Bekommt Asien einen Rohstoff-Booster?

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Marktupdate 21/2022

Markus Schön, Dienstag 24. Mai 2022

 

Gerade in Deutschland schien die vergangene Handelswoche weniger spektakulär verlaufen zu sein als viele Wochen an den Märkten zuvor. Die Zinsen haben sich im Wochenvergleich kaum bewegt, der deutsche Leitindex DAX hat mit 0,3% relativ wenig verloren und der Euro konnte gegenüber dem US-Dollar sogar steigen. Der Wochenvergleich täuscht aber; die Ausschläge innerhalb der vergangenen Handelswoche bzw. in bestimmten Handelsphasen waren ebenso groß wie in den Vorwochen. Noch deutlicher wird dies, wenn man auf die US-Indices blickt, die 3% bei Dow Jones und 4% beim Technologie-Index Nasdaq eingebüßt haben. Ohne die Rallye in den letzten 45 Minuten der hinter uns liegenden Handelswoche wären die Verluste in den USA noch größer gewesen. Dabei haben US-Technologieaktien schon knapp 30% ihres Wertes in diesem Jahr verloren. Ursache für die deutliche Schwäche der US-Aktien sind einerseits Ausführungen des US-Notenbankpräsidenten bei weiteren Zinsschritten keine Rücksicht auf den Aktienmarkt nehmen zu wollen. Andererseits zeigen sich die Konsequenzen dieser Haltung schon bei ersten US-Unternehmen. So sind zwar die Einzelhandelsumsätze in den USA gestiegen, aber die Gewinne vieler Unternehmen sinken. Letztlich lassen sich die Kostensteigerungen nicht vollständig kompensieren. Wenn nun noch deutliche höhere Kosten für die Finanzierung die Unternehmen belasten, wird es für fast alle Unternehmen umso schwieriger, Gewinne ausweiten. Außerdem wird immer offensichtlicher, dass die Welt auch in diesen Fragen auseinanderdriftet. Während in den meisten westlichen Staaten zumindest über deutliche Zinserhöhungen diskutiert wird, hat die chinesische Notenbank u. a. den dortigen Leitzins gesenkt.

 

Dort wird die Geldpolitik expansiver, obwohl China eigentlich auch die steigenden Energiepreise spürt. Ähnlich wie Indien scheint es aber gelungen zu sein, in Russland Energierohstoffe mit Preisabschlägen einzukaufen. Damit „boostert“ die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre Leistungsfähigkeit, während die Bevölkerung – auch durch mäßig wirksame, eigene Impfstoffe – unter einer etwas aufgeweichten Form der Null-Covid-Strategie leidet. Die wirtschaftlichen Einbußen in China selbst sind noch so niedrig, dass deutlich günstigere Energiekosten dies ausgleichen könnten. Dieser Dynamik trägt die Sanktionspolitik viel zu wenig Rechnung. Wie von uns in einem aktuell vom Deutschlandfunk im Radio gesendeten Beitrag darstellt, tauscht man aktuell nur eine Diktatur gegen eine andere aus und hofft wohl, dass der neue despotische Vertragspartner weniger schlimm als der bisherige ist, aber vergisst, dass auch Energierohstoffe i. d. R. nur gefördert werden, wenn sie perspektivisch benötigt werden. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise war der Terminpreis für Öl ja nur deshalb negativ, weil man sich vor ausgeschöpften Lagerkapazitäten sorgte. Wenn nun die westlichen Staaten russische Energielieferungen meiden wollen, muss entweder die Kapazität anderer Förderstaaten erhöht werden, was bezogen auf Erdöl vielfach nicht mehr möglich ist, oder man tritt in einen globalen Verdrängungswettbewerb. Dort läuft es nach dem Motto „wer mehr zu einem höheren Preis kauft, wird auch bevorzugt beliefert“. Deswegen wird Katar die Lieferungen nach Pakistan drosseln. Man kann sich ausmalen, wer diese Lücke füllen kann, wenn Pakistans feindlicher Nachbar Indien schon jetzt einen Gutteil des russischen Öls, das nach Europa fließen sollte, aufkauft. Wenn dies eintritt, kommt Europas Wirtschaft in eine schwierige Lage. Die Sanktionen belasten die wirtschaftliche Entwicklung, während andere Staaten vor einer Fortsetzung oder sogar Intensivierung der Verbindungen zu Russland profitieren. Mindestens China und Indien werden den bereits eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen. Daher erscheint ein Abrutschen Chinas – anders als Europas und der USA – in eine Rezession nicht sonderlich wahrscheinlich. In Europa ist es die Kombination aus Lieferkettenproblemen und den Sanktionen in Folge des Ukraine-Krieges. Die USA spüren den Ukraine-Krieg wirtschaftlich lediglich bei den Energierohstoffpreisen, kämpfen aber mit den Folgen einer viel zu lange expansiven Geldpolitik, in der massive Fehlanreize gesetzt worden sind. Der sehr robuste US-Arbeitsmarkt kann sich unter diesen Vorzeichen und den geringeren Importen aus China sehr schnell als weit weniger stabil erweisen. Wenn die Gewinnwarnungen der Unternehmen, die vom US-Konsum abhängig sind, (geld-)politisch nicht ernster genommen werden, drohen massive Verwerfungen auf allen Ebenen der US-Wirtschaft. Als zusätzliche und derzeit keine Rolle spielende Belastung könnte sich dort Corona „zurückmelden“. In ersten Regionen der USA wird über eine Rückkehr zur Maskenpflicht nachgedacht.

 

Spätestens dann würde der US-Präsident Joe Biden nicht nur durch eigene politische Lethargie zu einer politisch „lahmen Ente“, sondern würde alle Mehrheiten im US-Kongress verlieren. Wirtschaftspolitisch wäre dies vermutlich verkraftbar, weil dann vielleicht die Verschuldung der USA weniger schnell als bislang steigt. Noch gehen die Kapitalmärkte davon aus, die Industriestaaten können eine Rezession mit Konjunkturprogrammen abwenden und zumindest mindern. Wenn man sich jedoch die Zinsentwicklung in Südeuropa ansieht, stellt sich immer stärker die Frage, wann die Euro-Schuldenkrise in Kombination mit einer US-Kreditkrise zurückkehrt und damit neue Rettungsmaßnahmen der Notenbanken erforderlich werden.

 

Das Ziel, aus immer neuen (Staats-)Schulden herauszuwachsen, wird immer unrealistischer. In China wird in diesem Jahr kein Wachstum von mehr als bestenfalls 4% realistisch sein. Zusammen mit den Risiken in den USA und den weitgehend „eingepreisten“ Kriegsfolgen sollte sich Deutschland entsprechend auf eine Rezession einstellen. An den Aktienmärkten kommt dieses Szenario nur deswegen weit weniger an, weil die Fallhöhe der USA hinsichtlich der Unternehmensbewertungen dort viel höher war. Wenn aber der weltgrößte Chemiekonzern BASF 30% unter seinen Höchstständen notiert, ohne dass dies unternehmerisch gerechtfertigt ist, ist ein weiterer Rückgang um 10% nicht außergewöhnlich. Wenn sich US-Technologiewerte, denen man faktisch die „Weltherrschaft“ zutraut, halbieren, wird dies viel stärker wahrgenommen. Aber dies ist – zumindest bei einigen Werten – nun eine Übertreibung in die Gegenrichtung.

 

Wie dominant der Technologiesektor tatsächlich ist, zeigt das Urteil des Landgerichts München, in dem der US-Automobilkonzern Ford in Deutschland u. a. der Verkauf seiner Fahrzeuge aufgrund von Patentverletzungen im Chipbereich untersagt werden könnte. Andere Automobilhersteller hatten sich in ähnlichen Konstellationen schon geeinigt, was aber zusätzlich zeigt, wie machtvoll bestimmte Branchen sind. Diese sind vielfach in den USA beheimatet, haben aber weltweit Geldgeber. Aber genau diese Verzahnung war als eigentlicher Schutz vor einem Krieg erfolglos. Tatsächlich scheinen sich aktuell die Tendenzen zu Abschottungen auszuweiten, wovon neben den „entfernten Währungen“ Australischer und Neuseeländischer Dollar der Russische Rubel profitiert und auf Jahressicht 2022 25% im Plus ist.

 

Schließlich hatte Russland vorfristig Zinsen für bestehende Anleihen gezahlt und war so mindestens teilweise einer neuen Sanktionsstufe der USA zuvorgekommen. Aber auch alles, was die industrielle Wirtschaft zum Leben benötigt, hat Russland als Rohstoffe. Mit einer geschickten Wirtschaftspolitik wäre Russland heute mindestens wirtschaftlich so autark wie die USA. Vielleicht wären dann die Risiken der Konzentration auf russische Energielieferungen in Europa eher wahrgenommen worden. Jetzt bleibt das Preisniveau hoch nach der Leitzinssenkung in China sind die Preise für alle industriell benötigten Rohstoffe, aber auch die Edelmetalle wieder gestiegen. Die Schwankungen werden sich hier fortsetzen, wobei Edelmetalle zu günstig und Energierohstoffe hinsichtlich Konjunkturerwartungen zu teuer sind.

 

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