Aktieninvestoren hoffen auf Wirtschaftsboom, fürchten aber Preissteigerungen durch Nachfrageschub

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Marktupdate 19/2021

Markus Schön, Dienstag 18. Mai 2021

 

Die hinter uns liegende Handelswoche hat die Grenzen von Charttechnik und passiven Produkten wieder einmal sehr deutlich gemacht. Zwar war in Deutschland der vergangene Donnerstag ein Feiertag, aber bekanntlich „schläft Geld nie“ und entsprechend wurde nicht nur international, sondern auch in Deutschland gehandelt. Solche Handelstage können herausfordernd sein, wenn eher geringe Handelsvolumina vielen (neuen) Informationen gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund fiel der deutsche Leitindex DAX zwischenzeitlich unter die Marke von 14.900 Punkte, weil die US-Märkte aufgrund Inflationssorgen nervös waren, der Hackerangriff auf eine US-Pipeline für Hamsterkäufe bei Treibstoffen sorgte und sich der Konflikt in Israel immer weiter zuspitzt. Wer dann – sozusagen aus Vorsicht – vor dem teilweise langen Wochenende mit Absicherungen oder stopp-loss-Limiten agierte, erlebte zumindest temporär eine böse Überraschung: Statt den Fall fortzusetzen, stieg der DAX zum Wochenschluss deutlich an und steuert auf ein neues Allzeithoch zu. In einem eher volumensarmen Handelsumfeld stieg der deutsche Leitindex um über 600 Punkte von seinem Tief der letzten 15 Handelsstunden. Dieser Zuwachs um absolut 4% in weniger als zwei Tagen ist fundamental nicht zu begründen. Das einzig – vordergründig überzeugende – Argument ist die unverändert expansive Geldpolitik der Notenbanken. Zwar räumt die EZB ein, die Inflation in Deutschland könne beispielsweise temporär auf 3% steigen, aber für eine geldpolitische Reaktion sei keine Notwendigkeit gegeben. Ähnlich ist die Haltung der US-Notenbank, obwohl dort gerade die Inflation mit 4,2% die Marke unmittelbar vor dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 erreicht hat. Die abwartende und teilweise sogar beschwichtigende Haltung der Notenbanken resultiert aus Verweisen auf Sondereffekte. In den USA sind die Gebrauchtwagenpreise sehr stark angestiegen; in Deutschland belasten neue Abgaben und generell dürfe man den Basiseffekt aus dem Corona-Jahr 2020 nicht vergessen. Wenn dies so ist, stellt die Inflation tatsächlich kein größeres Problem dar, weil sich diese Sondereffekte glätten werden. Tritt aber die Erwartung vieler Aktieninvestoren eines sehr dynamischen Aufschwungs ein, dann muss die Nachfrage ebenfalls deutlich steigen. Diese trifft dann nicht nur auf ein durch die Pandemie begrenzteres Produktionsangebot, sondern auf einen echten Angebotsmangel, der vielfach auf fehlende Rohstoffe zurückzuführen ist. Dann werden die Unternehmen die Preise erhöhen, was zu steigenden Gewinnen, aber eben auch zu steigender Inflation führen wird. Ein Modell im Sinne von „meine Aktien steigen durch den Nachfrageboom, aber die Inflation bleibt niedrig“ ist eine Illusion, auf die ernsthaft agierende Investoren ihre Anlagestrategie nicht abstellen sollten. Man muss sich entscheiden: Wer mit stark steigender Inflation rechnet, muss Aktienpositionen reduzieren. Wer es nicht tut, darf aber keine Fortsetzung der Rallye erwarten.

 

Zu der Sorge um die weitere Inflationsentwicklung kommen weitere Faktoren hinzu, die die Kapitalmärkte eher belasten können. So scheinen die etablierten Industriestaaten die Corona-Pandemie zunehmend beherrschen zu können. Aber in den USA muss es massive Erleichterungen für Geimpfte – aktuell u. a. die Aufhebung der Maskenpflicht – geben, um überhaupt eine hinreichende Impfbereitschaft zu erreichen. In Großbritannien, das immer mehr zu einem Musterland der Corona-Bekämpfung wird, sorgt der starke Anstieg der Indien-Mutation für Unruhe. Durch die höhere Ansteckungsgefahr werden weitere Lockungsschritte in Frage gestellt. Entsprechend könnte sich die wirtschaftliche Erholung abschwächen, was wiederum ein Vorbote für die globale Entwicklung sein könnte. Schließlich lagen wichtige Konjunkturdaten in den USA teilweise deutlich unter den Erwartungen. Besonders besorgniserregend sind die eher schwachen Einzelhandelsumsätze und das rückläufige Konsumklima in den USA. Im Gegenzug stieg der deutsche ZEW-Index auf den höchsten Stand seit 20 Jahren. Die Erhebung bei Börsenanalysten hat eine Aussagekraft wie Wetteraussichten, die das Wetter der vergangenen Woche beleuchten. Es ist ein rein nachlaufender Indikator, dessen Aussagekraft für die Zukunft sehr begrenzt ist. Dies gilt umso mehr, wenn neue Risiken an den Märkten auftreten. Zwar sind Hackerangriffe nicht wirklich neu, aber den Umfang, den der Angriff auf eine US-Pipeline erreicht hatte, ist schon außergewöhnlich. Neben der Größe des Angriffsziels sind die realwirtschaftlichen Auswirkungen besonders gravierend. Neben Preissteigerungen beim Öl und Gas sorgten Hamsterkäufe für Angebotsknappheit. Dabei wurden teilweise ungeeignete Behältnisse genutzt. Neben dem wirtschaftlichen Schaden gibt es ökologische Beeinträchtigungen.

 

Diese spielen aber in den USA – auch unter Joe Biden – eine untergeordnete Rolle. Es ist und bleibt eine Wirtschaftsordnung, die auf schuldenfinanziertem Wachstum basiert. Insofern wird die US-Politik mit gemischten Gefühlen auf die Inflation blicken. Sie erleichtert die Schuldentragfähigkeit, birgt aber die Risiken der Unzufriedenheit der Wähler, weil positive wirtschaftliche Entwicklungen materiell von den Preissteigerungen aufgezehrt würden und zu steigenden Zinsen führen könnte. Das Marktzinsniveau ist – ohne Veränderung der US-Geldmarktpolitik – bereits deutlich gestiegen und auch in Deutschland wird es immer wahrscheinlicher, dass die Rendite von 10 Jahre laufenden Staatsanleihen in den positiven Bereich zurückkehrt. Diese Unsicherheit führt zu relativ geringen Handelsvolumina bei Anleihen und geringer Aktivitäten bei Neuemissionen.

 

Geringe Handelsvolumina und relative Unsicherheit zur weiteren Entwicklung ziehen eine erhöhte Schwankungsbreite nach sich. Auch hier halten sich im Vergleich deutsche Staatsanleihen besser als die Aktienmärkte. Allerdings ist dort das Aufwärtspotenzial auch begrenzter. Betrachtet man die Einzelwerte auf der Aktienseite, sind die Entwicklungen noch dynamischer. Die vielfach über den Erwartungen liegende Ergebnisse sind eine deutliche Stütze für die Aktien, aber starke Anstiege werden auch immer wieder schnell abverkauft. So konnte der Chemie- und Pharmakonzern Bayer mit sehr guten operativen Zahlen überzeugen, kam aber durch Einschätzungen von US-Gerichten zu der Vielzahl der dort laufenden Klagen wieder unter Druck. Noch wesentlich dynamischer sind die Entwicklungen im Bereich der Digitalwährungen – auch, weil Tesla nun doch keine Bitcoin-Zahlungen für den Kauf der Fahrzeuge akzeptieren will.

 

Neben der offensichtlichen Einflussnahme des Tesla-Gründer Elon Musk auf die Kapitalmärkte spielt bei Bitcoin auch eine Rolle, dass immer mehr Währungen aus dem Schatten hervortreten. Schließlich gibt es unterschiedliche Technologieansätze bei den Digitalwährungen und so kann Ethereum die Marke von 4.000 US-Dollar überwinden. Man darf aber nicht vergessen, dass es inzwischen über 9.400 Digitalwährungen gibt, die – ähnlich wie FinTechs – vielfach begrenzte Zukunftsperspektiven haben. Daher sollten Anleger vorsichtig sein, auf den vermeintlich nächsten Mega-Trend an den Kapitalmärkten zu setzen. Neben der schwachen Entwicklung beim Bitcoin stand der US-Dollar in den vergangenen Tagen im Fokus. Dieser konnte trotz schwacher Konjunkturdaten profitieren. Hier scheint der Blickwinkel zu gelten, dass es Europa kaum besser gehen wird und die höheren US-Zinsen zusätzlich stabilisierend auf den Währungskurs wirken.

 

Trotz der Hamsterkäufe bei den Treibstoffen im südlichen Teil der USA und dem damit verbundenen Anstieg ist der Ölpreis im Wochenvergleich mit 2% im Minus. Dieser Rückgang ist sozusagen der „Marktstandard“, weil – mit Ausnahme vom Gold – nahezu alle Rohstoffe in diesem Umfang korrigiert haben. Mit Blick auf die Preissteigerungen und die daraus resultierenden Inflationssorgen ist dies eine positive Nachricht, die umso wichtiger ist, da eine Fortsetzung der ungebremsten Aufwärtsdynamik die wirtschaftliche Erholung gefährden könnte. Überraschender ist die Situation bei Platin und Silber zu sehen. Hier handelt es sich um industriell benötigte Edelmetalle, so dass der Preisrückgang etwas überrascht. Auf Jahressicht 2021 sind beide Edelmetalle teilweise deutlich im Plus. Dies wird sich fortsetzen, wenn die Inflation tatsächlich anzieht. Diese Edelmetalle unterliegen einem Verzehr und werden damit – anders als Gold – wirklich knapper.

 

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