Corona-Virus an der Wallstreet greifbar - werden Lehren gezogen?

Veroeffentlichungen

Marktupdate 13/2020

Markus Schön, Montag 30. März 2020

 

Eine Zahl zeigt sehr eindrucksvoll den Ernst der wirtschaftlichen Lage: 3,3 Millionen Menschen haben in den USA einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt. Dies ist eine Verzehnfachung innerhalb von zwei Wochen.

 

Der bislang höchste Wert an Arbeitslosenanträgen in den USA lag bei 695.000 und stammte nicht aus der Finanzkrise. Es war das Jahr 1982 und damit mitten in der tiefen Rezession, die der damalige US-Präsident Ronald Reagan mit seinem kurze Zeit zuvor eingeleiteten Wirtschaftsprogramm der Reaganomics zu bekämpften versuchte. Er war damit auch realwirtschaftlich erfolgreich, während der heutige US-Präsident Donald Trump zum einzigen Gradmesser seiner Präsidentschaft die Entwicklung der Aktienkurse gemacht hatte.

 

Diese hatte er durch eine unsinnige Politik aus übertriebenen Steuersenkungen und Handels-beschränkungen aufgepumpt und jetzt platzt die Illusion, dass Trump etwas Reales oder etwas Bleibendes geschaffen habe. Der Dow Jones liegt auf dem Niveau des Jahres 2015 und unter Berücksichtigung der Dividenden der letzten fünf Jahre haben US-Aktienanleger ungefähr so viel Erträge wie Besitzer von US-Staatsanleihen vereinnahmt. Dort werden nach unserer Einschätzung die Zahlungsausfälle ausbleiben, während der im Dow Jones notierte Flugzeughersteller Boeing nur dann zu retten wäre, wenn der Staat Eigenkapital zur Verfügung stellt. Vermutlich werden die USA dies tun, aber sie müssen aufpassen, ihre finanz-politische Handlungsfähigkeit nicht zu verlieren.

 

Schließlich sind inzwischen 20% aller weltweit Corona-Erkrankten in den USA beheimatet und von den dort Erkrankten stammt 1/3 aus dem Großraum New York. Damit sind 6% aller Krankheitsfälle am Weltfinanzplatz zu finden, der vor allem für die US-Refinanzierung von wesentlicher Bedeutung ist. Möglicherweise ist dies auch einer der Gründe, weshalb sich die USA gegen eine Abschottung der Region stemmen. Trump hat Sorge um seine Wiederwahl und vor allem keine Strategie, wie er auf die Situation reagieren soll.

 

Ein Virus ist kein politischer Gegner, den man beschimpfen oder eine andere Volkswirtschaft, die man durch die eigene Größe bedrohen kann. Trotz möglicher Fragen, wie die Situation in China tatsächlich aussieht, wird die US-Regierung von der chinesischen Führung international vorgeführt. Während die USA orientierungslos agieren und Europa um eine einheitliche Linie ringt, stellt sich China als Retter und globaler Helfer da.

 

Diese Leistung muss man anerkennen, aber man muss zu gegebener Zeit aufklären, woher das Virus entstanden ist und wieso China – jedoch ähnlich wie Südkorea – so schnell Lösungen gefunden hat. Dazu gehört aber auch die Analyse von Erkrankungen bereits im Oktober 2019 in Norditalien, die auf einen viel früheren Ausbruch des Corona-Virus deuten. Eine der Lehren aus dieser historischen Krise kann nur sein, dass man globale Probleme nur als Welt-gemeinschaft lösen kann. Hier nimmt Europa für sich in Anspruch, ein Wertekontext zu liefern. Dann darf aber die Frage nach Corona-Anleihen aber keine kontroverse Diskussion nach sich ziehen.

 

Italien, Spanien und Frankreich trifft – anders als bei der Finanzkrise – kein eigenes Verschulden. Deswegen muss sich Europa als Schicksals-gemeinschaft verstehen und einmalig in ausreichenden Volumen gemeinsame Anleihen begeben, die die europäische Wirtschaft stabilisieren helfen. Hier müssen Italien, Spanien und Frankreich von der Finanzkraft Deutschlands, Finnlands und der Niederlande durch günstigere Zinsen profitieren können, weil alles andere zu einer neuen Eurokrise und dann zum Ende der Gemeinschaftswährung führen würde.

 

Spätestens das Ankündigen von Mietaussetzungen von adidas, Deichmann oder H&M hat doch gezeigt, dass die gesellschaftliche Verantwortung am Finanzmarkt – und manchmal auch darüber hinaus – nicht sonderlich ausgeprägt ist. Durch die Entscheidung der EZB, die bestehenden Höchstgrenzen für Staatsanleihekäufe auszusetzen, hat man faktisch ohnehin gemeinsame Schulden geschaffen. Nach dem heutigen Aufbau der Notenbank würde ein Zahlungsausfall eines Staates eine Nachschusspflicht aller die EZB tragenden Staaten auslösen und damit würde Deutschland als größtes Euro-Land 27% des Ausfalls tragen müssen. Mehr Transparenz und einfache Strukturen wären daher sinnvoll.

 

Schließlich hat die Entkopplung zwischen Realwirtschaft und den Finanzmärkten dazu geführt, dass viele die noch vorhandenen Zusammenhänge nicht erkennen. Würde beispielsweise die EZB neben Staatsanleihen keine kurzlaufenden Unternehmensanleihen kaufen, würde es für viele Unternehmen sehr teuer, sich kurzfristig zu refinanzieren. Da aber alle an die hohe Liquidität gewöhnt waren, würden stark steigende Zinsen im kurzfristigen Bereich bei den betroffenen Unternehmen die Kostenkalkulation belasten und vor allem durch die Verunsicherung von Kreditgebern auch für steigende langfristige Zinsen sorgen. Damit stünde weniger Geld für Investitionen zur Verfügung, was wiederum die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit belasten würde. Höhere Kosten, geringere Investitionen und nachlassende Wettbewerbsfähigkeit belasten dann auch den Aktienkurs des jeweiligen Unternehmens, so dass die – ohnehin für Anleger stets risikoreiche – Anlage in Aktien aus Unternehmenssicht zusätzlich erschwert würde.

 

Dies sorgt dann für fallende Aktienkurse und ist in einer Phase, in der sich gerade eine Überbewertung korrigiert hatte, eine weitere Belastung. Deswegen ist ein gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen sinnvoll. Schließlich versuchen die Staaten über Konjunktur- und Kreditprogramme die Wirtschaft über eine Phase zu stabilisieren, damit die Corona-Krise nicht zu einer Wirtschaftsdepression und möglicherweise kriegerischen Konflikten führt. Deswegen sind unbegrenzte Kreditprogramme wie über die staatliche KfW sinnvoll, auch weil mit der Kreditaufnahme der Unternehmen auch das Signal verbunden ist, eine Perspektive für die Zukunft nach Corona zu sehen. Deswegen sind Aktienbeimischungen weiterhin sinnvoll. Allerdings wird auch in den nächsten Tagen die Schwankungsbreite sehr hoch bleiben. Durch diese Krise kommt man mit Unternehmen, die finanzstark sind, ein nachgefragtes Geschäftsmodell haben und sich strategisch klug aufstellen. Letzteres muss man derzeit bei adidas nach der „Mietentscheidung“ etwas bezweifeln.

 

Deswegen stufen wir adidas derzeit als nicht nachhaltig ein. Das eigentlich in vielen Bereichen gut aufgestellte Unternehmen kommt seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht nach, obwohl sich in dem für adidas wichtigen chinesischen Markt die Situation sukzessive normalisiert. Problematisch ist der Anstieg des Euros im Vergleich zum US-Dollar, der allerdings eher eine Schwäche der US-amerikanischen Währung ist. Gegen die von favorisierten rohstoffnahen Währungen hat der Euro – trotz neuerlicher Ölpreisschwäche – verloren. Gegenüber dem US-Dollar scheint tatsächlich die Verschiebung des „Epizentrums“ der Pandemie eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. Schließlich wird man den immer stärker werdenden Ausbruch in den USA vor allem geldpolitisch mit einer nochmals expansiveren Ausrichtung spüren, was die Zinsdifferenz zwischen Europa und den USA weiter reduziert. Diese Reduzierung macht dann Anlagen im US-Dollar unattraktiver. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob hier möglicherweise auch eine größere Bedeutung der chinesischen Währung eine Rolle spielt. Schließlich übernimmt China aktuell eine führende Rolle.

 

Möglich ist dies nur, weil – wie beschrieben – Europa und die USA derzeit ziemlich orientierungslos agieren. Wenn nun die politische Bedeutung Chinas steigt und durch die derzeit wahrnehmbare Entspannung der Situation dort die Nachfrage aus China massiv ansteigt, wird die noch zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sehr schnell die zunehmend offensichtlich angestrebte Führungsrolle übernehmen. Davon werden dann insbesondere die industriell benötigten Rohstoffe profitieren, da sich China – neben dem laufenden Bedarf – auch sehr geschickt weitere Felder erschließen wird. Deswegen beurteilen wir – trotz aller globalen Risiken – Rohstoffunternehmen weiterhin positiv. Dies bestätigt auch die starke Aufwärtsbewegung bei Silber und Platin, die damit einen ersten Schritt getan haben, ihre völlige Unterbewertung in Relation zum Goldpreis etwas zu kompensieren. Beim Goldpreis ist interessant, dass die leichte Aufwärtsbewegung der letzten Tage ohne echte Nachfrage entstanden ist. Dies ist vielfach ein Signal für eine Korrektur, die das Edelmetall aber – sozusagen mitten in die Krise hinein – hinter sich gebracht hatte.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.