Sorgt Putin für fallende Goldpreise?

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Marktupdate 20/2022

Markus Schön, Dienstag 17. Mai 2022

 

Nachdem in der Vorwoche die Kapitalmärkte fast völlig verrückt spielten, setzte in den vergangenen Handelstagen etwas Normalität ein, wenn man bei Schwankungen von 500 Punkten im DAX, 1.000 Punkten im Dow Jones oder fast 200 Basispunkten bei dem Index der deutschen Staatsanleihen – jeweils vom Tageshoch zum Tagestief betrachtet – sprechen kann. Es ist eine Situation, die nicht nur viele Marktteilnehmer überfordert, die bis 2020 nur steigenden Kurse kannten, aber auch Computersysteme an den Rand ihrer Fähigkeiten zu führen scheint. Daneben sorgen noch Verkäufe aufgrund von Anlagegrenzen oder Kreditlimits für weitere Nervosität. Diese sogenannten „Margin-Calls“ verstärken die Abwärtsbewegungen vielfach. Dies ist ein Ansatz, um die starken Verluste bei dem als Inflationsschutz geltenden Edelmetall Gold zu erklären. So hat das Edelmetall in der vergangenen Handelswoche mit einem Minus von fast 4% den größten Verlust seit knapp einem Jahr in einer Woche erzielt. Anleger, die auf Kredit Risikopositionen gekauft haben, können gezwungen gewesen sein, beispielsweise Gold zu verkaufen, um liquide und/ oder kreditwürdig zu sein. Eine andere Erklärung ist, dass die Sanktionen gegen Russland dazu führen, dass hochvermögende Anleger aus Russland oder sogar die russische Notenbank Gold verkaufen. Letztere würde dies nicht aus einer Not heraus tun, sondern damit das westliche Finanzsystem zusätzlich unter Druck setzen. So gehen die Inflationssorgen und die daraus folgenden Zinssteigerungen mit Verlusten bei Anleihen und vor allem Aktien zu einem erheblichen Teil auf den Ukraine-Krieg zurück. Wladimir Putin ist es gelungen, mindestens 2 Billionen Euro an westlicher Vermögenssubstanz temporär zu vernichten. Dann wäre es aus seiner Sicht nur logisch, wenn das „sichere“ Gold eben nicht so wertstabil wäre, wie dies viele Investoren erwartet hätten. Hier zeigt sich eben eine Systemschwäche der bisherigen Politik der Notenbanken. Noch vor weniger als drei Monaten war eine Kreditaufnahme vielfach nahezu kostenfrei möglich. Neben den Käufen der Notenbanken an den Kapitalmärkten haben auch viele Investoren extrem kreditfinanziert agiert. Wenn die so gekauften Vermögenswerte an Wert verlieren, müssen die Kredite entweder reduziert, zusätzlich besichert oder ganz zurückgezahlt werden. Vielfach führt dies dazu, dass Anlagen, deren Wertrückgänge nicht vorhanden oder nur gering waren, verkauft werden. Gäbe es dann noch Großinvestoren, die zusätzlich verkaufen, ist die Grundlage für einen irrationalen Crash gelegt. An Irrationalität ist das aktuelle Umfeld kaum zu überbieten. Dies gilt einerseits für die Sorgen um eine weiter auf dem aktuellen Niveau anhaltende Inflation, obwohl schon jetzt rückläufige Tendenzen zu erkennen sind und eine anhaltend hohe Inflation nur denkbar wäre, wenn sich der Krieg in der Ukraine oder gar darüber hinaus zuspitzen würden. Andererseits lassen die Kapitalmärkte auch immer mehr Irrationalität in immer größerem Umfang zu.

 

Anders ist nicht zu erklären, wie der Elektromobilhersteller Tesla zum wertvollsten Automobilkonzern der Welt aufsteigen kann, obwohl das Unternehmen im Kerngeschäft weiterhin kein Geld verdient und der Gründer Elon Musk – vermutlich nach dem Sultan von Brunei und Wladimir Putin – der reichste Mensch der Welt geworden ist. Aus dieser Position hat er zu allem eine Meinung, die vielfach kaum unsinniger sein könnte. Um diese nun möglichst uneingeschränkt weiter verbreiten zu können, plante Musk den Kurznachrichtendienst Twitter zu übernehmen. Diese Übernahme sollte 44 Mrd. US-Dollar kosten. Für ein Technologieunternehmen, das von der extremen Kontroverse lebt, ist dies ein sehr hoher Preis – selbst für den reichsten Mann der Welt, dessen Vermögen auf Tesla-Aktien basiert, die in einer rational agierenden Welt nahezu wertlos wären. Entsprechend sollten Investoren aus Saudi-Arabien und anderen Regionen des Nahen Ostens diese Transaktion begleiten. Nun merkt aber Elon Musk, dass er möglicherweise „asset-rich, cash-poor“ – also viel Vermögen, aber wenig Liquidität – ist und einen Teil der Transaktion über Kredite finanzieren müsste. Als diese faktisch nichts kosteten, war dies kein Problem. Im aktuellen Umfeld würde eine solche Finanzierung jährlich 6 Mrd. Euro kosten. Dafür könnte man jährlich ein bis drei DAX-Konzerne übernehmen. Diese Kosten scheut der Tesla-Gründer offensichtlich und will aus der Übernahme heraus. Ein solcher Vorgang geschieht nicht zum ersten und bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Aber die Vereinbarungen zwischen Twitter und Musk sehen keine Unterbrechung oder einen Rücktritt. So scheint die Weitergabe von erschreckend geringen Analyse-Zahlen ein kalkulierter Vertrauensbruch zu sein, der Elon Musk vermutlich preiswerter aus einer wirtschaftlich unsinnigen Transaktion befreien könnte.

 

Dieser ständige Bruch von geltenden Gesetzen ist zum Stilmittel Elon Musks geworden und färbt – siehe die Wahrnehmung zur US-Notenbankpolitik – als Vertrauenskrise auf nahezu alle Finanzmarktfelder ab. Wenn dieses Vertrauen aber tatsächlich einmal verloren sein sollte, wird es ganz schwierig, kreditfinanziertes Wachstum zu ermöglichen. Schließlich stammt das Wort „Kredit“ aus dem Lateinischen „credere“, das auf Deutsch übersetzt „glauben“ heißt. Wenn Investoren den Glauben in die Rückzahlungsfähigkeit in der Breite verlieren, käme es zu Schockwellen an den Kapitalmärkten. Dies ist aktuell nicht wahrscheinlich, wie die schnelle Erholung der vergangenen Tage bei ausgesuchten Anleihen zeigte, die gute Nachrichten meldeten.

 

Dennoch bleibt das Marktumfeld auch hier irrational. So verlieren Anleihen mit höherer Dividendenrendite als die entsprechende Aktie, wenn diese steigt. Erklärt wird dies – selbst von Finanzmarktexperten – mit der Risikobewertung. Bei einem Unternehmen ist die Anleihe aber immer sicherer als die Aktie, da erstere als Fremdkapital im Insolvenzfalle immer dem Eigenkapital der Aktie bevorrechtigt ist. Dies hätte insbesondere in der Vor-Corona-Zeit die aberwitzigen Bewertungen von den vielfach hoch verschuldeten (US-)Technologie-Unternehmen bremsen müssen. Dies war aber nicht der Fall, so dass nun die Kursverluste mindestens in der Dimension überraschen. Der aktuelle Abschwung ist noch nicht zu Ende, aber die Kursverluste beim Platzen der Internetblase zur Jahrtausendwende sind nicht mehr weit entfernt. Die Werte der Krisen nach dem Japan-Crash und dem 11. September 2001 sind schon jetzt übertroffen.

 

1,5%. Vor dem Hintergrund der Aktienverluste im Technologiesektor ist der Einbruch bei den Digitalwährungen auch nicht sehr überraschend. Bitcoin hat in einer Woche seinen Verlust um 15% ausgeweitet und in diesem Jahr mehr als 1/3 des Wertes eingebüßt. Betrachtet man die Jahresentwicklungen 2022 bislang, steht nicht sehr viel auf der Gewinnerseite. Im Währungssegment sind dies – neben dem US-Dollar mit Blick auf die Zinserwartung – vor allem die energierohstoffnahen Währungen wie der Mexikanische Peso, der seit Jahresanfang 2022 über 10% steigen konnte. Dies ist allerdings nichts gegen den Wertzuwachs, den der Russische Rubel zu verzeichnen hat. Von seinem Tief hat er sich fast verdreifacht und liegt aktuell auf Jahressicht 2022 über 25% im Gewinn. Dies ist eine Momentaufnahme; sie sollte aber die Frage aufwerfen, ob Russland wirklich geschwächt wird.

 

Die Sanktionen gehen von einer statischen Betrachtung aus, aber ein dauerhaftes Ausschließen von Russland von Energielieferungen ist – beispielsweise von China und Indien schon jetzt – nicht gewollt und nicht möglich. Russland ist das Rohstoffzentrum der Welt und wenn man dauerhaft auf dieses Angebot verzichtet, wird es sehr schnell viel teurer als dies die meisten Staaten verkraften könnten. Entsprechend muss man – auch gerade aus Anlegersicht – den Rohstoffmarkt dynamisch denken. Hier sind die Preise für Öl und Gas viel zu hoch und werden sich perspektivisch beruhigen. Ähnliches war in den letzten Wochen bei einigen Industriemetallen zu beobachten, was zu viel Druck auf die industriell benötigten Edelmetalle Silber und Platin gebracht hat. Hier wird es wieder steigende Kurse geben.

 

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