Endlich mehr Zinsen

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Marktupdate 06/2022

Markus Schön, Dienstag 08. Februar 2022

 

Vermutlich hätte eine deutliche Mehrheit der Marktteilnehmer die vergangene Handelswoche als schlecht eingestuft. Dabei konnten die US-Indices Dow Jones und Nasdaq aber hinzugewinnen. Letzterer schwankte allerdings auch innerhalb eines Handelstages fast wie zu Corona- oder Finanzkrisenzeiten. Es zeigt wie groß die Unsicherheit ist. Besonders deutlich machten dies Unternehmenszahlen. Schon Microsoft hatte nach herausragenden Zahlen zu kämpfen. Der Internet-Bezahldienst-leister Paypal gab mit guten, aber eben nicht herausragenden Zahlen und einem verhaltenen Ausblick einen Vorgeschmack auf die Marktreaktionen und verlor kumuliert fast 15%. Die Aktie der Facebook-Muttergesellschaft Meta hob dies auf ein völlig neues Level. In Folge einer sehr schwachen Entwicklung der Nutzer fiel die Aktie um 25% und sorgte so für den historisch größten Verlust, den ein Aktienwert in absoluten Werten bislang hinnehmen musste. Der Einbruch um fast 300 Mrd. US-Dollar vernichtete damit umgerechnet den Börsenwert der beiden teuersten Werte im deutschen Leitindex DAX. Dieser ist im Wochenvergleich auch gefallen und liegt nun hinsichtlich des Jahresminus 2022 von 5% zwischen Dow Jones (-3,5%) und Nasdaq (-10%). Der Rückgang bei den deutschen, aber auch den europäischen Werten resultiert weniger aus den teilweise erdrutschartigen Kurseinbrüchen bei den US-Technologiewerten – die sicherlich nicht hilfreich waren –, sondern ist auf die Interpretationen der Haltung der EZB zur weiteren Geldpolitik zurückzuführen. Hier wird eine viel kurzfristigere Zinswende erwartet, als man an den Kapitalmärkten bislang annahm. Getragen wurden diese Einschätzungen weniger durch die tatsächlichen Ausführungen der EZB-Präsidentin Christine Lagarde als durch vorangegangene Inflationsdaten und einer Haltung, dass „der Markt hört, was er hören will“. Tatsächlich hält die EZB an ihrer Reihenfolge fest: Auslaufen der Anleihekäufe, parallele Fortsetzung der (Inflations-)Datenanalyse und erst darauf aufbauend eine Zinsentscheidung.

 

Geändert hat sich letztlich lediglich, dass man in der aktuellen Situation das Risiko einer dauerhaft über dem Zielwert von 2% auf Jahressicht liegenden Inflation sieht und daher Zinserhöhungen wahrscheinlicher als (weitere) Zinssenkungen sind. Völlig übersehen wurde allerdings der Aspekt, dass die Notenbank explizit auf den derzeit begrenzten Einfluss auf die Inflationsentwicklung hinwies. Diese resultiert nicht aus steigenden Löhnen oder einer explodierenden Nachfrage. Vielmehr sind die Ursache für die Inflationsentwicklung der dynamische Anstieg der Energierohstoffpreise und Probleme in Lieferketten. Beides hält 2022 weiterhin an; teilweise ist es sogar pandemiebedingt, aber der Einfluss der Notenbanken ist begrenzt. Spätestens das feierliche Essen anlässlich der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking zeigt deutlich, wie sehr sich auch wirtschaftspolitische Macht verschiebt. Neben gastgebenden chinesischen Präsidenten, dessen Land weiterhin einen immensen Rohstoffhunger hat, waren der russische Präsident Wladimir Putin und der saudi-arabische Staatsführer anwesend. Allein diese drei Personen haben mit ihren Entscheidungen mehr Einfluss auf die Inflation in der Eurozone als die EZB. Deswegen liegen die Risiken derzeit nicht ausschließlich in der Zinspolitik, sondern in einer Zuspitzung der Konflikte in der Ukraine oder möglicherweise auch bezogen auf Taiwan. Dies wird an den Kapitalmärkten immer wieder wahrgenommen, aber auch mindestens ebenso schnell wieder verdrängt. Die Weltwirtschaft ist durch die Corona-Pandemie nach wie vor geschwächt, die Notenbanken irrlichtern durch die Inflationsentwicklung und die damit verbundenen weiteren Prognosen und politisch zeigen weder die USA noch Europa wirkliche Führungsqualitäten. Es ist eine Situation, in der eher autokratisch geführte Volkswirtschaften wie Russland oder China die Chance sehen, ihre Macht auch geopolitisch auszuweiten. Wie wirksam man Russland tatsächlich sanktionieren könnte, wenn mit China für russisches Öl und Gas – anders als während des Kalten Krieges – eine starke und sehr stark nachfragende Alternative vorhanden ist, bleibt abzuwarten und muss hoffentlich nie in der Praxis erfolgen. Allein die denkbare Verknappung von Öl und Gas aus Russland würde Europa wirtschaftlich und gesellschaftlich hart treffen. Dann würde der Ruf nach schuldenfinanzierten Hilfsmaßnahmen einerseits und andererseits nach höheren Zinsen zur Inflationsbekämpfung noch lauter. Schon jetzt steuern Italien und Griechenland wieder auf die 2% Rendite p. a. für zehn Jahre laufende Staatsanleihen zu. Wenn dies so weitergeht und insbesondere Italien sich ohne EZB-Hilfe refinanzieren muss, droht eine „Euro-Schuldenkrise 2.0“. Italien kann man aber in Europa kaum retten, ohne die Schulden vollständig und umfänglich zu vergemeinschaften. Ob dies in einem Europa, in dem die Fliehkräfte immer größer werden, durchsetzbar ist, muss sehr stark bezweifelt werden. Daher ist das Zinserhöhungspotenzial beschränkt. Vermutlich werden sich EZB und US-Notenbank vorsichtig an eine minimale Zinswende heranwagen. Zwei Zinserhöhungen in der Eurozone erachten wir als ebenso unwahrscheinlich wie einen „großen“ Zinsschritt in den USA um 50 Basispunkte. Hier sind die Konjunkturdaten einfach zu „durchwachsen“ und vor allem sorgen die verhaltenen Ausblicke der Unternehmen für neue Konjunktursorgen.

 

Schließlich darf man dabei nicht vergessen, dass die Erwartungen an die Erholung nach dem Schock der Corona-Pandemie sehr optimistisch waren und sich – mit Ausnahme von China – faktisch nicht bestätigt haben. Nach wie vor liegt die Wirtschaftsleistung in nahezu allen etablierten Industrienationen unter dem Vor-Corona-Niveau. Wenn nun die Notenbanken zu schnell die Zinsen erhöhen, wird es nur noch länger dauern, bis das Niveau vor der Pandemie wieder erreicht ist. Dennoch sind die steigenden Zinsen für konservativ ausgerichtete Investoren eine gute Nachricht. Neben dem nun wirklich wieder vorhandenen Zinskupon gibt es durch die Schwankungsbreite immer wieder Chancen, auch kurzfristig im Anleihebereich Gewinne zu erzielen. Derzeit bietet es sich allerdings eher an, Anleihen zu kaufen und bestehende Papiere z. T. in längere Laufzeiten umzuschichten. Schwierig bleiben aber die weiterhin niedrigen Handelsvolumina.

 

Wenn wenig gehandelt wird, ist die Kursfeststellung häufig willkürlich, so dass man bei Zinspapieren stets mit Orderlimits arbeiten sollte. Diese Gefahr ist bei Aktien weniger gegeben, aber der Einbruch bei der Facebook-Muttergesellschaft Meta zeigte vielen Investoren wie schwierig es ist, aus Aktien herauszukommen, wenn diese stark fallen. Insgesamt sind die Bewegungen sehr stark und bieten – ähnlich wie bei Anleihen – Chancen, aber die Geschwindigkeit und Schwankungsbreite an den Märkten wird immer schneller und immer heftiger. Als wirkliche Refinanzierungsquelle und Bewertungsmaßstab der unternehmerischen Zukunft werden Aktien immer ungeeigneter. Wenn der Trend nicht gestoppt wird, werden Aktien reine „Spekulationsobjekte“ und funktionieren wie Roulette, bei dem man einfach auf eine von im Wesentlichen zwei Optionen setzt.

 

Die Schwankungsbreite wird von den Notenbanken derzeit eher angeheizt als gebremst. Während dies in Europa möglicherweise noch verkraftbar ist, kann es in den USA sehr schnell zu einem großen Problem werden. Schließlich sind viele Altersvorsorgemodelle dort auf Aktienanlagen ausgelegt. Wenn das Vertrauen verloren ginge, würde es dort sehr schnell gravierende Verwerfungen geben. Deswegen wird die US-Notenbank möglicherweise freudig auf die Markreaktion nach der EZB-Entscheidung geblickt haben. Es hat nicht nur die europäischen Aktien- und Anleihemärkte belastet, sondern auch für fallende Währungskurse – insbesondere beim US-Dollar – gesorgt.

 

Neben der Fortsetzung der Ölpreis-Rallye, die durch die geopolitischen Risiken nach unserer Einschätzung eine Marktübertreibung darstellt, konnten – bei steigenden Zinsen überraschend – die Edelmetalle profitieren. Besonders Platin sticht mit einer Wertentwicklung von 5% in diesem Jahr positiv hervor. Dieser Sektor wird einen Fingerzeig auf die weitere Entwicklung hinsichtlich Inflation geben. Schließlich stehen sich dort zwei widerstreitende Ansätze gegenüber: Eine hohe Inflation spricht für steigende Edelmetallpreise, während Zinssteigerungen dämpfend wirken. Wenn man also davon ausgeht, dass die Notenbanken die Inflation dämpfen können, dürften die Preise für Edelmetalle eher sinken. Dies bedingt aber auch sinkende Energierohstoffpreise, während dort an den Kapitalmärkten derzeit ein weiterer Anstieg erwartet wird.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.