet hatte. Die Entwicklung dort ist aber seit Wochen – analog zu unserer Erwartung – deutlich besser als beim Gold. Sollte sich tatsächlich eine deflationäre Tendenz ergäben, wurde dies Silber ebenfalls weniger betreffen, da es industriell nutzbar ist. Gold hingegen hat einen Wertaufbewahrungs-charakter, der aber weniger stark ins Gewicht fiele, wenn Geld aus sich heraus an Wert gewinnt.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.