Notenbanken als Demokratie-Retter

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Marktupdate 01/2021

Markus Schön, Dienstag 12. Januar 2021

 

Die erste Finanzblase liegt fast 400 Jahre zurück und ging als Tulpenmanie in die Geschichte ein. Bis zu einem Einbruch im Jahr 1637 erklommen die Preise für Tulpenzwiebeln in den Niederlanden immer neue Höchststände und waren teilweise wertvoller als Immobilien in bester Amsterdamer Lage. Begrenztem Angebot
stand steil steigende Nachfrage gegenüber. Jeder wollte Tulpenzwiebeln haben und war bereit, jeden Preis ohne wirkliche Grundlage zu zahlen. Das Argument war, dass die Preise immer weiter steigen werden. So ähnlich ist die Entwicklung an den Aktienmärkten, bei einzelnen Wertpapieren und Anlageformen wie Bitcoin zum Jahresauftakt 2021 zu erklären. Auf dem mit Notenbank- und Konjunkturhilfen gedopten Boden der  Corona-Pandemie gedeihen ungebremste Kurssteigerungen besonders gut. Zwar ist es kein neues Phänomen, aber dennoch verwundert es umso mehr: Seit der Finanzkrise 2008 sind schlechte Konjunkturdaten meistens ein Grund für steigende Aktienmärkte. Schließlich müssen dann neue Hilfsprogramme aufgelegt werden und die Zinsen niedrig gehalten oder noch weiter gesenkt werden. So erklären sich auch die Rekordstände vieler Indices zum Jahresauftakt. Weder die Zuspitzung der Corona-Neuinfektionen in vielen Regionen noch der Sturm auf das Kapitol in den USA oder schwache US-Arbeitsmarktdaten haben die Kapitalmärkte auch nur in Ansätzen beeindruckt. Letztlich wird alles zu einer guten Nachricht an den Kapitalmärkten „umgedeutet“. Die Corona- Pandemie ist durch die derzeit teilweise drei zugelassenen Impfstoffe nur noch ein temporäres Problem. Donald Trump ist spätestens in zehn Tagen mindestens als US-Präsident Geschichte und sein Amtsnachfolger Joe Biden wird die Corona-Pandemie in den Griff bekommen, aber in jedem Fall die US-Wirtschaft massiv finanziell stützen. Die Frage nach der Schuldentragfähigkeit der USA wagt derzeit niemand zu stellen. Aber anders als nahezu die gesamte Eurozone müssen die USA noch Zinsen bezahlen, wenn sie sich verschulden. Dort sind die Zinsen für 10 Jahre laufende Staatsanleihen wieder über 1% p. a. gestiegen. Die Schulden aus der Trump-Präsidentschaft und die Rettungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie kosten die USA allein an Zinsbelastung knapp 100 Mrd. US-Dollar jährlich. Dieser Herausforderung war Donald Trump nicht gewachsen, aber auch Joe Biden wird an ihr scheitern.

 

Schließlich übernimmt der zukünftige US-Präsident einen schwer angeschlagenen Staat. Der Sturm auf das Kapitol, zu dem u. a. unsere wirtschaftliche Einschätzung eine „Breaking News“ bei ntv. de war, zeigt, wie zerrissen die USA sind. Nun kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem 2. Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump, vor allem um ihn zukünftig von politischen Ämtern fernzuhalten. Aber auch die Corona-Zahlen sind dort so schlecht, dass es zu massiven wirtschaftlichen Einschränkungen kommen muss, wenn die Zerreißprobe der USA gesellschaftlich nicht noch größer werden soll. Selbst in Deutschland diskutiert man keine Woche nach der Verlängerung und Verschärfung des 2. Lockdowns schon wieder über weitere Verschärfungen. Offensichtlich gibt es immer noch politische Kräfte, die glauben, dass weitere Verschärfungen für die deutsche Wirtschaft verkraftbar sind. Dies wird aber nicht dauerhaft funktionieren, weil irgendwann die – ohnehin derzeit stark aus China getragene – Nachfrage einbricht und die staatlichen Hilfen irgendwie finanziert werden müssen. Allein die bisherigen Maßnahmen führen – trotz 0%-Politik der EZB – zu einem Haushaltsdefizit in Deutschland von 157 Mrd. Euro. Das sind fast 8% der bisherigen Staatsverschuldung Deutschlands. Auf Dauer ist dies nicht leistbar. Es kann einfach nicht der Maßstab sein, dass Deutschland deutlich länger als die meisten anderen Staaten durchhalten kann. Schließlich ist die wirtschaftliche Situation in den USA oder in Italien, Spanien oder Frankreich schon jetzt wirtschaftlich und gesellschaftlich viel dramatischer. Deutschland profitiert auf mehreren Ebenen: Der Export ist sehr stark, die Inflation ist eigentlich eine Deflation, weil zumindest auf europäischer Ebene die Preise im Dezember 2020 erneut um 0,3% im Vergleich zum Vorjahr gefallen sind, und der Staat durch die noch relativ robuste Wirtschaft eine gute Einnahmebasis hat. Nach Auslaufen der – relativ wirkungslosen – Mehrwertsteuersenkung und der neuen CO2-Abgabe verbessert sich die Einnahmebasis weiter. Aber die deutliche Steigerung der Arbeitslosenzahl ist ein Warnhinweis, dass die deutsche Volkswirtschaft nicht unbegrenzt belastbar ist. Nach schlimmer ist die Situation in Italien, das ein neues Konjunkturpaket auflegen will. oder in Großbritannien, das sich trotz des Brexit-Folgeabkommens durch Corona in eine Geisterregion verwandelt.

 

In dieser Situation muss Großbritannien allein agieren. Die EU-Mitgliedschaft gibt es nicht mehr, es war nie Teil der Eurozone. Entsprechend müssen die britische Politik und die Bank of England nun die Wirtschaft glaubhaft stützen. Ähnliches gilt auch für die USA und die Frage nach der Glaubwürdigkeit stellt sich dort, wenn man den Zinsanstieg sieht. Nach den radikalen Hilfsmaßnahmen der US-Notenbank war der Zinssatz im Bereich von zehn Jahren auf dem Weg zu 0% p. a. Jetzt hat sich innerhalb von wenigen Monaten das Zinsniveau fast verdoppelt. Durch die Bedeutung der Volkswirtschaft kann dies die Zinsen weltweit steigen lassen. Dies wird dann zu einem Problem für die Aktienmärkte, aber auch die in US-Dollar verschuldeten Schwellenstaaten. Die steigenden Zinsen in den letzten sechs Monaten wurden durch den fallenden US-Dollar kompensiert, aber bei einer Zinsdifferenz von 150 Basispunkten zu Deutschland kann sich dies sehr schnell ändern.

 

Schließlich liegt die Rendite der US-Staatsanleihen nur noch geringfügig unter dem Wert, den man in den letzten drei Jahren mit deutschen Aktien verdient hat. Aber auch wesentliche US-Unternehmen stagnieren in ihrer Kursentwicklung. Lediglich Tesla scheint – wie an einer Schnur gezogen – weiter zu steigen. Es ist die Tulpenmanie der Gegenwart. Ohne den Handel mit CO2-Zertifikaten wäre der teuerste „Autohersteller“ der Welt lange insolvent. So wird es spannend sein, wie sich die Aktie entwickelt, wenn sich die Pläne von Apple zu einem Auto mit dem koreanischen Hersteller Hyandai konkretisieren. Allein das Gerücht reicht aus, um die Aktie 20% steigen zu lassen. Eher in die Gegenrichtung dürfte es für den Kurznachrichtendienst Twitter gehen, dessen Entscheidung, Donald Trump dauerhaft zu sperren, richtig ist, aber dem Unterhaltungswert von Twitter nicht guttun. Hier wurde Moral nicht wirtschaftlichen Erfolg untergeordnet.

 

Nachdem der Euro ein sehr starkes Jahr hatte und zum Jahresende 2020 besonders hinzugewinnen konnte, dreht sich das Bild etwas. Die rohstoffnahen Währungen profitieren von den Preis-steigerungen bei den Industrierohstoffen. Dem Australischen und Neuseeländischen Dollar hilft zusätzlich die „Insellage“ der beiden Staaten, die die Corona-Infektionen mit den restriktiven Einreisebedingungen dort dämpft und so der Wirtschaft hilft. Dadurch steigt wiederum der Außenwert der Währungen. Der US-Dollar hingegen steigt durch die Zinsdifferenz zwischen Europa und den USA. Selbst Portugal kann sich inzwischen zu 0% p. a. refinanzieren, so dass für Neuanlagen der US-Dollar mit einem Zinsniveau von derzeit 1% p. a. attraktiv erscheint. Auf Endfälligkeit ausgerichtete Anleger könnten bei einer zehn Jahre laufenden US-Staatsanleihe einen Rückgang des US-Dollar-Kurses auf fast 1,35 verkraften, ohne eine schlechtere Wertentwicklung im Vergleich zu einer portugiesischen Staatsanleihe zu haben. Deswegen ist auch mit steigenden US-Dollar-Kursen zu rechnen, weil immer mehr Anleger wieder aufgrund der Zinsdifferenz und des Kurspotenzials der US-Währung entsprechende Wertpapiere beimischen werden. Ähnlich sehen wir die Entwicklung auch bei den rohstoffnahen Währungen, wobei das größte Potenzial in diesem Jahr der Russische Rubel haben dürfte. Durch die steigenden Rohstoffpreise und die an den Kapitalmärkten kaum noch wahrgenommenen Sanktionen gegen Russland dürfte der Kurs gegenüber dem Euro und dem US-Dollar wieder steigen.

 

Schließlich ist ein Ölpreis über 50 US-Dollar für Russland und die arabischen Ölproduzenten wirtschaftlich attraktiv. Die Nachfrage wird aber sehr stark aus Asien und insbesondere China getragen. Deswegen muss man die Abriegelung von zwei Großstädten in unmittelbarer Nähe Pekings mit 18 Millionen Einwohnern mit Sorge betrachten. Schließlich könnte ein starker Ausbruch oder eine Mutation wie in Großbritannien, Südafrika oder nun auch in Japan sehr schnell zu großen Problemen führen und sich dämpfend auf die Rohstoffpreisentwicklung auswirken. Hier sehen wir mit Blick auf die Weltwirtschaft eher ein Plateau erreicht, dessen weitere Entwicklung von der Geschwindigkeit der weiteren Ausbreitungen des Corona-Virus bzw. den Impfungen abhängt. Vor diesem Hintergrund und der Situation in den USA ist überraschend, wie schwach sich die Edelmetalle in der ersten Handelswoche 2021 entwickelten. Silber war 2020 nach Bitcoin die beste Anlage, die man haben konnte und bestätigte unsere Einschätzung. Jetzt verlor das Edelmetall mit 3,5% etwas mehr als Gold, während sich das von uns ebenfalls als attraktiv eingestufte Platin in diesem Jahr bislang stabil präsentierte. Interessant ist aber auch, dass – anders als in vielen Medien zu lesen war – die Nachfrage nach physischem Gold viel geringer als in den Vorjahren war. Die entsprechenden Anbieter haben also ihre Margen zu Lasten der Käufer ausgeweitet, was unsere Wahrnehmung bestätigte. Wer bei bestimmten Anbietern Gold kaufte, hatte statt des „üblichen“ Minus von 5% seinen Wert um mindestens 10% gemindert. Auch hier ist unabhängige Expertise unersetzlich.

 

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