Folgt "Hammer und Tanz" nun "Tanz und Hammer" an den Kapitalmärkten?
Marktupdate 20/2020
Markus Schön, Dienstag 19. Mai 2020
Viele Marktteilnehmer hatten wohl auf einen Boom-Effekt nach den Lockerungen und den in Europa und den USA zurückgehenden Infektionszahlen gerechnet. Nun nahmen aber wieder die Sorgen an den Kapitalmärkten überhand. Der Boom durch die Lockerungen blieb zunächst aus. Die Menschen und Unternehmen müssen sich erst noch an die neue Realität gewöhnen. Gleichzeitig hagelte es Konjunktur- und Unternehmensdaten, die – abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen – desaströs waren. In der Euro-zone ist die Wirtschaft um 3,8% im 1. Quartal 2020 eingebrochen. Auf Jahressicht wären dies rund 15%. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, ist es besonders erschreckend, dass nicht in Italien die Wirtschaftsleistung am stärksten in Europa eingebrochen ist, sondern mit Frankreich die zweitgrößte Volkswirtschaft einen Rückgang um 5,8 % hinnehmen musste. In Italien waren es „nur“ 4,7%, während Deutschland mit einem Minus von 2,2% „positiv hervorsticht“. Allerdings läge ein hochgerechneter Rückgang von 8,8% über der Prognose der Wirtschafts-forschungsinstitute. Es ist jedoch ein Wert, den wir in unserem Schön&Co-Research bereits vor sechs Wochen als realistisch eingestuft hatten. Daher überraschen uns die derzeitigen Marktschwankungen kaum, zumal sie nur die Spitze des Eisbergs zeigen. Weitere Einblicke gewährten vor allem Vertreter der US-Notenbank, die die Arbeitslosigkeit in den USA als wesentlich größer als bislang bekannt einstuften. Statt knapp 15% wird die Arbeitslosigkeit 10%-Punkte höher gesehen. Gleichzeitig kommt die Inflation der „Nulllinie“ bedrohlich nahe. Im Jahresvergleich liegt die US-Geldentwertung noch bei 0,3%; auf Monatssicht herrscht mit – 0,8% allerdings eine spürbare Deflation. Noch ist dies mit den Ölpreisschwankungen zu erklären, aber gerade in der konsumlastigen US-Volkswirtschaft droht der Einbruch der Nachfrage in eine Abwärtsspirale mit sinkenden Preisen und immer weiter nachlassender Nachfrage zu münden. Insofern ist die Forderung nach Negativzinsen nicht falsch.
Zwar kommt sie in den USA von Donald Trump, der ja wieder eine sehr eigene Agenda verfolgt, aber auf einen schon 2019 spürbaren Wirtschaftsabschwung, der nun durch die Corona-Pandemie zu der schlimmsten Rezession seit 90 Jahren führen wird, nun noch eine nachhaltige Deflation zu bekommen, wäre das Ende der US- und in der weiteren Folge der Weltwirtschaft. Zur Bekämpfung der Pandemie orientiert man sich gerade in Deutschland an dem Aufsatz „Der Hammer und der Tanz“ eines ehemaligen Beraters in der US-Technologiebranche. Mit starken, relativ kurz andauernden Maßnahmen („Hammer“) wird die Situation unter Kontrolle gebracht, mit flexiblen und variablen Lockerungen („Tanz“) wird eine neue Normalität hergestellt. Wie bei einem Gesellschaftstanz muss man viele Faktoren berücksichtigen. Dies macht die „Tanz-Phase“ umso anspruchsvoller. Die Notenbank- und Wirtschaftspolitik muss jetzt eigentlich umgekehrt agieren: erst der Tanz und dann der Hammer. Von einem Freestyle (weniger Regeln, viel Liquidität, niedrige Zinsen und große Konjunkturhilfen) über eine Salsa hin zu einem Tango und langsamen Walzer (strenge Regeln, normale Liquidität, mäßig hohe Zinsen und Steuererhöhungen) müssen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Jeder Wechsel des Tanzstils wird dann mit Hammerschlägen angekündigt. Dies wird ein schmerzhafter Prozess, aber wenn man ihn richtig gestaltet, trifft er vor allem Finanzinvestoren und Spekulanten. Dies wird natürlich Donald Trump nicht gefallen. Schließlich ist er der Meister der kreditfinanzierten Spekulation und erlebt gerade, dass eine so tiefgreifende Krise auch die Marke „Trump“ u. a. mit den Hotels vor große Herausforderungen stellen kann. Schließlich haben die Trump-Hotels durch die Schließungen Schwierigkeiten, die vertraglich geschuldeten Zahlungen zu leisten. Möglicherweise benötigt der US-Präsident vor den USA selbst seinen persönlichen Schulden-schnitt. In einem ersten Schritt würden ihm vermutlich Negativzinsen helfen, die Trump gegenüber der US-Notenbank erneut fordert und die in Großbritannien immer intensiver diskutiert werden. Sein Verhandlungsspielraum erhöht sich aber auch, weil die Kreditinstitute ihre Risikovorsorge deutlich erhöhen. In Deutschland sorgte es für einen Quartalsverluste bei Commerzbank und BayernLB.
Natürlich wird eine so umfassende und historisch tiefgreifende Krise für erhebliche Kreditausfälle bei Banken und Sparkassen sorgen. Deswegen sollte man ja dort so wenig Geld wie möglich anlegen, sondern auf erstklassige Unternehmensanleihen setzen, die durch das sehr nervöse Umfeld erheblich schwanken und so Chancen bei Kauf und Verkauf eröffnen. Wie viel Geld im Markt ist, zeigen nicht nur diese starken Schwankungen, sondern vor allen Dingen die erheblichen Überzeichnungen bei Neuemissionen, die immer noch jedes Maß sprengen. Warum manche Anleger nahezu jeden, noch so niedrigen Zins akzeptieren, um ein neues Papier zu zeichnen, bleibt unerklärlich. Viel wichtiger ist aus unserer Sicht, gerade jetzt die „Spreu vom Weizen zu trennen“. Etliche Unternehmen befinden sich in einer existenziellen Krise. Dort investiert zu sein, sollte man vermeiden und daher auf die fundamentalen Daten und die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells achten. Gerade in den letzten Tagen wurde wieder fast alles verkauft, aber dies bot so dann auch neue Anlagechancen.
Qualität in den Anlagen und etwas Liquidität bleiben die wesentlichen Erfolgsfaktoren. Gerade auf der Aktienseite sollte man sich nicht von vermeintlichen Erholungs-tendenzen täuschen lassen. Beispielsweise steht die Deutsche Lufthansa dichter am Abgrund als je zuvor. Die zunehmend dramatische Situation wird aber durch die Nachricht der „Wiederaufnahme“ des Flugverkehrs im Juni 2020 überstrahlt. Mit 1.800 Flügen erreicht die deutsche Fluggesellschaft in einem Monat einen Wert, der sonst nahezu täglich übertroffen wurde. Das Unternehmen ist eben existenziell gefährdet, weil es in einer Branche mit derzeit sehr großen Überkapazitäten und entsprechenden Werteinbrüchen der Flugzeuge zu kämpfen hat. Staatshilfen sind nur gerechtfertigt, wenn Deutschland eine nationale Fluggesellschaft haben will und damit die Lufthansa als systemrelevant einstuft. Die deutsche Wirtschaftspolitik wird aber in Europa zunehmend kritisch gesehen. Die gute Finanzlage und günstige Finanzierungs-kosten eröffnen Deutschland sehr große Spielräume.
Dieser volkswirtschaftliche Wettbewerbsvorteil kommt aber nicht gut an. Das Land, das wirtschaftlich vordergründig bislang am wenigstens von der Pandemie betroffen war, hat die größten finanziellen Möglichkeiten, um die eigene Wirtschaft zu stützen. Die Fliehkräfte in Europa und vor allem in der Eurozone werden immer größer. Schließlich ist der Wirtschaftseinbruch in Italien als drittgrößter Volkswirtschaft mehr als doppelt und in Frankreich als zweitgrößter Volkswirtschaft der Eurozone fast dreimal so groß wie in Deutschland. Es verfestigt sich damit ein Trend, der die Risiken für den Euro immer weiter erhöht. Wer will schon Mitglied einer Gemeinschaft sein, in der der Klassenprimus uneinholbar ist? Es ist dann nicht mehr ein positiver Wettbewerb, sondern ein frustrierendes „Hinterherhecheln“. Deswegen bleibt der Euro unter Druck und kann nur bei Währungen profitieren, die kurzfristig eine Ausweitung der expansiven Geldpolitik – wie beispielsweise der Neuseeländische Dollar – anstreben. Interessant ist, dass sich Mexikanischer Peso und Russischer Rubel durch den steigenden Ölpreis trotz Verschärfung der Corona-Pandemie gerade dort sehr robust gezeigt haben.
Die Ölpreis-Rallye setzt sich fort. Dennoch liegt der Preis weiterhin unter 30 US-Dollar je Barrel. Auf diesem Preisniveau können vielleicht Russland, Saudi-Arabien und der Iran kostendeckend produzieren. Die US-Ölindustrie und vor allem der dortige Fracking-Sektor benötigen einen doppelt so hohen Preis. Entsprechend tief dürften die Einschnitte sein, die auch in diesem Bereich der US-, aber auch der Weltwirtschaft drohen. Schließlich ist dies ein sehr investitionsintensiver Bereich. Daher ist es besonders wichtig, dass sich die Erholung im Rohstoffsektor fortsetzt. Hier sind vor allem positive Entwicklung im Bereich der Industriemetalle festzustellen, von denen dann Silber besonders profitiert. Mit einem Anstieg von fast 8% im Wochenvergleich hat sich das Edelmetall drei Mal so gut wie der Goldpreis entwickelt. Dieser Trend sollte sich fortsetzen, da Silber weiterhin auf allen Ebenen deutlich größeres Potenzial hat. Die Entwicklung der industriell benötigten Rohstoffe zeigt aber auch, dass dort mit keiner schnellen und steilen Erholung gerechnet wird. Dies ist ein weiteres Argument, weshalb sich die sehr starken Schwankungen an den Kapitalmärkten fortsetzen werden.
Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.