Des Kaisers neue Kleider an den Aktienmärkten

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Marktupdate 17/2021

Markus Schön, Dienstag 04. Mai 2021

 

Im April 2021 waren die Schwankungen an den Kapitalmärkten in nahezu allen Anlageformen relativ gering. Zunehmend macht sich offensichtlich Ratlosigkeit breit, weil das Umfeld durch die Politik mit Konjunkturprogrammen und die Notenbanken mit billigem Geld weiterhin extrem expansiv bleibt. Bei den Unternehmen und damit in der konjunkturellen Entwicklung kommen diese positive Rahmendaten vielfach aber weit weniger an, als dies erwartet worden war. Neben der immer noch andauernden Corona-Pandemie machen sich stark steigende Rohstoffpreise sowie eine zunehmende Knappheit in diesem Bereich bemerkbar, die dann wiederum auf die Automobil- und Technologiebranche abstrahlen. Dort führen die Lieferengpässe mit Halbleiter- und Daten-Chips zu spürbaren Produktionseinschränkungen, die – zumindest in der Automobilbranche – länger anhalten werden. Dennoch steigen die Bewertungen an den Aktienmärkten immer weiter an. Es werden immer stärker Erwartungen gehandelt, deren Erfüllung mehr als fraglich ist. So hat sich in Deutschland die Verbraucherstimmung stark eingetrübt. Im 1. Quartal 2021 ist die Wirtschaft um 1,7% geschrumpft. Deswegen erscheint es logisch, wenn die Notenbanken ihre Geldpolitik unverändert lassen und damit die Kapitalmärkte mit Liquidität fluten. Zuletzt bekräftigte die US-Notenbank in ihrer Sitzung in der vergangenen Woche, an dem geldpolitisch extrem expansiven Kurs festzuhalten. Kurz zuvor hatte sich die japanische Notenbank ähnlich geäußert. Dazu kommen die politischen Maßnahmen, die sich zu unglaublichen Beträgen addieren, aber vor allem durch Schulden finanziert sind. Dies wird zu einem immer größeren Problem, wie die zunehmende Diskussion um Steuererhöhungen zeigt, mit denen die Verschuldung wieder reduziert werden soll. In den USA plant Joe Biden eine deutliche Erhöhung der Kapitalertragssteuern; der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will die Vermögenssteuer reaktivieren und die Grünen würden vermutlich noch schlimmere Maßnahmen ergreifen. Auch ohne fehlgeleitete politische Weichenstellungen geht von der steigenden Verschuldung eine immer größere Gefahr aus: Niemand weiß, wie lange die behauptete Schuldentragfähigkeit vieler Staaten noch geglaubt wird. Für Spanien, Italien oder auch die USA fehlt zunehmend die Fantasie, wie die Schulden jemals auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden sollen. Wenn die Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit an den Kapitalmärkten wirklich ankommen, drohen erhebliche Verwerfungen, zumal die Substanzstärke der Aktienkonzerne auch zunehmend wie eine Illusion erscheint. So haben allein die 30 größten börsennotierten Unternehmen im DAX fast 400 Mrd. Euro Bewertungen für Firmenübernahmen in den Bilanzen, denen ein nachweislicher Gegenwert fehlt. Dies entspricht 1/3 der Marktkapitalisierung des DAX. Aber auch bei anderen Indices sieht es nicht viel besser aus. Ohne die bilanzielle Erleichterung beim sogenannten Good-will wären ca. 30% der Unternehmen bilanziell überschuldet und der DAX stünde bestenfalls bei 10.000 Punkten.

 

Berücksichtigt man dann noch Werte wie Delivery Hero, die Umsatzwachstum über jegliche Gewinnerzielungsabsicht stellen, muss man sich fragen, wie lange eine solche „Aktien-Unkultur“ tatsächlich noch funktionieren kann. Der Elektromobilitäts-anbieter Tesla – von einem wirklichen Automobilhersteller kann man weiterhin nicht sprechen – vermeldet den höchsten Gewinn seiner Unternehmensgeschichte in einem Quartal. Ursächlich hierfür waren aber Verkäufe von Teilen der Bitcoin-Bestände, deren Kurs der Tesla-Gründer Elon Musk zunächst nach oben getrieben hatte, und vor allem der Handel mit CO2-Rechten. Ohne diese – operativ irrelevanten – Sonderfaktoren würde Tesla weiterhin Verluste schreiben. Das Unternehmen bleibt das größte Schneeballsystem der Kapitalmarktgeschichte, aber ähnlich wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ spricht kaum jemand die Wahrheit über das substanzlose Geschäftsmodell aus. Es ist gelungen, eine Erzählung zu schaffen, die keiner realistischen Betrachtung mehr unterzogen wird. Dies ist aber gerade „Zeitgeist“. Anders ist der starke Kursanstieg bei Aktien der Deutsche Bank nicht zu erklären. Der auch an den Kapitalmärkten überraschende Erlös von 900 Mio. Euro im 1. Quartal 2021 wird bei Deutschlands größtem Kreditinstitut ausschließlich vom Investment-Banking getragen. Aber gerade dieser Bereich sollte doch reduziert werden. Noch enttäuschender ist die Entwicklung, wenn man sieht, dass internationale Wettbewerber vielfach so hohe Gewinne erzielen. Selbst die – wieder einmal – von einem Anlage-Skandal erschütterte UBS hat in den ersten drei Monaten mehr als doppelt so viel verdient wie die Deutsche Bank. Gleichzeitig gewinnen die Übernahmen immer mehr an Dynamik. Der schweizerische Lebensmittelkonzern übernimmt im Bereich der Vitaminpräparate ein Unternehmen für mehrere Mrd. US-Dollar. Wachstum wird konsequent vor Rentabilität gestellt.

 

Es verwundert, dass solche Geschäftsmodelle immer wieder Refinanzierungsmöglichkeiten finden, zumal die Zinsen derzeit leicht steigen und auch in Deutschland immer mehr Anleihen wieder positive Renditen aufweisen. Weiterhin geschieht hier aber viel durch derivate Instrumente. Wirklich größere Verkäufe gibt es nicht. Bei Unternehmensanleihen sind Transaktionen noch seltener. Wer gute Papiere mit positiver Rendite hat, behält diese einfach. Letztlich übersteigt die Nachfrage nach erstklassigen Anleihen das Angebot um ein Vielfaches. Ausgelöst wird dies nicht zuletzt durch Kreditinstitute, die – trotz steigender Marktzinsen – weiterhin Strafzinsen eher ausweiten. Dabei sind bei Banken und Sparkassen – auch in Deutschland – die Risiken nicht zu unterschätzen. Besonderen Anlass zur Sorge muss aber die Entwicklung geben, dass immer mehr deutsche Anleger ihr Geld bei ausländischen Kreditinstituten anlegen. Besonders Kredit-institute in Spanien und Italien profitieren, ohne dass Anlegern sämtliche Risiken wirklich klar zu sein scheinen.

 

Dies scheint auch für den Aktienbereich zu gelten. Teilweise ausgezeichnete Unternehmensergebnisse sorgen für fallende Kurse, weil die unverhältnismäßig hohen Erwartungen nicht erfüllt wurden und auf dem immens hohen Bewertungsniveau Rückschläge wahrscheinlicher werden. Hinzu kommen Werte wie Tesla oder Delivery Hero, deren Unternehmenswert faktisch 0 Euro beträgt. Aber derzeit scheint ein Umfeld vorzuherrschen, bei dem man „Mist“ so lange polieren kann, bis er wie Gold glänzt. Dabei gibt es weiterhin ausgezeichnete Unternehmen mit einem nachhaltig erfolgversprechenden Geschäftsmodell und hoher Zukunftsfähigkeit. Überraschenderweise sind diese im Verhältnis zum Gesamtmarkt häufig moderat bewertet. Diese selektiven Marktchancen sollten Anleger nutzen, während marktbreite Anlagen derzeit kaum erfolgversprechend sind.

 

Ähnlich wie bei den Unternehmensnachrichten können die Konjunkturdaten den großen Erwartungen nicht gerecht werden. Neben Indien leidet Europa derzeit besonders unter der Corona-Pandemie. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, wenn der Euro nahezu gegen alle anderen Währungen an Wert einbüßt. Neben der teilweise deutlichen Zinsdifferenz beurteilt der Außenwert einer Währung die wirtschaftliche Leistungs-fähigkeit einer Volkswirtschaft. Da gehört Europa zunehmend zu den „international abgehängten Regionen“. Die Schlacht um die Rohstoffe tobt zwischen den USA und China, während die EU die Brotkrumen aufsammeln darf. Von international wettbewerbs-fähigen Industriepolitik entfernt sich Europa immer mehr.

 

Schließlich steigen die Preise für Industriemetalle aufgrund der Nachfrage aus den USA und insbesondere China. Dies hat insbesondere die Preise für Kupfer und Palladium nach oben getrieben. Letzteres ist vor allen eine Reaktion auf die Knappheit bei Daten-Chips, da man ähnliche Engpässe fürchtet. Dies könnte zu dem Versuch führen, Palladium durch Platin zu substituieren. Daher sehen wir die dort vorhandenen Marktschwankungen als Chance, dort Positionen moderat auszubauen. Letztlich leidet Platin – wie auch Silber und Gold – unter dem steigenden Marktzinsniveau, das vor allem auf die Inflationsentwicklung zurückzuführen ist. Diese wird – sozusagen in einer Momentaufnahme – durch die steigende Preise für Energie-rohstoffe getrieben, die sich im Jahresverlauf relativieren wird. Entsprechend groß ist das Potenzial bei auch industriell genutzten Rohstoffen wie Silber oder Platin.

 

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