Drohende Substitution bei Sanktionen

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Marktupdate 12/2022

Markus Schön, Dienstag 22. März 2022

 

Es ist immer noch Krieg, aber an den Kapitalmärkten tritt eine Art „Normalität“ oder „Gewöhnung“ ein. Wenn es zu keiner deutlichen Eskalation an auf einer Seite kommt, wird der Krieg in der Ukraine etwas an Wahrnehmung an den Kapitalmärkten verlieren. Teilweise war dies schon in den letzten Tagen feststellbar, da sich neben den Aktienindices auch sogar der Russische Rubel deutlich erholen konnte. Geholfen hat sicherlich auch die US-Notenbank, die eine Mini-Zinswende mit der ersten Leitzinserhöhung seit 2018 eingeleitet hat, aber geldpolitisch unter den teilweise überzogen restriktiven Erwartungen geblieben ist. Davon profitierten insbesondere US-Technologiewerte, denen auch aufsichtsrechtliche Lockerungen in China und dortige Stützungsmaßnahmen halfen. So ist mit Alibaba die Aktie des größten chinesischen Online-Händlers in wenigen Handelstagen um fast 40% gestiegen. Die gerade in China aktuell vorhandenen Risiken werden kaum wahrgenommen. So steigen auf niedrigem Niveau die Infektionszahlen in China stark an. Durch die geringere Wirksamkeit des dort hauptsächlich verwendeten Impfstoffes gegen die Omikron-Variante und die weiterhin verfolgte Null-Covid-Strategie kommt es Lockdowns, die dann häufig direkt Millionen Menschen betreffen. Teilweise sind diese in Wirtschafts-zentren erforderlich, betreffen aber auch die internationalen Frachthäfen. Entsprechend warten dort wesentlich mehr Containerschiffe als zu „normalen Zeiten“, so dass die ohnehin durch Corona und den Krieg in der Ukraine gestörten Lieferketten weiter beeinträchtigt werden. Derzeit ist ja auch die kürzeste Flugverbindung von Europa nach Asien faktisch unterbrochen, da Russland für westliche Flugzeuge den Überflug untersagt hat. Dies betrifft nicht nur Passagierflüge, sondern auch Frachttransporte, was wiederum zu steigenden Kosten führen wird.

 

Die daraus folgende Inflation ist ein weiterer Belastungsfaktor, den man derzeit kaum einschätzen kann, weil die sinkenden Ölpreise der vergangenen Tage u. U. perspektivisch dämpfend wirken könnten, aber aktuell steigen die Risiken noch, weil nahezu in allen Bereichen die Preise anziehen. Zuletzt waren neben Rohstoffen auch Preisanstiege im Lebensmittelbereich zu verzeichnen. Diese sind – mit wenigen Ausnahmen durch „Hamsterkäufe“ – jedoch nicht nachfragebedingt, sondern angebotsgetrieben. Einer solchen Geldentwertung kann die Geldpolitik wenig entgegensetzen. Sind zu wenig Rohstoffe, Vorprodukte oder Waren verfügbar, nützen Zinserhöhungen oder Reduzierungen der jeweiligen Geldmenge nichts. Vielmehr besteht das Risiko, dass dies Eintrittsbarrieren neuer Investoren in den jeweiligen Sektor erhöht. Deswegen muss man die geplante Ansiedlung der Chipfabriken durch Intel in Magdeburg etwas differenzierter betrachten. Natürlich ist es gut, wenn mehr Hightech-Industrie in Europa und in Deutschland angesiedelt ist und produziert, aber die Vorprodukte kommen immer noch aus anderen Regionen, so dass der Narrativ einer unabhängigen Chip-Produktion in Europa so nicht richtig ist. Hinzukommt, dass der US-Konzern sicherlich jene Unternehmen bevorzugt beliefern wird, die höchstmögliche Preise akzeptieren. Deswegen müssen bei einer De-Globalisierung – über deren Sinnhaftigkeit man streiten kann – die Rahmenbedingungen so attraktiv sein, dass möglichst viele Unternehmen Interesse haben, in den relevanten Branchen zu investieren. Dafür wäre eine restriktivere Geldpolitik ebenso schädlich wie für die Entwicklung des zur Verfügung stehenden Einkommens bei Haushalten bzw. den für Investitionen verfügbaren Geldern bei Unternehmen. Wenn der aktuelle Zinsaufwand vielfach zwischen 1% und 2% p. a. liegt, würde eine Fortsetzung der Zinssteigerungen diesen relativen Wert um 50 bis 100% ansteigen lassen. Bei 4% Zinsaufwand werden viele Unternehmen nachdenken, ob sich eine Investition rechnet. Für viele Haushalte sind dann Konsumausgaben oder der Kauf einer eigengenutzten Immobilie schlicht unbezahlbar. Nicht zuletzt vor dem Risiko einer immer größeren Belastung durch die Energie- und Lebensmittelpreissteigerungen versuchen nahezu alle wesentlichen Staaten, Kostenentlastungen für die jeweilige Bevölkerung vorzunehmen. Dies schwächt die westlichen Staaten und verschafft Russland zusätzliche Einnahmen. Der Preis für Gas an den Kapitalmärkten hat sich innerhalb eines Jahres versiebenfacht. Dies kommt natürlich nur eingeschränkt an, weil viele andere Kosten, Steuern und Abgaben den Endpreis beeinflussen, aber Russland spürt die Steigerungen deutlich in immer größer werdenden Haushaltsüberschüssen. Deswegen ist die Behauptung einer „wirklichen“ Zahlungsunfähigkeit Russlands natürlich unsinnig. Leider kann sich das Land einen Krieg sehr lange leisten und Effekte wie das Festsetzen von Devisenreserven im Ausland verpuffen zunehmend. Jetzt muss Deutschland seine Energie-Importe in Euro und/ oder US-Dollar direkt nach Russland überweisen. Daher müssen immer neue Sanktionen verhängt werden; sonst setzt vielfach eine Gewöhnung oder Substitution ein. Genau diesen Weg einer Suche nach Ersatz geht gerade Deutschland, das hinsichtlich Flüssiggas eine Partnerschaft mit Katar vereinbaren will. Ob dies erfolgt ist, wird von den potenziellen Vertragspartnern unterschiedlich wahrgenommen.

 

Sollte diese Partnerschaft gelingen oder gelungen sein, intensiviert man eine Partnerschaft mit einem Staat, bei dem insbesondere Politiker der nun bei dieser Vereinbarung federführenden GRÜNEN noch vor kurzer Zeit einen Boykott der in Katar stattfindenden Fußballweltmeisterschaft gefordert hatten. Man tauscht nun einen fragwürdig gewordenen Lieferanten gegen einen – aus anderen Gründen – fragwürdigen Lieferanten aus. Ob dies dann eine kluge Lösung ist, wird mindestens an den Kapitalmärkten kritisch gesehen. Zusammen mit der ungewissen Zinspolitik ist die Unsicherheit unter Finanzanalysten so hoch wie noch nie zu vor. Sie ist sechs Mal so groß wie während der Finanzkrise 2008, als viele den Untergang der Finanzindustrie erwarteten und viele Gewissheiten wegfielen.

 

Anders als in der Finanzkrise konnte die Deutsche Bank aber eine Nachranganleihe platzieren und zieht damit den Markt im Bereich der Nachranganleihen oben. Nicht profitieren davon kann eine klassische Tesla-Anleihe, die aufgrund der Marktturbulenzen derzeit nicht emittiert werden wird. Dies ist überraschend, weil sich die Aktienmärkte deutlich beruhigt haben. Der S&P 500 hat die beste Woche seit dem Jahr 2020 hinter sich, aber auch DAX mit knapp 6% und NASDAQ mit fast 9% konnten deutlich steigen. Spannend wird, ob sich daraus ein Trend entwickelt. Sollten sich die Stimmen aus der Türkei zu einer bevorstehenden Einigung im Ukraine-Krieg bestätigen, gäbe es sicherlich eine Erholungsrallye, bei der aber schnell die Frage aufkommen wird, welche Probleme selbst bei einem Friedensschluss längerfristig bleiben.

 

Weiter profitieren könnte von einer diplomatischen Lösung der Russische Rubel, der im Wochenvergleich – aus unserer Sicht überraschend – rund 18% an Wert hinzugewinnen konnte. Natürlich hat die russische Währung seit Jahresanfang 2022 im Vergleich zum Euro dennoch fast 40% an Wert eingebüßt, aber die Meldungen über ein faktisch zahlungsunfähiges Russland lassen sich so nicht bestätigen. Aber insgesamt hat der Euro eine schwache Woche hinter sich. Gegen die rohstoffnahen Währungen hat er zwischen 0,5% und 1,5% verloren; lediglich gegenüber dem US-Dollar ist eine Steigerung um knapp 1,3% zu verzeichnen, was auf schwächer als erwartete Zinsprognose der US-Notenbank zurückzuführen ist. Gerade im Währungssegment ist eine Akzeptanz der aktuellen Situation zu erkennen, so dass wieder mehr Geld in starke und höher verzinste Währungen fließt.

 

Die Rolle der „sicheren Häfen“ hatte auf der Währungsseite in den vergangenen Tagen eine untergeordnete Bedeutung. Dies machte sich auch bei den Edelmetallen bemerkbar, die im Wochenvergleich deutlich nachgeben. Besonders stark hat Platin verloren, das rund 4% einbüßte und nur noch 6% auf Jahressicht 2022 im Plus ist. Das von uns favorisierte Silber hat mit 3,5% ungefähr genauso viel verloren wie Gold, bleibt aber mit einem Wertzuwachs von fast 7% – neben Palladium – das erfolgreichste Edelmetall in diesem Jahr. Die relativ starken Wertrückgänge zeigen aber auch die aktuelle Nervosität an den Märkten. So haben die Ölpreise zwischenzeitlich nach überraschend hohen Öllagerbeständen in den USA auch korrigiert, um ohne wesentliche Nachrichten dann wieder etwas anzusteigen.

 

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