Grüne mit Kandidatin, aber gegen Marktwirtschaft?

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Marktupdate 15/2021

Markus Schön, Dienstag 20. April 2021

 

Während die Osterzeit 2020 von hoher Unsicherheit und starken Rückgängen an den Kapitalmärkten geprägt war, gab es 2021 eine nahezu vollständig entgegengesetzte Entwicklung. Die Aktien-indices Dax und Dow Jones markierten Rekordhochs, obwohl die Konjunkturdaten teilweise schwächer ausfielen und die EZB eher pessimistisch zu der Dynamik der wirtschaftlichen Erholung gestimmt ist. Bei diesen Aspekten ist das zugespitzte Infektionsgeschehen – neben Deutschland und Frankreich auch in Indien sowie in Teilen der USA – nicht vollumfänglich berücksichtigt. Dies wird an den Kapitalmärkten aber kaum wahrgenommen, weil man dort meint, sich in einer Art „Post-Corona-Ära“ zu bewegen und die wirtschaftliche Erholung in China boomt. Offensichtlich lassen sich die Aktienmärkte von zweistelligen Zuwachsraten beeindrucken, bei denen vergessen wird, wie tief der Einbruch im letzten Jahr war. Zudem sorgt das Umfeld weiterhin – wenn auch in den USA nicht mehr ganz so – niedriger Zinsen für eine immer weiter steigende Risiko-bereitschaft. Die Logik dahinter ist einfach wie falsch: Statt wenig Zinsen zu erhalten, lohnt sich die Spekulation auf hohe Renditen. Schließlich verhindern Notenbanken und Politik größere Zahlungsausfälle und beweisen immer wieder, fast alles zu tun, um die Wirtschaft zu stützen. So werden die Corona-Krise und die Bewältigung der damit verbundenen Folgen die öffentliche Hand in Deutschland 650 Mrd. Euro kosten. Aber auch gerichtliche Entscheidungen erwecken den Eindruck, vollständig im Zeitalter des „Turbo-Kapitalismus“ angekommen zu sein. So wurde die Deckelung der Mieten in Berlin als verfassungswidrig eingestuft. Handwerklich ist dies – wie so oft, wenn die Grünen beteiligt sind – schlecht gemacht, aber der Gedanke, auch in Metropolen bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, ist nicht falsch.

 

Es wäre sicherlich besser gewesen, auf eine Strategie zu setzen, die ein solches Problem nachhaltig löst. Dies ist aber gerade mit den in Berlin regierenden Parteien nicht umsetzbar. Eine solche Konstellation ist inzwischen ein reales Risiko für die im September 2021 stattfindende Bundestagswahl. Auch vor diesem Hintergrund verwundert das so freundliche Aktienmarktumfeld. Bedenklich ist die Kombination des teilweise deutlichen Abstiegs mit immer geringeren Handelsvolumina an der Börse. Die Kurssteigerungen resultieren also nicht aus einer Breite, sondern gehen auf wenige Käufer und noch weniger Verkäufer zurück. Dies kann sehr schnell zu größeren Kursverlusten führen, weil viele Investoren dieses Niveau für Verkäufe nutzen würden, wenn sie die Hoffnung weiter steigender Aktienwerte nicht im Markt halten würde. Käme es nun zu einem Kursrückgang von 5%, könnte dies eine Verkaufswelle auslösen. Zusammen mit verhaltenen Konjunkturdaten – mit Ausnahme von China – weltweit und steigenden geopolitischen Risiken kann dies schneller gehen, als viele Investoren derzeit erwarten. So zeigen die diplomatischen Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei ebenso Gefahren wie die erneute Zuspitzung zwischen der Ukraine und Russland. Dort kommt noch erschwerend die Situation um den Kreml-Kritiker Nawalny hinzu. Die USA drohen nun mit Konsequenzen, falls er in der russischen Haft sterben würde. Dies wird Russland als Einmischung in interne Angelegenheiten verstehen und entsprechend zurückweisen. Der Ton wird – trotz der Abwahl Donald Trumps – seitens der USA in Teilen rauer. Möglicherweise liegt dies daran, weil die USA meinen, aus einer Position der Stärke agieren zu können, da das Impftempo dort hoch ist und entsprechend die Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung besonders ausgeprägt erscheint. Dabei haben die USA trotz guter Arbeitsmarktdaten immer noch 10 Millionen mehr Arbeitslose als vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Entsprechend dürfte die Aussage der EZB global gelten: Noch sind nicht alle Schäden dieser Krise zu erkennen und die Gefahren sind größer als vielfach wahrgenommen. Offensichtlich nicht als gefährlich eingestuft wird die Entwicklung der Inflation. Diese lag in Deutschland im März 2021 mit 1,7% im Vergleich zum Vorjahr unterhalb der Zielmarke der Notenbanken von 2% jährlich. Es zeigt, dass die Erwartungen einer hohen Inflationsdynamik trotz steigender Rohstoffpreise zumindest kurzfristig ausbleiben. Viel größer scheint derzeit tatsächlich das Risiko für von Rohstoff-importen abhängige Volkswirtschaften zu sein, sozusagen „leerzulaufen“ und keine bzw. zu wenig Rohstoffe vom Weltmarkt erhalten zu können. Die Rohstoffströme gehen derzeit deutlich Richtung Asien. Daher kann sich Europa nicht erlauben, eine starke Konfrontation mit Russland als wichtige Rohstoffregion oder mit China als „Vorproduzent“ und Wettbewerber gerade in Rohstofffragen zu suchen. Vielmehr muss man zu einem dialog-orientierten Ansatz zurückkehren, der eher die Chance eröffnen dürfte, in den Ländern positive Veränderungen zu erreichen.

 

Gelingt dies nicht oder will man diesen Weg nicht gehen, muss man jetzt über Alternativen in der Rohstoffsicherung nachdenken. Andernfalls gefährdet nicht nur das langsame Impftempo die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, sondern auch die dann immer stärker belasteten Lieferketten. Dann käme es sehr schnell zu Zahlungsausfällen, zumal die Kreditversorgung in Europa an Dynamik verliert. Den europäischen und insbesondere deutschen Kreditinstituten fehlt schlicht der wirtschaftliche Spielraum. Mit den Quartalsgewinnen, die US-Institute aktuell veröffentlichen, könnte die Hälfte des europäischen Bankensektors gekauft werden. Wer so viel Geld verdient, geht auch größere Risiken ein. Das Modell der kreditfinanzierten US-Wirtschaft geht also immer weiter. Wenn es dort zu einem Crash kommt, werden die Verwerfungen ein derzeit kaum vorstellbares Ausmaß erreichen.

 

Aktuell ist die so ausgeprägte Risikoneigung die Wette auf eine nie endende Verschuldungs-Marktwirtschaft oder einen Boom der Weltwirtschaft, der so hohe Steuereinnahmen ermöglicht, dass die immense Verschuldung zumindest tatsächlich teilweise zurückgeführt wird. Wie herausfordernd dies werden wird, zeigt der Blick nach China. Dort sind die Kurse – trotz eines „Siegs“ über das Corona-Virus – deutlich gefallen, aber auch staatliche Geldgeber stehen vor größeren Herausforderungen. So muss vermutlich eine chinesische Abwicklungsgesellschaft mit zusätzlichem Kapital ausgestattet werden, nachdem dort fast 1 Mrd. US-Dollar Verlust entstanden ist, der auf Kursrückgänge von Nachrangpapieren in US-Währung zurückzuführen ist. Die steigenden Zinsen hatten zuvor die Technologiewerte belastet, was sich nun relativierte, nachdem eine Neuemission einer 30 Jahre laufenden US-Staatsanleihe sehr erfolgreich war. Dies hat den Zinsanstieg gebremst und z. T. die Aktienkurse beflügelt.

 

Für Investoren in Schwellenländern sind die moderat rückläufigen US-Zinsen ebenso eine gute Nachricht wie die etwas nachlassende Stärke des US-Dollars. Schließlich müssen sich Schwellenländer wie die Türkei oder Ägypten in US-Dollar verschulden, um überhaupt Kredite zu bekommen. Steigende Zinsen verteuern die laufende Refinanzierung solcher Staaten; ein hoher US-Dollar erhöht die Verschuldung. Dieses Problem ist in den beiden genannten Staaten so groß, dass man dort Zahlungsausfälle nicht mehr ausschließen kann. Der Euro konnte – mit Ausnahme der „Ölwährungen“ Mexikanischer Peso und Norwegische Krone – gegen nahezu alle relevanten Währungen hinzugewinnen, auch weil der Russische Rubel unter neuen Sanktionsankündigungen litt. Besonders spannend ist aber die Entwicklung der Krypto-Währungen. Der Börsengang einer Handelsplattform beflügelte die Kurse. Am Wochenende gab es Kursrückgänge von bis zu 15%, weil Sorgen um mögliche Verbote in einzelnen Ländern aufkamen.

 

Ob ein Verbot von Bitcoin u. ä. auf Basis der erreichten Marktkapitalisierung in der Breite überhaupt noch möglich wäre, ist aus unserer Sicht fraglich. Schließlich suchen Anleger so – vielfach zu Unrecht – eine Anlageform, die vor systemischen Risiken schützt. Hierzu werden häufig auch Edelmetalle gezählt. Den Schwerpunkt sollte hierbei auf Silber und Platin gelegt werden, die eine industriellen Nutzen haben und hier – anders als beim Gold – tatsächliche eine wirkliche Verknappung einsetzt. So erklärt sich die nicht nur in den letzten Wochen, sondern teilweise länger als ein Jahr anhaltende, deutlich bessere Wertentwicklung. Bei den Industriemetallen ist eine Konsolidierung auf hohem Niveau zu erkennen. Anders als die Entwicklung des Preisniveaus gibt die teilweise zu erkennende Knappheit Anlass zur Sorge. Diese könnte preistreibend, aber vor allem konjunkturbelastend wirken.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.