Realität und Börsenwelt – aktuell kaum Gemeinsamkeiten

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Marktupdate 11/2021

Markus Schön, Dienstag 23. März 2021

 

An den deutschen Aktienmärkten herrscht eine Art Euphorie, die global nicht zu finden ist. Während die Börsenwerte global sinken, erreicht der deutsche Leitindex DAX ein neues Allzeithoch. Getrieben wird dies im Wesentlichen von Volkswagen. Der größte europäische Automobilkonzern hat zweistellige Kurszuwächse erzielt und SAP als wertvollstes, deutsches Börsenunternehmen abgelöst. Vor allem die Hoffnung auf die zukünftigen elektrisch angetriebenen Modelle treibt die Erwartungen von überwiegend US-Investoren. VW gilt als Alternative zu Tesla und könnte damit den Niedergang des US-Automobilkonzerns befeuern. An unsere Einschätzung, dass Tesla signifikant überbewertet ist, halten wir fest. Ohne den Handel mit CO2-Rechten wäre der Wert des Unternehmens mit 0 US-dollar noch optimistisch. Die Bewertungen werden aber weiterhin vor allem durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken weltweit getrieben. Deswegen war der geringe Effekt auf die Kursentwicklung der US-Notenbank-Entscheidung in der vergangenen Woche etwas überraschend. Schließlich wurden die am Markt intensiv diskutierte und wahrgenommenen Inflationsgefahren als unwesentlich eingestuft und faktisch festgelegt, dass sich an der Geldpolitik bis in das Jahr 2023 nichts Wesentliches ändern wird. Dies hat aber den Zinsanstieg in den USA nicht wirklich gebremst, obwohl monatlich weiterhin 120 Mrd. US-Dollar in US-Anleihen investiert werden. Noch weiter geht die japanische Notenbank, die zwar die Spanne, in der sie Zinsschwankungen zulässt, erhöht, aber umgekehrt bei rückläufigen Märkten zusätzliche Aktien kaufen will. Schon jetzt gehören rechnerisch knapp 10% der börsennotierten Unternehmen in Japan der dortigen Notenbank. Da die extreme Ausweitung der Geldpolitik im Zuge der weltweite Finanzkrise 2008 und den Folgejahren geschah, war dies für die japanische Notenbank ein Geschäft. Schließlich hatte der japanische Index NIKKEI zwischenzeitlich den höchsten Stand seit 30 Jahren markiert. Allerdings ist dies mehr ein theoretischer Wert; würde die Notenbank die Aktienbestände verkaufen, kämen die Aktienmärkte schnell unter Druck. Dennoch war das Geschäft besser als die Anlagen, die einzelne Kämmerer in Deutschland bei der Greensill-Bank aus Bremen gemacht hatten. Dort wird die öffentliche Hand vermutlich Schäden von 500 Mio. Euro zu verkraften haben. Nachdem die BaFin nun auch – zu Recht – einen Insolvenzantrag gegen die Bank gestellt hat, kommen auch Belastungen von bis zu 3 Mrd. Euro auf den Einlagensicherungs-fonds des privaten Bankgewerbes zu. Dies fällt in eine Zeit, in der die Kreditinstitute ohnehin Kostenprobleme haben und die Belastungen vermutlich sehr schnell an die Kunden in der Breite weitergeben werden. Ein erstes Kreditinstitut hat bereits angekündigt, zukünftig Strafzinsen von minus 1% p. a. in Rechnung zu stellen. Damit ist ein Trend vorgezeichnet: Die Strafzinsen werden immer höher und bei immer kleineren Summen gelten.

 

Darauf muss man sich einstellen, was für viele Anleger, die – statt unabhängiger Beratung – Produkte bei Banken und Sparkassen verkauft bekommen, eine Ausweitung der Risiken bedeutet. Zusammen mit den Gefahren der extrem expansiven Geldpolitik, einer explodierenden Verschuldung und den Problemen steigender Corona-Infektionen insbesondere in Europa und vor allem in Deutschland entsteht eine Situation, in der die Gefahren in einzelnen Segmenten der Kapitalmärkte viel größer als die Chancen dort sind. Während der Rückgang der teilweise völlig überbewerteten Technologiewerte noch nachvollziehbar ist, verwundert der Anstieg der zyklischen Werte schon. Es ist die Wette auf eine starke wirtschaftliche Erholung mit erheblichen Aufholeffekten, die sich aber konjunkturell nicht wirklich widerspiegelt. In Deutschland wird die Wachstumsprognose auf nun „nur“ noch 3,1% gekürzt, nachdem die Inzidenz bundesweit wieder deutlich über 100 steigen wird und der zwischenzeitliche Stopp des AstraZeneca-Impfstoffs die ohnehin schleppend verlaufende Impfentwicklung weiter verlangsamt hat. Dies passt zu Zahlen, dass 20% der Unternehmen in Deutschland existenzielle Sorgen haben und aktuell schon 6 Mrd. Euro von der Bundesagentur für Arbeit an Kurzarbeitergeld ausgezahlt wurde. Dies entspricht dem gesamten Jahresbudget, das schon nach 10 Wochen ausgeschöpft ist. Aber auch in den USA sind die Daten eher schwach. Die Baubeginne in den USA fallen stärker als erwartet. Die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe steigen deutlich an. Lediglich ein US-Industrieproduktions-Indikator steigt auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren. Die Daten zeigen die gesamte Widersprüchlichkeit an den Kapitalmärkten: Dort gilt vielfach Corona als besiegt, obwohl die Zahlen teilweise deutlich steigen und die Pandemie in manchen Regionen wie Südamerika oder Afrika immer mehr zu einer humanitären Katastrophe wird.

 

Gerade für diese Regionen ist die US-Zinsentwicklung fatal. Die Schulden werden vielfach in US-Dollar gemacht, so dass steigende Zinsen und steigender US-Dollarkurs die Zins- und Rückzahlungen verteuern. Wenn man berücksichtigt, dass die US-Zinsen in rund einem halben Jahr um mehr als 120 Basispunkte gestiegen sind, kann man die drohenden Gefahren erkennen. Deswegen ist es wichtig, die Folgen der Corona-Pandemie global zu bekämpfen. Tatsächlich verfällt man jedoch viel in „Kleinstaaterei“ und denkt zunächst an die eigene Volkswirtschaft. Hier haben die Industriestaaten einen großen Vorteil: Das Geld ist so im Überfluss vorhanden, dass neu aufgelegten Anleihen den Emittenten aus den Händen gerissen werden. Lediglich bei Kreditinstituten werden Anleger – völlig zu Recht – vorsichtiger. Schließlich ist Greensill nicht nur auf einige Kommunen „durchgeschlagen“, sondern hat über Fonds auch die Credit Suisse spürbar belastet.

 

Dies sind Warnsignale, dass zu den Folgen der Corona-Pandemie auch sehr schnell eine Finanzkrise kommen kann. Die Verflechtungen am Finanzmarkt sind nochmals viel größer geworden und durch die immer größeren Summen ist die Anfälligkeit noch höher als vor der Finanzkrise. Deswegen wäre es wichtig, wenn die Verschuldungen von Unternehmen sinken würden. Andernfalls drohen Verwerfungen an den Aktienmärkten, die man sich kaum vorstellen kann. Immer stärker muss der Blick nach China gehen. Dort explodiert die Verschuldung im „privaten“ Sektor. Wenn sich hier die teilweise sehr positiven Erwartungen nicht bestätigen, droht die nächste Finanzkrise von China auszugehen. Zur Stützung der dortigen Unternehmen würde der Staat die Devisenreserven nutzen. Dies hätte dann zur Folge, dass die Zinsen vor allem in den USA durch die entsprechenden Anleiheverkäufe noch stärker stiegen. Dann stünde sehr schnell die Frage nach der Schuldentragfähigkeit der USA im Raum.

 

Würde es dann der US-Notenbank – möglicherweise in einer gemeinsamen Aktion mit anderen Zentralbanken – nicht gelingen, diese Sorge wirksam zu zerstreuen, käme es zum Zusammenbruch des Finanzsystems. Daran glaubt im Moment fast niemand; aber kaum jemand hatte die Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers vorhergesehen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn der US-Dollar weiter an Stärke hinzugewinnt. Für die Differenz zwischen deutschen (-0,30% p. a.) und US-amerikanischen Staatsanleihen (+1,70% p. a.) von rund 200 Basispunkten sind sowohl Anstieg wie auch Niveau des US-Dollars von ca. 1,19 überraschend moderat. Erfreulich ist hingegen die Entwicklung des Mexikanischen Peso, der trotz der Corona-Sorgen und dem stark gefallenen Ölpreis um knapp 1,5% gestiegen ist und so sein Jahresminus 2021 zum Euro nahezu ausgeglichen hat. Die Strategie, über unterschiedliche Währungen, Laufzeiten und Emittenten zu diversifizieren, zahlt sich weiterhin aus.

 

Manchmal ist Börse einfach zu einfach. Eigentlich sollte doch jeder wissen, dass steigende Preise immer weitere Anbieter auf den Markt drängen lassen, wenn das Angebotsgut nicht knapp bemessen ist. Dennoch hatte offensichtlich die Mehrzahl der Marktteilnehmer erwartet, dass der Ölpreis steigt, weil die Nachfrage hoch ist und wenig (neue) Anbieter in den Markt eintreten. Tatsächlich haben die Preise von über 60 US-Dollar je Fass dazu geführt, dass gerade die US-Frackingunternehmen ihre Bohrlöcher wieder öffneten. Damit traf die Sorge um die tatsächliche Nachfrage auf ein höheres Angebot. Entsprechend fiel der US-Dollar im Wochenvergleich um über 6%, während die Preisbewegungen sonst im Rohstoffsektor übersichtlich waren. Silber konnte etwas mehr als Gold hinzugewinnen und hat sich 2021 deutlich besser entwickelt. Platin zeigte sich stabil, ist aber seit Jahresanfang 2021 um 11% gestiegen. Bei den Industriemetallen hat Kupfer im Wochenvergleich leicht verloren. Dies ist ein Signal, dass die erwartete Dynamik übertrieben ist.

 

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