Marktsättigung im Internet

Schön_Co_Marktupdate_2021_16_Netflix

Marktupdate 16/2021

Markus Schön, Dienstag 27. April 2021

 

Betrachtet man lediglich die Veränderungen an den Kapitalmärkten auf Wochensicht, erscheinen die vergangenen Handelstage langweilig und wenig außergewöhnlich. Es zeigen sich aber deutlich widersprüchliche Entwicklungen und Interpretationen. So sind die Energierohstoffe aus Sorge vor einer neuerlichen Zuspitzung der Corona-Pandemie gefallen, während geopolitisch die Situation im Nahen Osten nach dem Beschuss iranischer Tanker und im Russland-Ukraine-Konflikt angespannt ist. Gleichzeitig sind die Aktienmärkte auf sehr hohem Niveau relativ stabil. Schließlich bleibt das Geld billig und die Corona-Krise gilt vielfach als überstanden. Dabei stagnieren in den USA die Impfzahlen und in Indien entfaltet der Corona-Virus eine bislang unbekannte Wucht mit entsprechenden Todeszahlen. Durch die exponentiell wachsenden Infektionszahlen greift die Sorge um eine „Supermutation“ um sich, gegen die möglicherweise Impfstoffe weniger wirksam wären. Vor diesem Hintergrund verhängt u. a. Deutschland einen weitgehenden Reisestopp mit Indien. Zum Brechen der sogenannten 3. Corona-Welle hat aber Deutschland selbst wieder umfängliche Restriktionen festgelegt. Dies alles sind Belastungsfaktoren für die Volkswirtschaft, die eigentlich als Wirtschaftsmotor für ganz Europa gilt. Aber auch dort ist die Situation angespannt, weshalb es erfreulich ist, dass nun immer mehr EU-Staaten das 750 Mrd. Euro große Hilfspaket ratifizieren. Gerade die besonders begünstigten Staaten Spanien und Italien benötigen wirtschaftliche Hilfe, zumal eine wirkliche Verbesserung der dort teilweise sehr wichtigen Tourismusbranche nicht abzusehen ist. Während die USA mit einer teilweise fehlenden Impfbereitschaft kämpfen, kämpft Europa, aber insbesondere Deutschland gegen das „Schneckentempo“ beim Impfen. Gerade gegen Staaten wie Großbritannien oder eben die USA kommen Europa und Deutschland deutlich ins Hintertreffen. Anlass zur zusätzlichen Sorge muss der globale Daten-Chip-Mangel sein. So mehren sich die Nachrichten – insbesondere im Automobilsektor – von Produktionsunterbrechungen aufgrund der fehlenden Datenchips. So muss u. a. Daimler in einem Werk Kurzarbeit anmelden. Der Verteilungskampf um technische Infrastruktur und die dafür benötigen Rohstoffe ist in vollem Gange. Hier muss Deutschland dringend die Wirtschaftspolitik weiter entwickeln, um nicht das Risiko einzugehen, von China und den USA am Weltmarkt „ausgebootet“ zu werden. Deswegen ist es aus europäischer Sicht eher positiv, wenn der neue US-Präsident Joe Biden die Kapitalertragssteuern in den USA deutlich anheben will. So würden dann Spekulationsgeschäfte weniger attraktiv und dies würde möglicherweise Fehlsteuerungen reduzieren. Umgekehrt ist aber auch klar, dass sich Europa und Deutschland dem Trend höherer Steuern nicht entziehen können, um die immensen Kosten der Corona-Pandemie auszugleichen. Hier ist noch nicht absehbar, wie groß die Folgen dann tatsächlich sind und welche Kosten insgesamt entstanden sein werden.

 

Hier gibt es teilweise sehr kreative Forderungen, wie man den wirtschaftlichen Folgen begegnen könnte. So gibt es in Deutschland den Vorschlag, eine Paketversandsteuer einzuführen, die dann stationären Händlern helfen könnte. Es ist ein ähnlicher Ansatz wie eine globale Digitalsteuer, die sich konkretisiert und dringend geboten wäre, um die steuerliche Ungleichbehandlung zwischen stationären und digitalen Unternehmen auszugleichen. Der deutliche Kursrückgang beim US-Streamingdienst Netflix ist nicht auf eine solche Diskussion zurückzuführen, sondern auf die Entwicklung der Nutzerdaten. Obwohl das Unternehmen Umsatz und Gewinn gesteigert hat, kam die Aktie mit einem zeitweise zweistelligen Kursrückgang unter Druck. Grund hierfür war die Erwartung der neuen Nutzer des Streamingdienstes. Diese lagen unter den Erwartungen und auch das neue Ziel wirkten auf die Marktteilnehmer wenig ambitioniert. Dabei zeigte sich, dass auch das skalierbare Modell des Internets Grenzen hat und auch dort eine Marktsättigung einsetzen kann. Erschwerend für Netflix machten sich die eingeschränkten Produktionsmöglichkeiten bemerkbar, die die Attraktivität sinken ließen. Zudem hat der US-Unterhaltungskonzern Disney ein eigenes Angebot gestartet, mit dem er – allein durch die vorhandenen Filme – eine sehr große Attraktivität schafft. Auch hier zeigt sich, dass disruptive Geschäftsmodelle auch von etablierten Anbietern umgesetzt werden können. Vor dieser Herausforderung steht zunehmend Tesla, da wirklich etablierte Automobilhersteller deutlich attraktivere Lösungen im Bereich der Elektro-Mobilität schaffen. Hier scheint – sozusagen im Schatten der Corona-Pandemie – eine Veränderung einzusetzen, die gerade US-Technologie-unternehmen unter Druck setzen könnte. Wenn die Zinsen steigen würden, wäre dort eine besonders starke Korrektur denkbar.

 

Aber auch so war in den letzten Tagen das Rentensegment besonders interessant. Während viele Staatsanleihen durch die nachlassenden Inflationserwartungen seitwärts tendierten, sind Unternehmensanleihen weiterhin gefragt. Neuemissionen sind teilweise stark überzeichnet, ohne dann bei Notierungsaufnahme wirklich stark anzusteigen. Gleichzeitig werden bestehende Anleihen kaum verkauft, so dass die Handelsvolumina sehr gering sind. Vereinfacht formuliert werden gute Papiere einfach nicht hergegeben. Nun steigen vielfach die Bonitätseinstufungen wieder, da viele Unternehmen besser als erwartet durch die Corona-Krise kommen. Entsprechend steigt die Quote an (bonitätsmäßig) gut bewerteten Anleihen. Das daraus resultierende Kurspotenzial ist vielfach verarbeitet. Aber ein hohes Angebot an Liquidität trifft auf eher sinkendes Angebot bei Unternehmensanleihen. Zusammen mit den kürzer werdenden Restlaufzeiten sorgt dies für teilweise deutliches Kurspotenzial.

 

Bei den Aktien scheint hingegen die Rekordjagd vorerst gestoppt zu sein. DAX und Dow Jones haben in den letzten Tagen deutlich verloren, während der – ohnehin in diesem Jahr schwächere – US-Technologieindex NASDAQ sich seitwärts entwickelte. Dies ist überraschend, weil die Entwicklungen bei Netflix ein Fingerzeig auf die gesamte Branche sein können und im gesamten Sektor die gezahlten Dividenden eher zurückhaltend sind. Zusammen mit den in den USA geplanten Steuererhöhungen stellt sich die Frage nach dem weiteren Potenzial für weitere Kurssteigerungen. Zusammen mit den global weiterhin bestehenden Herausforderungen hinsichtlich der Corona-Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen dürfte das Kurspotenzial nicht nur ausgeschöpft, sondern in der Breite überschritten sein. Selektive Marktchancen wird es weiterhin geben, aber neue Rekorde in der Breite erscheinen derzeit weniger wahrscheinlich zu sein.

 

Überraschenderweise gehörte der Russische Rubel zu den Währungen, die sich in den letzten Handelstagen besonders robust gegenüber dem Euro gehalten hatten. Ursache war die relative Entspannung auf politischer Ebene, die aber am Wochenende wieder ins Wanken kam, als bekannt wurde, dass Russland an seiner Westgrenze Seewege schließt. Diese politische Unsicherheit wird durch den globalen Bedarf an industriell benötigten Rohstoffen teilweise kompensiert. Schließlich würde die Weltwirtschaft ohne die (Energie-)Rohstoffe aus Russland kaum funktionieren. Von dem starken Rohstoffbedarf – vor allem in China – profitieren auf Jahressicht die gesamten rohstoffnahen Währungen wie Australischer Dollar oder Mexikanischer Peso.

 

Bei Bitcoin und anderen Digitalwährungen hingegen haben die Pläne des neuen US-Präsidenten Joe Biden, Kapitalerträge stärker besteuern zu wollen, für teilweise deutlich fallende Kurse gesorgt. Schon zuvor war Druck entstanden, nachdem einen Staaten Einschränkungen oder das Verbot von Digitalwährungen in Erwägung zogen. Das „digitale Gold“ kam unter Druck, während die wirklichen Edelmetalle eine eher freundliche Handelswoche hinter sich gebracht haben. Besonders sticht hier Platin hervor, das mit einer Steigerung in der vergangenen Handelswoche von rund 2% ein bisheriges Jahresplus von knapp 15% aufweist. Silber und Gold liegen hier weit zurück, haben aber auch entsprechendes Aufholpotenzial, da das Geld global billig bleiben wird, zumal die Inflationsdaten eher wieder verhalten ausfallen und die geringeren Preissteigerungen – insbesondere beim Öl mit einem Rückgang von 2% im Wochenvergleich – ebenfalls eher in den nächsten Monaten eher wieder dämpfend wirken werden.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.