Steigende Zinsen stoppen Putin nicht

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Marktupdate 14/2022

Markus Schön, Dienstag 05. April 2022

 

International wird heftig diskutiert, weshalb Russland so große Schwierigkeiten hat, sich militärisch in der Ukraine durchzusetzen. Von Fehleinschätzungen und einer Isolation Wladimir Putins ist die Rede, aber der Kapitalmarkt spricht eine andere Sprache: Mit 7,3% liegt die Inflation in Deutschland noch höher als erwartet und reflexhaft rufen insbesondere deutsche Politiker die EZB auf, nun endlich den Leitzins zu erhöhen. Gleichzeitig stimmt die Regierung Deutschland auf Wohlstandsverluste durch die Inflation in Folge des Krieges in der Ukraine ein. Da stellt man sich schon die Frage, wie es gelingen soll, durch Zinserhöhungen den Preisanstieg zu stoppen, wenn dieser doch auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist. Höhere Zinsen in der Eurozone werden auf Wladimir Putin nicht sonderlich abschreckend wirken, zumal er damit doch ein weiteres Ziel erreicht: Europa wird immer stärker finanziell destabilisiert. Deutschland, Österreich, die Niederlande und einige weitere Staaten können steigende Zinsen verkraften; in Italien, Spanien und Frankreich sieht dies völlig anders aus. Neben diesem Nord-Süd-Konflikt in der Eurozone geht zunehmend ein Ost-West-Riss durch die Europäische Union. Während von (süd)westlichen Staaten erste Rufe nach Reduzierungen der Sanktionen gegen Russland laut werden, fordert Polen eine Verschärfung der Maßnahmen und Ungarn stellt – zur Begrenzung der Inflation – eine Abschottung der eigenen Volkswirtschaft in den Raum. So würden die landwirtschaftlichen Exporte Ungarns sinken und dort etwas Druck aus dem Preisauftrieb bei den Lebensmitteln nehmen. Damit würde aber noch weniger Getreide z. B. nach Deutschland exportiert und hier zu weiter steigenden Preisen führen. Wie schon durch die Corona-Pandemie ändert sich etwas Gravierendes: Es geht wirtschaftlich immer stärker nach dem Motto, wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht.

 

Möglicherweise ist genau dieses Auseinanderdividieren Europas das wesentliche Ziel Russlands. Bei einem schnellen Vormarsch durch die Ukraine wäre „nur“ die Frage gewesen, ob für Wladimir Putin an der Nato-Ostgrenze Schluss gewesen wäre oder er sogar die Konfrontation mit dem NATO-Staat Polen gesucht hätte. Durch die teilweise seltsam anmutenden, russischen Truppen-bewegungen in der Ukraine ist alles im Ungewissen und sorgt für steigende Preise auf breiter Ebene. Neben der Destabilisierung der europäischen Volkswirtschaften setzt Wladimir Putin möglicherweise auf das Entstehen eines gesellschaftlichen Drucks, bei dem vielen Menschen das eigene Portemonnaie näher als das Wohlergehen der Ukraine ist. Schließlich sind die bisherigen Sanktionen bei weitem nicht so wirksam, wie dies vielfach suggeriert wird. Der Kurs des Russischen Rubel bildet sich an internationalen Handelsplätzen immer noch relativ willkürlich, aber nährt sich zunehmend dem Vor-Kriegs-Niveau an. Dazu trägt natürlich auch das Dekret vom vergangenen Donnerstag bei, nach dem Gaslieferungen in Rubel bezahlt oder zwangskonvertiert werden müssen. Dies kann nur über die Gazprom-Bank erfolgen, die damit auch den Umtauschkurs zumindest beeinflussen kann. Zudem steigt die Nachfrage nach der russischen Währung, weil nun statt der vielfach bislang üblichen 80% nun 100% der Devisenzuflüsse in Russische Rubel konvertiert werden müssen. Aus unserer Sicht ist es wahrscheinlich, dass die russische Währung im weiteren Jahresverlauf 2022 bis zu 30% an Wert gewinnt und damit dieses Jahr einer der Zeiträume mit der stärksten Aufwertung des Russischen Rubel wäre. Wenn die volkswirtschaftliche Theorie stimmt, dass der Außenwert einer Währung auch immer die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaft widerspiegelt, sieht es momentan danach aus, dass die Sanktionen tatsächlich zu wenig Wirkung zeigen. Dies ist eine schlechte Nachricht, denn die Beendigung eines Krieges durch massive Handels- und Finanzsanktionen wäre ein großer Erfolg gewesen und hätte vielleicht auch zukünftig eine abschreckende Wirkung gehabt. So stellt sich die Frage, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden können, wenn u. a. der BASF-Chef warnt, dass ein Gasembargo Deutschland in die größte Wirtschaftskrise seit 1945 stürzen könnte. Wenn dies richtig ist, befindet sich die europäische, aber auch insbesondere die deutsche Politik in einem Dilemma, entweder das wirtschaftliche Prosperieren im Fokus zu halten und damit moralisch fragwürdig zu agieren oder Wohlstand in unvorstellbaren Umfang für moralische Werte aufzugeben und so möglicherweise einen viel langfristigeren Nutzen zu schaffen. Dieser Konflikt zeigt sich politisch und gesellschaftlich in Ansätzen. An den Kapitalmärkten wird er mit den deutlichen Bewegungen offensichtlich. Schließlich haben sich im 1. Quartal 2022 nicht nur Aktien deutlich verloren, sondern auch die als besonders sicher geltenden Bundesanleihen sind spürbar im Minus und der Euro hat vor allem gegen rohstoffnahe Währungen deutlich an Wert eingebüßt.

 

Besonders spannend war in den ersten drei Monaten der Zinsbereich. Vordergründig war es durch den zumindest in Teilen überraschend starken Zinsanstieg ein historisches schlechtes Quartal für (Staats-)Anleihen, aber viel interessanter sind die konkreten Marktentwicklungen. Durch die steigenden Zinsen sind die Kurse bestehender Anleihen gefallen. Allerdings kann man zu diesen Kursen faktisch keine Anleihen kaufen. Wer im Moment Zinspapiere hat, verkauft diese nicht. Dies führt zu der hohen Nachfrage bei Neuemissionen und einer Nachfrage, die nahezu alle Rekorde früherer Zeiten „pulverisiert“. Auch hier ist eine Art Inflation spürbar, da die Risikoaufschläge vor Beginn der Emission relativ hoch gesetzt werden und sich dann teilweise halbieren. In „normalen“ Zeiten sind dies Bewegungen von wenigen Basispunkten; derzeit kann es dazu führen, dass sich der zunächst geplante Zinskupon von z. B. 1,5% auf 1% p. a. ermäßigt.

 

Solche Bewegungen, die ausschließlich unter Finanz-Experten – Investmentbanken auf der einen Seite; Finanzvorständen großer Konzerne auf der anderen Seite – zeigen, wie angespannt die Situation an den internationalen Kapitalmärkten tatsächlich ist. Deswegen sind die teilweise deutlichen Rückgänge in diesem Jahr in fast allen Anlageklassen – mit Ausnahme weiter Teile des Rohstoffsektors – nicht überraschend. Kaum nachvollziehbar ist, wie stark weltweit führende Unternehmen mit Kursverlusten abgestraft wurden. Hier boten und bieten sich Marktchancen. Allerdings wird das 2. Quartal 2022 ebenfalls viele Ungewissheiten mit sich bringen, da neben dem Ukraine-Krieg China an der Null-Covid-Strategie festhält. Wie sehr dies das globale Wachstum und die weltweiten Lieferketten beeinflusst, ist nicht absehbar.

 

Daher ist eine angemessen vorsichtige Positionierung nicht verkehrt, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können. Schließlich gehen die Konjunkturerwartungen nahezu weltweit zurück, weil die Inflationsraten global steigen und über Zinserhöhungen mindestens diskutiert wird. Insofern wird es spannend, wie der erste Wahlgang zu den französischen Präsidentschaftswahlen verlaufen wird. Sollte Emanuel Macron überraschend scheitern, wird dies auch mittelbar Folgen für die EZB-Politik haben. Deswegen ist es verwunderlich, wie wenig die Wahl an den Kapitalmärkten beachtet wird. Auch blieb völlig ohne Wahrnehmung, dass Japan die expansive Geldpolitik fortsetzen wird. Zusammen mit den Maßnahmen in China wird global weiterhin viel Geld zur Verfügung stehen.

 

Genau diese überbordende Geldmenge befeuert aber die Preissteigerungen. Man hätte dies vor drei oder vier Jahren stoppen müssen. Nun ist der denkbar unglücklichste Zeitpunkt, um eine Zinswende einzuleiten. An den Preissteigerungen im Industrie-Rohstoffsektor ändert es nichts. Einem knappen Angebot und Lieferproblemen steht eine nahezu unbegrenzte Menge an Geld gegenüber. Entsprechend werden aktuell Fehlanreize für eigentlich ungeeignete Anlageformen beschleunigt. So stellt sich bei vielen Aktien die Frage nach dem Sachwert ebenso wie dies bei Gold zu hinterfragen ist. Anders als bei Silber und Platin sind die industriellen Verwendungsmöglichkeiten beschränkt, so dass die Wertentwicklung von 5% in diesem Jahr im Vergleich zu Platin, das „nur“ 2% hinzugewinnen konnte, überraschend ist. Wir halten an der Favorisierung von Silber und Platin fest.

 

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