Das Geld, das man nicht hat...

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Marktupdate 04/2021

Markus Schön, Dienstag 02. Februar 2021

 

Nach den deutlichen Rückgängen in den hinter uns liegenden Handelstagen sind viele Aktienindices auch auf Jahressicht 2021 im Minus. Die Analysten, die den DAX bei 15.000 Punkten sahen, erwarten nun den Fall Richtung 12.000 Punkte. Wer jeder Bewegung „hinterherspringt“, hat irgendwann auch einmal Recht. Fundamental sind die Aktienmärkte in weiten Teilen überbewertet. Bei den US-Technologieaktien fiel dies nun einem größeren Teil der Marktteilnehmer auf. Dies hat zu der Abwärtsbewegung beigetragen. Entscheidend sind aber eigentlich drei andere Faktoren: In Europa geht die Angst vor den Virusmutationen um und sorgt für immer neue Lockdownforderungen, Einreisebeschränkungen und Diskussionen über Reisestopps. Dies spielt in den USA keine Rolle. Auf wundersame Weise ist die Corona-Pandemie dort seit dem Ende der Amtszeit Donald Trumps kein Thema mehr. Für den neuen US-Präsidenten Joe Biden wären Schlagzeilen über überfüllte Krankenhäuser und vierstellige Todesraten negativ, auch weil er über eine erweiterte Maskenpflicht nicht viel anderes als sein Amtsvorgänger Trump tut. Hier scheint der Fokus auf den Bestrebungen der US-Demokraten zu liegen, Trump mit einem zweiten Amtsenthebungsverfahren den Weg zu einer politischen Rückkehr zu verbauen. So ist alles schlecht, was von diesem Verfahren ablenkt. In den USA herrscht derzeit mehr die Sorge vor, welche weiteren konjunkturellen und geldpolitischen Maßnahmen ergriffen werden. Unklar ist, was nötig ist, um die US-Wirtschaft zu stabilisieren. Schließlich ist man dort – mit Ausnahme der Impfmaßnahmen – von einer zielgerichteten Bekämpfung der Pandemie weit entfernt. Der dritte Faktor, der die Aktienmärkte belastete, ist mit weitem Abstand der wichtigste und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es geht vielmehr um das eigentlich unbekanntes und in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliches US-Unternehmen Gamestop, das durch die schwache unternehmerische Entwicklung in den Fokus von Hedgefonds gerückt war, die die Aktie massiv verkauft hatten, ohne sie zu besitzen. Diese Leerverkäufe führten dazu, dass wohl mehr als 100% der ausstehenden Aktien verkauft worden waren. Die Aktie stand bei 18 US-Dollar, bevor eine konstatierte Aktion von Kleinanlegern mit vielen kleinen Käufen den Aktienkurs auf über 360 US-Dollar brachte. Ein Hedgefonds verlor dadurch 2,7 Mrd. US-Dollar und musste von einem Wettbewerber gerettet werden. Dieser „Kampf David gegen Goliath“ rief die gesamte Finanzelite auf den Plan, um gegen solche konstatierten Aktionen von Kleinanleger zu wettern. Es wurde richtig erkannt, dass dieses Vorgehen eine Blaupause ist, das schuldenfinanzierte Finanzsystem auf zwei Ebenen aus den Angeln zu heben. Zum einen werden so die extrem fremdkapitalfinanzierten Geschäftsmodelle vieler Finanzinvestoren angegriffen. Zum anderen führen solche Kursexplosionen den „Sachwert“ Aktie ad absurdum.

 

Schließlich ist Gamestop immer noch faktisch pleite und die Aktie weder 360 US-Dollar noch 18 US-Dollar wert. Wer jetzt mit Eigenkapital auf fallende Kurse setzt, macht dort vermutlich ein gutes Geschäft. Hedgefonds setzen aber eben kein nennenswertes Eigenkapital ein, sondern spekulieren mit dem Geld anderer Leute. Deswegen besteht dort keine wirkliche Risikowahrnehmung, was nahezu die gesamten Aktienmärkte und weite Teile anderer Börsensegmente erfasst hat. Deswegen ist die Spekulation so stark akzeptiert. Es gilt zunehmend an den Kapitalmärkten die Weisheit „das Geld, das man nicht hat, kauft einem die Dinge, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag“. Wenn jetzt eine Attacke auf dieses schuldenfinanzierte Modell dies bremst, wäre viel gewonnen. Käme es vollständig zum Erliegen, droht natürlich eine tiefgreifende Finanzkrise, die 2008 weit übertreffen würde. Deswegen ist es ein schmaler Grat, auf dem die Vernetzung der Privatanleger wandelt. Für Anleger kann dies daher nur bedeuten, Fremdfinanzierungsquoten zu senken. Selbstverständlich sollte man nur vorhandenes Kapital an den Börsen einsetzen, aber auch gerade jetzt im Blick behalten, welche Unternehmen hohe Verschuldungen haben, operativ vor Problemen stehen oder möglicherweise nicht mehr zukunftsfähig sind. Neben Tesla mit der abstrusen Bewertung rückt dort direkt Boeing als völlig überschuldeter Flugzeughersteller in den Fokus; aber auch die Commerzbank ist ein Kandidat, der am Abgrund steht und morgen einen Schritt weiter sein könnte. Daran ändert auch der halbherzige Filialschließungsplan nichts. Der Abbau von 10.000 Beschäftigten ist ein harter Einschnitt, aber die Bank hat für das Geschäftsmodell einer Großsparkasse nicht 10.000, sondern mindestens 20.000 Mitarbeiter zu viel und schleppt zu viele defizitäre (Firmen-)Kunden mit sich herum.

 

Eigentlich müsste der neue Vorstandsvorsitzende der Commerzbank deutlich tiefere Einschnitte vornehmen. Er beschränkt sich jedoch auf kosmetische Korrekturen. Natürlich ist dies ein Stück weit ein Zugeständnis an die Politik. Schließlich ist Deutschland der größte Aktionär der Commerzbank, die ohne die staatliche Rettung insolvent gewesen wäre. Dieses Schicksal droht der Bank doch nun wieder. Diese Strategie ist ein Sterben auf Raten. Neben den unzureichenden Kostensenkungen werden Kreditausfälle die Bank massiv belasten, während das Marktzinsniveau weiter sinkt. Schließlich deuten alle Signale der Notenbanken auf eine Beibehaltung, vielleicht sogar eher auf eine Ausweitung der aktuellen geldpolitischen Maßnahmen, da nicht nur die Konjunkturindikatoren rückläufig sind, sondern auch die Wachstumsprognosen deutlich zurückgenommen werden. Selbst die deutsche Bundesregierung rechnet jetzt nur noch mit einem Wachstum von 3% im Jahr 2021. Nach dem Rückgang der Wirtschaftsleistung 2020 ist dies enttäuschend und verlängert den Weg zum Vorkrisenniveau immer weiter und immer stärker.

 

Selektiv in einem deutlichen Widerspruch zu den sich teilweise abschwächenden Konjunkturdaten stehen die Ergebnisse einzelner Unternehmen. Die Stärke des deutschen IT-Konzerns SAP, die teilweise auf eine vorangegangene Übernahme und den nun erfolgten Börsengang einer Tochtergesellschaft zurückgeht, ist nicht wirklich überraschend. Auch die starken Daten des südkoreanischen Elektronikherstellers LG konnte man erwarten. Schließlich boomt das Geschäft in diesem Bereich auch gerade in Lockdown-Phasen. Überraschend waren für viele Analysten aber die sehr starken Zahlen des Automobilkonzerns Daimler, der in allen Bereichen über den Erwartungen lag. Manchmal setzt sich Qualität eben doch durch. Ähnliches gilt auch für Microsoft, auf dessen starke Zahlen die Aktienmärkte aber enttäuscht reagierten und so zum deutlichen Abschwung beitrugen. Diese Nervosität wird sich fortsetzen, weil die Risiken derzeit die Chancen weit überwiegen und selbst substanzstarke Werte wie der schweizerische Uhrenkonzern Swatch 2020 nicht vor dem ersten Jahresverlust seiner Unternehmensgeschichte bewahrt blieb.

 

Dabei ist Swatch mit dem sehr einprägsamen Börsenkürzel UHR – besser ist nur noch Ferrari mit RACE – ein Wert, der ein konservatives Aktienportfolio gut ergänzen kann. Neben der unternehmerischen Substanz und dem teilweise vorhandenen Luxussegment ist der Wert auch unter Währungsaspekten gut. Während sich der Schweizer Franken als direkte Anlage kaum lohnt, gibt es dort selektiv Aktien und – noch selektiver – Anleihen, die interessant sind. Natürlich haben die „Dollars“ – USA, Australien und Neuseeland – mehr Potenzial in der Währung, weil dort vielfach das Zinsniveau höher ist und teilweise die Corona-Pandemie in Australien und Neuseeland beherrscht wird. Wie wichtig dies ist, zeigt die Entwicklung in Mexiko. Der Mexikanische Peso hat innerhalb einer Woche 3% an Wert eingebüßt, weil dort die Corona-Infektionszahlen deutlich ansteigen, während sich der Ölpreis nach dem starken Jahresauftakt 2021 seitwärts entwickelte. In Russland macht sich die Unsicherheit bemerkbar, die von den heute wieder starken Protesten ausgeht. Dadurch fällt der Rubel, der fundamental sicherlich 35% steigen könnte.

 

Allerdings ist eine fundamentale Betrachtung beim Russischen Rubel nicht ausreichend. Neben Corona, Notenbanken und „David gegen Goliath“ liegt in den Demonstrationen in Russland vielleicht ein viertes Risiko. Sollte es dort zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen, könnte die Energieversorgung in Europa beeinträchtigt sein. Zudem besteht das Risiko eines Preisschocks, der viele Rohstoffe umfassen könnte. Schließlich ist der Bedarf in China aktuell viel höher als vor 25 oder 30 Jahren. Gleichzeitig ist Russland einer der global wichtigsten Lieferanten – auch für viele Metalle. Deswegen sollte man sich auf ein nervöses Umfeld einstellen, in dem Silber als mögliche Krisenwährung funktionieren könnte. Während Gold leicht verloren hat, konnte Silber in der hinter uns liegenden Handelswoche fast 6% hinzugewinnen. Neben der starken Unterbewertung in Relation zum Gold spielt auch die rein technisch gestiegene Inflations-erwartung eine Rolle, aber die zunehmende Unsicherheit und die industrielle Verwendung helfen dem Edelmetall, das nach unserer Einschätzung – ebenso wie Platin – weiter steigen wird.

 

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