Was für ein Jahr!

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Marktupdate 19/2022

Markus Schön, Dienstag 10. Mai 2022

 

Was ist 2022 für ein Jahr? Wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, kommt von irgendwo ein Analyst und untergräbt das Vertrauen in die US-Notenbank. Nichts anderes ist in der hinter uns liegenden Handelswoche geschehen. Wenn sich diese Entwicklung zuspitzt, erleben die Kapitalmärkte nach Corona, Lockdowns in China, Lieferkettenproblemen, Inflation, Rohstoffpreisen und Ukraine-Krieg die nächste Katastrophe. Schließlich basiert das Weltfinanzsystem auf Vertrauen. Nun hatte der US-Notenbankpräsident Jerome Powell klar gesagt, es werde in der nächsten Zinssitzung keinen größeren Zinsschritt als in der vergangenen Woche geben. Aktuell hatte die US-Notenbank eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte vorgenommen. Diese Aussage sorgte für deutliche Gewinne bei Aktien, aber vor allem Anleihen. Einen Tag später blieb davon nichts übrig, weil die Aussage der US-Notenbank von mehreren Analysten bezweifelt wurde. Der damit verbundene Glaubwürdigkeitsverlust, den sich der US-Notenbank-präsident nicht erlauben kann, wird ebenso wie die nachlassende Wirtschaftsdynamik außer Acht gelassen. Aus diesem Grund hatte die britische Notenbank – trotz auch dort rekordhoher Inflation – eine Zinserhöhung von 25 Basispunkten vollzogen. Die japanische Notenbank hält ohnehin an ihrer expansiven Geldpolitik fest, während die chinesische Zentral expansiver agiert. Schließlich steht die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur in China vor sehr ungewissen Zeiten. Weltweit trüben sich die Konjunkturdaten deutlich ein, weil die Preissteigerungen, die Lieferkettenprobleme und die Ungewissheit zunehmend für eine globale wirtschaftliche Abschwächung sorgen. Zusätzlich sind die Zinssteigerungen, die an den Kapitalmärkten schon weitgehend vorweggenommen wurden, ein zusätzlicher Belastungsfaktor.

 

In der Summe ist 2022 – mindestens in den USA – das schlechteste Anleihejahr seit 200 Jahren (!!!), aber auch die US-Technologie-werte erleben ein annus horribilis, da einzelne Werte weit mehr als 50% gefallen und der US-Technologie-Index mit deutlich mehr als 20% in diesem Jahr im Minus liegt. Wenn man dies positiv formulieren will, gibt es jetzt bei immer mehr Technologie-Aktien Bewertungen, die sich fundamental nachvollziehen lassen. So sind Netflix, Facebook oder Zalando zum ungefähr 25- bis 30-fachen ihrer Gewinnerwartungen bewertet. Zunehmend kritisch werden Unternehmen gesehen, die einfach nur Verluste mache. In Deutschland ist dies beispielsweise der Noch-DAX-Wert Delivery Hero, aber international ist es auch weiterhin Tesla, wenn man die Rentabilität auf den Elektrofahrzeugabsatz bezieht. Würden für die deutschen, zunehmend ja auch elektrifizierenden Hersteller ähnliche Bewertungsmaßstäbe gelten, wäre Volkswagen (wieder) das wertvollste Unternehmen der Welt. Jetzt hat – durch den starken Ölpreisanstieg – wieder der saudi-arabische Staatskonzern Saudi-Aramco diese Position übernommen. Ähnlich wie die volkswirtschaftliche Gewissheit, dass das Vermögen des einen die Schulden des anderen sein müssen, stellen gestiegene Rohstoffkosten höhere Gewinne für die Rohstoffproduzenten dar. Durch das so unsichere politische Umfeld mit zunehmend autokratischen Strukturen werden genau diese Regionen nun durch die dorthin fließenden Gelder gestärkt. Dies trifft weniger auf Russland zu, das – zumindest in Teilen – unter den Sanktionen leidet, aber die demokratisch mindestens fragwürdigen Staaten im Nahen Osten und Südamerika profitieren massiv. Schließlich bleibt die Nachfrage nach Rohstoffen hoch, weil die Unternehmens-daten noch erstaunlich positiv sind. Jedoch sorgen die verhaltenen Ausblicke für stark fallende Aktienkurse. So belasten die teilweise stark steigenden Zinsen viele Unternehmen weniger. Dort wurde vielfach das Eigenkapital gestärkt, aber die die Verschuldung vieler Staaten gibt Anlass zur Sorge. Das aktuelle Zinsniveau, das teilweise auf den höchsten Stand seit mehr als fünf Jahren gestiegen ist, bedroht zunehmend mehr Staaten. Griechenland, Italien, Spanien oder Portugal werden das aktuell am Markt zu zahlende Zinsniveau dauerhaft nicht bezahlen können. Selbst in Deutschland stellt sich die Frage, wie lange und vor allem für welche Maßnahmen Geld noch vorhanden ist. Es zeichnet sich eine „Euro-Schuldenkrise 2.0“ am Horizont ab. Anders als vor zehn Jahren ist aber jetzt die Inflation – temporär – höher, so dass neue Rettungspakete für Staaten durch die Notenbanken geschnürt werden müssen. Unsere Erwartung ist, dass man im Sommer die Leitzinsen moderat erhöht, aber ein neues Programm zum Ankauf langlaufender Staatsanleihen auflegen wird. Am Ende wird die EZB eine Kapitalmarktfunktion wie die japanische Notenbank übernehmen. Alles, was keine Rendite bietet und/ oder risikobehaftet ist, wird von der Notenbank gehalten. Diesen Trend wird man dann aber ebenso wenig umkehren können wie die Inflation, die durch die expansive Geldpolitik beschleunigt wurde.

 

Entsprechend wird es sehr spannend sein, ob die Markterwartung stark steigender Leitzinsen tatsächlich eintritt. Dann wird man oft an 2008 zurückdenken können, weil zunächst Staaten und dann Banken und Versicherer der Reihe nach ausfallen werden. Es würde den größten Finanzmarktcrash geben, der derzeit vorstellbar wäre. Selbst wenn dieser Fall einträte, sind Sie mit den Schön & Co-Lösungen optimal vorbereitet. Unser Basisszenario ist allerdings, dass die derzeitige Markterwartung deutlich übertrieben ist und die Zinsen im Ergebnis bei weitem nicht so stark steigen werden, wie dies schon jetzt an den Kapitalmärkten eingepreist ist. Dies wäre dort zunächst ein viel kleineres Problem als in der Refinanzierung vieler Staaten, die dann vor wirklich existenziellen Problemen und sogar dem Zahlungsausfall stünden.

 

Aber schon jetzt zeigt sich, dass ein derzeit an den Kapitalmärkten eingepreistes Zinsniveau kein isoliertes Problem wäre. Nach dem eingangs beschriebenen „Misstrauensvotum“ gegen die US-Notenbank sind nahezu bei allen Anlageklassen crashähnliche Entwicklungen zu verzeichnen gewesen. Selbst der historisch relativ stabile US-Leitindex Dow Jones hat fünf Mal so viel verloren wie das Anleihesegment. Noch stärker hat es den Technologiesektor getroffen, weil dort viele Unternehmen gelistet sind, die hohe Verschuldungen aufweisen oder Kredite benötigen, um ihre laufenden Kosten zu decken. Wenn dann noch Fehlorders wie wohl durch die Citigroup in Schweden hinzukommen, die DAX- und MDAX-Werte 10% fallen lassen, ist die Nervosität umso ausgeprägter. Der Aktienhandel ist von einer Nervosität geprägt, die sehr stark an das Jahr 2008 oder die Internetblase zur Jahrtausendwende erinnert, auch wenn die Verluste geringer sind.

 

Nahezu alle Rückgänge am Aktienmarkt hätte man kompensiert, wenn man in Russischen Rubel investiert gewesen wäre. Die Währung hat seit Jahresanfang 2022 über 15% hinzugewonnen und nährt sich unserem Jahresziel von 60 in großen Schritten an. Legt man den volkswirtschaftlichen Grundsatz an, der Außenwert einer Währung repräsentiert die wirtschaftliche Stärke, müsste man konstatieren, dass sich die Sanktionen gegen die Staaten richten, die diese aussprechen und Russland weit weniger treffen. Die spannende Frage wird sein, ob sich dies noch einmal umkehren wird. Sonst wäre das aktuell von den G7-Staaten beschlossene Öl-Embargo letztlich kontraproduktiv.

 

Letztlich ist es sehr schwierig, Russland von den internationalen Märkten wirklich abzuschotten. Neben den die Sanktionen nicht mittragenden „Großmächten“ China und Indien sind dort so viele Rohstoffreserven vorhanden, dass Russland ohne erhebliche Folgen für die Weltwirtschaft kaum vollständig sanktioniert werden kann. Deswegen stellt sich die Frage, ob die aktuell zu verzeichnenden Rückgänge – mit Ausnahme der weiter steigenden Energierohstoffpreise – positiv zu werten sind. Diese spiegeln die Erwartung einer sich deutlich abschwächenden wirtschaftlichen Entwicklung wider. Dazu trägt natürlich auch die Sorge um die Entwicklungen in China im Zuge der aggressiv verfolgenden „Null-Covid-Strategie“ bei. Mit den Zinssteigerungen macht sich dort ein weiterer Belastungsfaktor bemerkbar, der zudem Edelmetalle und Kryptowährungen unter Druck setzt, die keine laufenden Erträge bieten und so keine Zinsalternative sind.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.