Die Börse tanzt mit dem Inflationsgespenst

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Marktupdate 20/2021

Markus Schön, Dienstag 25. Mai 2021

 

Auf den ersten Blick erscheint die hinter uns liegende Handelswoche langweilig gewesen zu sein. Die Aktienindizes weisen nur kleinere Veränderungen auf, bei den Zinsen war kaum Bewegung und die Nachrichtenlage erschien vordergründig auch überschaubar. Tatsächlich setzt sich der Trend immer stärkerer Schwankungen mit zunehmender Intensität fort. So lag die Handelsspanne des DAX allein am vergangenen Mittwoch bei über 600 Punkten oder wiederum 4%, nachdem der Index zum Wochenbeginn noch ein Allzeithoch markiert hatte. Ähnlich wie in der Vorwoche schon dargestellt, stellen diese Entwicklungen passive Investoren vor immer größere Herausforderungen, zumal die Bewegungen nur teilweise von volkswirtschaftlichen Daten oder Unternehmensnachrichten ausgehen. Aktuell hatten die Digitalwährungen zum Kursrutsch beigetragen, die teilweise um mehr als 30% korrigierten. Hier sorgte der Tesla-Gründer Elon Musk für Bewegungen, aber viel entscheidender war die restriktive Haltung, die China für Digitalwährungen bekräftigte. In der Folge gab es teilweise panikartige Verkäufe und die kreditfinanzierten Investoren, die auch bei Digitalwährungen immer stärker werden, stiegen aus. Es ging teilweise nach dem Motto „rette sich, wer kann“. Damit wurden auch andere Anlagen verkauft, weil Investoren Liquidität benötigten. Der Zeitpunkt, den China gewählt hatte, um seine restriktive Haltung zu verschärfen, war klug gewählt: So waren die Digitalwährungen ohnehin schon in einer kritischen Phase, aber gleichzeitig hatte die Sorge vor einer außer Kontrolle geratenen Inflation die Märkte nachhaltig beeindruckt. Befeuert wurde dies in Teilen durch die US-Notenbank, die über eine Reduzierung der Geschwindigkeit der Anleihekäufe nachdachte, aber vor allem aufgrund weiterhin explodierender Rohstoffpreise in unterschiedlichen Segmenten.

 

Hierbei muss man allerdings weiterhin unterscheiden, welche Preise durch wirklich überschießende Nachfrage, künstliche Angebotsverknappung und temporär zu niedrige Angebotsquoten steigen. Zu letzteren gehört der Ölpreis, der die Marke von 68 US-Dollar vorerst nicht übertreffen wird, weil sonst viele (Fracking-) Anbieter in den Markt zurückkehren würden und einer begrenzten Nachfrage ein deutlich größeres Angebot gegenübersteht. Bei Lebensmitteln und Vorprodukten findet teilweise eine künstliche Verknappung statt, die zu Preisauswüchsen wie bei dem ökologisch fragwürdigen Palmöl führt, dessen Preis sich in den letzten 12 Monaten mehr als verdoppelt hat. Hier werden sich die Preissteigerungen relativieren. Kritischer ist jedoch die Situation, die entsteht, weil einem (hohen) Angebot größere Nachfrage gegenübersteht. Besonders schwierig ist dies, weil es Segmente betrifft, die für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft große Bedeutung haben. So hemmt der Mangel an Mikro-Chips die Produktion im Automobilsektor und im Maschinenbau. Gleichzeitig spürt die Baubranche die teilweise wirkliche Rohstoffknappheit. Gut gefüllten Auftragsbüchern stehen halbleere Läger gegenüber. Hier findet der Wettbewerb nur teilweise im Inland statt. Vielmehr kaufen – etwas vereinfacht – die USA und China den Weltmarkt leer. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kommen immer mehr Forderungen auf, wieder stärker nationale oder europäische Versorgungswege aufzubauen. Besonders eindrucksvoll lässt sich diese Entwicklung am Beispiel der Deutsche Telekom herleiten: Noch vor wenigen Jahren war die Tochtergesellschaft t-mobile USA das Sorgenkind und sollte möglichst vollständig verkauft werden. Später wurde das Unternehmen zu einem wichtigen Ertragsbringer und nun soll die derzeitige Beteiligungsquote von 43% auf wieder über 50% erhöht werden, damit man stärker von der Dynamik der USA profitiert. Es ist aber auch der Kampf um eine europäische Relevanz: In der Nach-Corona-Erholung droht Deutschland, aber vielleicht auch Europa insgesamt zwischen den USA und China aufgerieben zu werden. Ohne wirklichen Rohstoffreichtum steht man vor der Herausforderung, sich international in einem immer mehr und schneller nachfragenden „Rohstoffumfeld“ zu behaupten. Gelingt dies nicht, wäre Europa wirtschaftlich sehr schnell „abgehängt“. Diese Gefahr wird mindestens politisch derzeit unterschätzt und als „universelle Problemlöserin“ die EZB gesehen. Deren Mandat ist aber schon enorm strapaziert, so dass die wirtschaftliche Belebung der Eurozone, niedrige Zinsen für immens überschuldete Staaten und zusätzlich noch die Bekämpfung einer steigenden Inflation – ohne wirkliche Zinserhöhungsperspektive – sehr schnell eine Überforderung der Geldpolitik nach sich ziehen kann. Es ist nur ein schwacher Trost, dass die anderen Notenbanken ähnliche Herausforderungen haben würden. Allerdings zeigt der Blick nach Japan, dass dort die Inflationsentwicklung deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Deswegen spricht derzeit viel für einen bis zum Jahresende 2021 vorübergehenden Inflationsanstieg.

 

Natürlich führt die Sorge um die Inflationsentwicklung auch zu Bewegungen an den Rentenmärkten. Würde die Inflation dauerhaft bei 2% auf Jahressicht liegen und deutsche Staatsanleihen 0% Zinsen p .a. bieten, würde es jährlich einen Kaufkraftverlust in Höhe dieser Differenz geben. Dieses „holzschnittartige“ Szenario beschäftigt die Kapitalmärkte deutlich stärker, als es derzeit geboten erscheint. Schließlich scheinen die Preissteigerungen derzeit im Wesentlichen auf Sondereffekte zurückzugehen, aber vor allem verändern sich Zinsstrukturen bei Anleihen auch durch die Laufzeitverkürzung und das jeweilige Marktzinsniveau. Zudem ist bei der Betrachtung der Geldentwertung die individuelle Inflation viel wichtiger als Werte eines statischen Warenkorbs. Derzeit ist die damit verbundene Nervosität an den Märkten eine Art „Theaterdonner“, der vor allem passiven Investoren zu schaffen macht.

 

Sozusagen völlig auf der anderen Seite der Entwicklungen stehen Anleger, die in Digitalwährungen oder davon profitierende Geschäftsmodelle investieren. Dort geht es nicht um einen stetigen, teilweise sogar gut planbaren Vermögenszuwachs, sondern vor allem um spekulative und z. T. spektakuläre Gewinnmöglichkeiten. Aber ähnlich wie im gesamten Aktienmarkt reichen einzelne Impulse, um für starke Ausschläge zu sorgen. Den Einfluss, den Elon Musk auf die Märkte ausübt, sollte sicherlich von der Börsenaufsicht geprüft werden. Mindestens der Verdacht der Marktmanipulation ist nicht von der Hand zu weisen. Durch die Bitcoin-Positionen von Tesla könnte man auch formulieren, dass jemand, der eine Technik nach vorne bringt, die bereits vor 100 Jahren überholt war, wenigstens einmal bei einem möglichen Zukunftsthema erfolgreich sein möchte statt ein „automobiles Schneeballsystem“ zu betreiben.

 

Ebenso wie China macht sich Musk ein nervöses Umfeld zunutze, in dem es viele widersprüchliche Einschätzungen gibt. So scheint die – in manchen Bereichen tatsächlich – vorhandene Rohstoffknappheit die Erwartung einer starken wirtschaftlichen Erholung zu bestätigen. Einzelne Konjunkturdaten untermauern dies jedoch nicht. Dabei waren Konjunkturdaten aus China ebenso unter den Erwartungen wie ein spürbarer Rückkauf des deutschen Einkaufsmanagerindex, aber vor allem der starke Einbruch der Baubeginne in den USA sollte ein Warnsignal an den Kapitalmärkten sein. Statt 2% Rückgang fiel der Wert um 10%, was die Nachfrage nach Baurohstoffen zumindest reduzieren könnte. In jedem Fall belastet es den US-Dollar, bei dem ein Wirtschaftsboom der USA zunehmend eingepreist wurde. Nun leidet die Währung – ebenso wie viele rohstoffnahe Währungen – unter dem – auch global – etwas unklaren Konjunkturbild.

 

Eine Ausnahme stellt der Russische Rubel dar, der im Wochenvergleich – trotz Abhängigkeit vom um 3% rückläufigen Ölpreis – leicht hinzugewinnen konnte, während die hinsichtlich der Rohstoffabhängigkeit vergleichbare Norwegische Krone 2,3% an Wert verlor. Spannend wird sein, wie der Russische Rubel auf die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Weißrussland reagieren wird. Die dortige Regierung gilt als sehr abhängig von Russland und die wohl erfolgte Festnahme eines politischen Gegners aus einer Maschine, die sich eigentlich im Überflug befand, ist sicherlich eine neue Dimension. Profitieren werden von einer solchen politischen Unsicherheit auch die Edelmetalle, da dies häufig zu einer Flucht in vermeintliche Sicherheit führt. Bislang profitiert dieses Segment eher von den steigenden Inflationserwartungen und insbesondere Platin aufgrund der industriellen Nachfrage. Dieser Trend wird sich fortsetzen.

 

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