Zinsen schocken US-Technologiesektor
Marktupdate 09/2021
Markus Schön, Dienstag 09. März 2021
Zumindest langweilig waren die hinter uns liegenden Handelstage nicht. Der DAX, bei dem der Konsumgüterunternehmen Beiersdorf bald durch Elektro- und Energiedienstleistungskonzern Siemens Energy ersetzt werden wird, erreichte ein neues Allzeithoch. Erste Analysten erwarteten dann einen „Durchmarsch“ auf 15.000 Punkte, um sich eher Stunden als Tage später zu korrigieren, nachdem der deutsche Leitindex die Marke von 14.000 Punkten nicht halten konnte. Dann kursierten wieder Index-Erwartungen zwischen 12.500 und 13.000 Punkten. Teilweise war dies auch auf die Schwankungsbreite zurückzuführen. In der letzten Woche gab es keinen Handelstag, an dem der börsentäglich länger gehandelte DAX-Future nicht mindestens um rund 200 Punkte schwankte. Die Analysten haben sich seit der Finanzkrise zu „reinen Trendfolgern“ entwickelt und können die zielgerichtete Vermögensanlage kaum noch unterstützen. Deswegen ist wirklich unabhängiges Research so wichtig. Nur so ist sichergestellt, dass in Werte investiert werden, die fundamental so stark sind, dass sie auch Krisen überstehen. Die Frage der Krisenfestigkeit ist auch eine der Ursachen, weshalb insbesondere die Technologiewerte in den USA deutlich schwächer als der Gesamtmarkt waren. Während zum Beginn der vergangenen Woche noch nahezu alles gekauft wurde und DAX sowie Dow Jones so Wochengewinne erzielen konnten, verlor die US-Technologiebörse Nasdaq im Wochenvergleich rund 2% und ist auch auf Jahressicht 2021 nur noch minimal im Plus. Viele dort notierte Werte sind von der Gewinnzone weit entfernt und benötigen immer wieder Kapital. Wenn die Zinsen allerdings steigen, wird die Refinanzierung teurer und viele Anleger werden die sicheren Zinserträge bei Anleihen der Chance auf stark steigende Aktienkurse vorziehen. Schließlich zeigen gerade die Schwankungen bei einzelnen Werten, dass man gerade bei einzelnen Aktien sehr schnell ein kleines Vermögen machen kann – indem man ein großes Vermögen investiert. Der mit einer professionell aufgestellten, breiten Diversifikation verbundene kontinuierliche Vermögenszuwachs wird gerade in diesem Umfeld viel interessanter als der vermeintlich schnelle Gewinn. Wie umsichtig man dabei agieren muss, zeigen die Entwicklungen rund um die Bremer Greensill Bank, über die die BaFin ein Ein- und Auszahlungsmoratorium verhängt hat. Es verwundert etwas, dass so viele Anlageskandale ihren Ursprung in norddeutschen Regionen wie aktuell Bremen oder Osnabrück nehmen. Im konkreten Fall wurden sichere Bankeinlagen versprochen, aber viele – nicht der Einlagensicherung unterliegende – Kunden erleben genau das Gegenteil. Bis zu 50 Kommunen haben dort teilweise zweistellige Millionenbeträge verloren. Natürlich ist davon keine Kommune betroffen, die sich von Schön & Co beraten lässt. Bankrisiken vermeiden wir konsequent; von solchen Anbietern mit intransparentem Geschäftsmodell raten wir ab. Die Entwicklung der Bank zeigt auch die Grenze digitaler Modelle.
So haben viele Anleger ihr Geld zur Greensill Bank über digitale Vermittler wie „Weltsparen“ oder „Zinspilot“ getragen. Diese werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in einigen Wochen entschädigt, aber die Sorge um die Ersparnisse gleichen die – nun nicht mehr zur Auszahlung kommenden – Minizinsen, die die Bank versprach, nicht aus. Unabhängige Beratung hätte vor den Risiken gewarnt. Schließlich waren diese bekannt und durch das starke Bilanzwachstum offensichtlich. Die Bank hat ihre Bilanzsumme in den letzten Jahren um rund 800% gesteigert. Vergleichbare Entwicklungen sieht man nur bei den internationalen Notenbanken und diese gehen auch immer größere Risiken ein. Schließlich stellen sie durch Anleihekäufe und Nullzinspolitik ein Umfeld sicher, in dem Risiken für Privatanleger kaum noch zu erkennen sind. Wenn der Zins als Risiko-Indikator ausfällt, müssen viel umfangreichere Bewertungen erfolgen, für die vielen Anleger Zeit und Fachwissen fehlt. Gerade deswegen sollte die Entscheidung der Deutsche Bundesbank, keinen Gewinn an den Staat auszuschütten, ein deutlicher Warnhinweis sein. Schließlich wurde die Rückstellung des Gewinns von 2,4 Mrd. Euro u. a. Ausfallrisiken begründet, die auf die Anleihekäufe im Zuge des EZB-Kaufprogramms zurückzuführen sind. Die entsprechende Risikovorsorge beträgt fast 20 Mrd. Euro, was eigentlich einen Widerspruch zum staatlichen Narrativ der starken Wirtschaftserholung darstellt. In diesem Fall müssten die Ausfallrisiken für Staaten und Unternehmen gering sein, weil diese von den zu erwartenden Ausgaben profitieren. Derzeit wird allein für Deutschland erwartet, dass sich bei einer Normalisierung der Situation 200 Mrd. Euro „Konsumstau“ auflösen und für einen Nachfrageboom bei Kleidung, Luxusgütern, Autos, Reisen und nicht lebensnotwendigen Konsum sorgen werden. Auf diese Summe schätzt man die zusätzlichen Ersparnisse. Allerdings wird vergessen, dass Belastungen diesem Potenzial gegenüberstehen.
Entsprechend teilen wir die Erwartung eines wirtschaftlichen Booms nicht. Vielmehr dürfte es eine ordentliche Entwicklung geben, in der ein moderater Überschuss aus den aufgeschobenen Konsumausgaben den teilweise erheblichen Belastungen in einzelnen Branchen gegenübersteht. Entsprechend wird die Inflationsdynamik ausbleiben, die auch immer wieder für Unruhe an den Kapitalmärkten sorgt, aber auch wesentlicher Faktor für die Zinssteigerungen der vorangegangenen Woche war. Hier wird viel von der EZB abhängen, die am kommenden Donnerstag ihre Leitzinsentscheidung treffen wird. Große Veränderungen sind nicht zu erwarten. Viel wesentlicher wird sein, ob es – teilweise auch besser als der US-Notenbank gelingt – die anhaltende Dauer der expansiven Geldpolitik klar zu kommunizieren und den Eindruck zu vermitteln, dass die Notenbank durch die aktuelle Inflationsentwicklung „hindurchblickt“. Gelingt dies, wird das Zinsniveau wieder sehr schnell sehr stark sinken und für noch mehr Nachfrage nach Unternehmensanleihen sorgen.
Dort ist die Nachfrage ungebrochen. Zwar sind dort die Kurse auch leicht gefallen, aber wirklich verkauft wird nicht und Neuemissionen sind vielfach deutlich überzeichnet. Es ist so viel Geld vorhanden, das Anlagemöglichkeiten sucht und Aktien immer wieder Enttäuschungspotenzial bieten. Schließlich ist dieses Umfeld für „Trendfolger“ Gift. Teilweise wird – gerade im Technologiesektor – morgens zu höheren Kursen gekauft und abends zu niedrigeren Kursen verkauft. „Hin und her macht Taschen leer“ gilt im Moment für viele Anleger in passiven Fonds ohne eigene Research-Expertise. Letztlich sieht man hier aber auch eine hohe Korrelation zu den Rentenmärkten. Wenn dort deutliche Verluste zu verzeichnen sind, müssen Anleger, die kreditfinanziert agiert haben, andere Anlagen verkaufen. Dies trifft dann den Anleihesektor, aber vor allem auch Edelmetalle und zunehmend defensive Aktienwerte. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der wirklichen Substanz einzelner Aktienwerte.
Erfolgreich ignoriert wird in diesem Szenario, wie abhängig die gesamte wirtschaftliche Erholung von China ist. Ohne den dortigen Boom und die – wie auch immer gelungene – Überwindung der Corona-Pandemie wäre die wirtschaftliche Situation weltweit wesentlich schlechter. Allerdings wird dies zunehmend auch ein kreditfinanzierter Boom. Während der chinesische Staat u. a. weit über 3 Billionen Euro Devisenreserven hält, gibt es einen (Schatten-)Bankensektor, der vergleichbar hoch verschuldet ist. Wie werthaltig dies ist, ist ähnlich ungewiss wie bei der Greensill-Bank. Deswegen ist die starke Entwicklung der rohstoffnahen Währungen und dort insbesondere die Währungen, die besonders von steigenden Ölpreisen profitieren, auch von der Nachfrage aus China getrieben. Diese haben – ebenso wie der US-Dollar – über 1% im Wochenvergleich gegenüber dem Euro hinzugewonnen. Natürlich hilft dort auch das Zinsniveau, so dass die EZB zusätzlich geneigt sein wird, die Dauerhaftigkeit der Geldpolitik zu betonen.
Theoretisch müsste dies dann auch den Edelmetallen einen Schub geben. Schließlich war u. a. der Gold-Hype durch die expansive Geldpolitik begründet. Aber allein in diesem Jahr hat das Edelmetall über 10% an Wert verloren. Halb so stark ist das Minus beim Silber ausgefallen, was jedoch ausschließlich auf die vergangene Handelswoche zurückzuführen ist. Dort ist der Silberpreis fast 5% gefallen und hat so ein Minus auf Jahressicht 2021 von rund 4% hinzunehmen gehabt. Lediglich Platin ist – trotz ebenfalls deutlicher Verluste – noch mit 5% im Plus. Schon im Edelmetallsektor waren die Verluste deutlich; aber der Preiseinbruch bei Nickel stellte alles in den Schatten. Nach einem Mehrjahreshoch fiel der Preis für das Industriemetall um 20% und zeigt, wie groß die Schwankungsrisiken auch bei dringend benötigten Industriemetallen sein können. Hier werden scharfe Preiskorrekturen wahrscheinlicher, weil einige Entwicklungen – gerade bei Öl oder Kupfer – übertrieben erscheinen.
Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.