Europa "Corona-müde" - Südamerika dem Abgrund einen Schritt näher
Marktupdate 21/2020
Markus Schön, Dienstag 26. Mai 2020
Nach wie vor leben wir in einer historischen Phase, deren wirkliche Dimension in Deutschland aber zunehmend in den Hintergrund tritt. Schließlich sind inzwischen die Corona-Infektionszahlen sehr niedrig und die Wirtschaft stabilisiert sich in vielen Bereichen. Durch die damit verbundenen Lockerungen in weiten Teilen Europas und Asien sowie der Hoffnung auf einen Impfstoff stiegen die Aktienmärkte zum Beginn der hinter uns liegenden Handelswoche sehr stark an. Dabei hat die Weltgemeinschaft faktisch nichts erreicht: Es gibt kein Impfmittel und kein Medikament, das für einen wirksamen Schutz oder harmlose Krankheitsverläufe sorgt. Gleichzeitig steigen die Fallzahlen weltweit so stark wie nie zuvor. Bei der Johns Hopkins University wurden in den letzten drei Tagen mehr als 100.000 Fälle täglich gemeldet, die sich zu rund 50% auf die USA, Russland und Brasilien verteilen. Derzeit ist Südamerika insgesamt besonders von der Corona-Pandemie betroffen. Aber auch in Indien und Bangladesch steigen die Fallzahlen inzwischen stark an. Während Europa vermutlich vorerst das Schlimmste hinter sich zu haben scheint, wütet Corona in anderen Regionen dramatisch. Es wird aber nicht mehr so wahrgenommen, weil es weit weg ist, eine „Corona-Müdigkeit“ eingesetzt hat und es – gerade in Deutschland – nicht so schlimm wie befürchtet geworden ist. Dies kann zu einer zweiten Welle führen, die weit schlimmer ausfiele, weil die Bereitschaft, eine ggf. notwendige Rücknahme der Lockerungen zu akzeptieren, sehr gering ist. Schließlich sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des lock-down mit Kurzarbeit, Absatzeinbrüchen, Entlassungen bei renommierten Konzernen wie IBM oder Rolls-Royce u. ä. greifbar, während die Bedrohung durch das Corona-Virus für viele Menschen – zum Glück – eine abstrakte Bedrohung darstellt. Deswegen ist die Diskussion so wichtig, wie ein Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft gelingen kann und welche Mittel dafür von wem, wie und mit welchem Zweck bereitgestellt werden können.
Schließlich darf man sich nicht der Maxime unterordnen, möglichst viele Unternehmen zu retten oder die Börsenkurse nach oben zu treiben; vielmehr muss man die Wirtschaft zukunfts- und krisenfester machen. Ob dazu die Rettung der Deutsche Lufthansa zählen muss, bleibt mehr als fraglich. Aber auch Airbus oder Renault sind keine Unternehmen, ohne die die europäische Wirtschaft nicht mehr funktionieren würde. Deswegen klingen die von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in den Raum gestellten 500 Mrd. Euro Wiederaufbauprogramm positiv, aber die Anreize müssen intelligent gesetzt werden. Hier dürfte ein Interessenkonflikt auf europäischer Ebene drohen, da die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden den Weg von gemeinsamen EU-Schulden und Zuschüssen an besonders von der Pandemie getroffenen Staaten ablehnen. Damit liegen zwei sehr unterschiedliche Konzepte auf dem Tisch, während die Vorschläge der EU-Kommission erst am kommenden Mittwoch präsentiert werden. Durch das angestrebte Volumen von 1 Billion Euro dürfte dies nochmals für Schwung an den Kapitalmärkten sorgen. Schließlich ist billiges Geld seit mehreren Jahren das Mittel, um die teilweise Überbewertung der Aktienmärkte zu rechtfertigen. Deswegen interessiert es auch nicht, dass ab Mittwoch vermutlich drei Konzepte zur wirtschaftlichen Belebung Europas zur Diskussion stehen. Noch unwichtiger scheint zu sein, dass in Frankreich Emmanuel Macron seine Parlamentsmehrheit verloren hat. Er war als großer Hoffnungsträger gestartet, aber agierte schon vor der Corona-Krise zunehmend hilflos. Dies ist kein gutes Signal für Europa, das sich in einer immer stärker durch den Virus gezeichneten Welt bewähren muss; gleichzeitig aber immer mehr Konflikte zutage treten. So nehmen nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch politischen Spannungen zwischen China und den USA wieder zu. Letztlich streiten zwei Weltmächte um den globalen Führungsanspruch, den China auch zunehmend gewaltsam durchsetzen will. In Hong Kong versucht man, das seit 1997 geltende Prinzip „ein Staat – zwei Systeme“ zu beenden und dort nun auch die strikte Überwachung Chinas zu etablieren. Gleichzeitig versucht die zweitgrößte Volkswirtschaft ihren globalen Einfluss auszubauen, was zunehmend gelingen könnte.
Schließlich benötigen fast alle Volkswirtschaften Hilfe. Gerade in Afrika kann China den Einfluss noch weiter aus und in Südamerika ausbauen. Dort ist durch Corona selbst ein eigentlich so stabiler Staat wie Chile am Rande des Abgrunds. Deswegen wird der Trend zu sinkenden Zinsen anhalten. Die etablierten Industriestaaten benötigen dies. Staaten wie China oder Indien – aktuell mit der zweiten Zinssenkung auf 4% p. a. – benötigen günstige Konditionen, um die eigene Volkswirtschaft am Leben zu erhalten oder zu expandieren. Die Schwellenländer werden so versuchen, vielfach sonst drohende Staatspleiten abzuwenden, was aber in manchen Fällen einfach nicht gelingen wird. Deswegen ist es sinnvoller, auf starke Unternehmen mit einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell zu setzen. Allerdings muss man dies auch zunehmend international aufstellen, weil trotz riesiger Hilfs- und Konjunkturprogrammen nicht zu erkennen ist, wie Deutschland und Europa sich besonders zukunftsfähig aufstellen. Die Unternehmen können dies allein nicht leisten.
Deswegen muss eine der größten Hoffnungen auf dem Konjunkturprogramm der deutschen Regierung liegen. Investitionszuschüsse und bessere Abschreibungsregeln könnten einen Schub bieten, der dazu beitragen kann, Deutschland zukunftsfitter zu machen. Schließlich boomen auch in der Krise nicht ohne Grund die eher US-lastigen Technologieunternehmen. Sozusagen unter der „Wahrnehmungsschwelle“ bannt sich hier ein Duell zweier Giganten an: Amazon wird durch Facebook angegriffen, das sich zu einer Handelsplattform entwickeln will. Es könnte das unvorstellbare Wissen über jeden einzelnen Nutzer eines social-media-Unternehmens mit den Möglichkeiten von Amazon, Ebay und Immoscout-Angeboten verbinden. Abgerundet würde dies noch mit der eigenen Digitalwährung und Facebook hätte einen eigenen Wirtschaftskreislauf geschaffen, den Facebook-Nutzer auch als Konsumenten nicht mehr verlassen müssten. Für Facebook-Aktionäre ist es eine berauschende Vorstellung, für alle anderen das Ende marktwirtschaftlicher Strukturen.
In einem solchen Facebook-Szenario würde der US-Dollar dann als Weltleitwährung nicht durch den Chinesischen Renminbi abgelöst, sondern von der Digitalwährung Libra. Derzeit ist es nicht abzusehen, aber Facebook gehört mit Sicherheit zu den Krisengewinnern. Natürlich profitiert der Konzern auch von der internationalen Uneinigkeit, die sich durch Corona noch verschärft. Statt einer globalen Pandemie international zu begegnen, stehen nationale Strategien im Fokus. Entsprechend versucht auch jeder Staat, sich volkswirtschaftlich die beste Ausgangslage zu verschaffen. Deswegen konnte der Euro gegenüber dem US-Dollar leicht hinzugewinnen. Schließlich tut Donald Trump alles, um die eigene Währung zu schwächen. Mit dieser Ausnahme hat die Gemeinschaftswährung schwache Tage hinter sich. Gegenüber den rohstoffnahen Währungen gab es teilweise deutliche Verluste. Insbesondere der Anstieg des Mexikanischen Peso stach hervor, der – trotz der dort auch schwierigen Corona-Situation – besonders vom steigenden Ölpreis profitieren konnte. Aber auch der Russische Rubel und der Australische Dollar verzeichneten wieder deutliche Gewinne im Vergleich zum Euro.
Die Zugewinne bei den rohstoffnahen Währungen waren möglich, weil sich auch die Rohstoffe insgesamt erfreulich entwickelt hatten. Allerdings galt das nicht für den Goldpreis. Dieser hat rund 0,5% verloren, während insbesondere Silber mit einem Anstieg um über 3% deutlich hinzugewinnen konnte. Letztlich ist dies auf die industrielle Verwendbarkeit von Silber zurückzuführen. Allerdings dürfte zumindest der Handelsauftakt beim Goldpreis ebenfalls positiv sein, da Marktteilnehmer wieder eine Verknappungsphantasie entwickeln dürften. So musste eine Goldmine in Südafrika aufgrund eines starken Anstiegs der Corona-Fälle schließen. Sonst dürften die Industriemetalle, aber auch Rohöl eher eine Seitwärtsentwicklung nehmen, da die Kursanstiege der letzten zwei Wochen schon relativ stark gewesen sind, die Pandemie global schlimmer als besser geworden ist und nun gerade in rohstoffreichen Regionen besonders stark steigt. Sollten also mehr Produktionsstandorte schließen müssen, entsteht dort ein derzeit völlig unbeachtetes Risiko. Die Lieferkette könnte schon am ersten Produktionsschritt unterbrochen werden.
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