Vollgas auf der Finanz-Achterbahn

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Marktupdate 07/2022

Markus Schön, Dienstag 15. Februar 2022

 

Während der deutsche Leitindex DAX – trotz Delivery Hero – im Wochenvergleich hinzugewinnen konnte, verzeichneten die US-Indices um Dow Jones, S&P500 und Nasdaq teilweise deutliche Verluste. Die US-Technologieaktien sind inzwischen auf Jahressicht 2022 fast 12% im Minus. Ursache für die unterschiedlichen Entwicklungen war nicht die Erkenntnis, dass deutsche Aktien noch ein größeres Aufholpotenzial haben, sondern – wie in diesem Jahr bereits öfter – die Zeitverschiebung und damit der frühere Börsenschluss um 17 Uhr 30 nach europäischer Zeit. In den USA wird dann börsentäglich noch 4 ½ Stunden gehandelt und in dieser Zeit rückte am vergangenen Freitag die Ukraine-Krise in den Fokus. Dies sorgte auch für einen steilen Anstieg der Kurse bei deutschen und US-Staatsanleihen. Plötzlich wurde Sicherheit nahezu um jeden Preis gesucht, wovon dann auch die Edelmetalle – insbesondere das von uns favorisierte Silber im Wochenvergleich mit einem Anstieg um mehr als 5% – profitierte. Diese Nervosität und möglicherweise die Suche nach Sicherheit wird sich auch in den kommenden Tagen fortsetzen. Schließlich rechnen die USA mit einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zwischen dem 16. und 20.02.2022. Aktuell wird erwartet, dass Russland am kommenden Mittwoch die Ukraine angreift, zumal Russland auch hinsichtlich möglicher Sanktionen zunehmend aggressiv auftritt. Nach unserer Einschätzung sind die Maßnahmen ein relativ stumpfes Schwert. Ohne die russische Energieversorgung würde es in Europa sehr schnell sehr kalt werden. Daher dürften Wirtschaftssanktionen eine begrenzte Wirkung haben, aber ein großes Risiko bergen. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die IT-Gefahr, die sozusagen aus der Ukraine droht. Dort arbeiten rund 250.000 IT-Experten – vielfach für europäische Unternehmen. Ein Ausfall dieser Expertise durch Zerstörung der technischen Infra-Struktur oder aufgrund unmöglicher Arbeitsstrukturen würde die europäische Wirtschaft auch hart treffen. Verbindungen mit den europäischen Zentralen könnten unterbrochen werden.

 

Ein Krieg würde nicht nur unvorstellbares Leid und Zerstörung mit sich bringen, sondern erhebliche wirtschaftliche Folgen haben. Die damit verbundenen Gefahren scheinen aber für Russland größer als für Europa und vor allem die USA zu sein. Dies zeigt der weitere Anstieg der Energiepreise, die explodieren werden, wenn es zu einem Krieg in der Ukraine kommt. Mit diesen Preisen schwächt Russland doch schon heute Europa. Während die Haushalte, Unternehmen und der Staat mehr Geld für die Energieversorgung bezahlen müssen, fließt dieses Geld mittelbar dem russischen Staat zu. Dieser könnte – relativ unproblematisch – die Liefermengen signifikant erhöhen und gemeinsam mit den OPEC-Staaten für Preisreduzierungen sorgen. Dies ist aber derzeit genau nicht die Absicht Wladimir Putins. Daher sind weitere Gespräche dringend erforderlich. Vielleicht wäre schon viel damit getan, wenn der deutsche Bundeskanzler zuerst nach Moskau und erst dann in die Ukraine reisen würde. An den Kapitalmärkten werden die Schwankungen weitergehen und eher zunehmen. Teilweise fühlt man sich mehr an eine Kirmes erinnert – Vollgas auf der Achterbahn. Dies wird durch den anstehenden Verfall von derivaten Geschäften am kommenden Freitag noch zusätzlich untermauert. Während also die Anleihekurse zumindest im eher sicheren Bereich deutlich steigen werden, werden zum Wochenauftakt die Kurse zunächst an den asiatischen und dann an den europäischen Aktienmärkten deutlich fallen. Die Marke von 15.000 Punkten im DAX könnte wieder wanken. Es ist erstaunlich, wie schnell diese Entwicklungen gehen. Zum Jahreswechsel 2021/ 2022 wurden wir für unsere pessimistische Prognose zur Aktienentwicklung eher irritiert beäugt. Da sprachen viele andere Marktteilnehmer mindestens von 18.000 Punkten, weil die Wirtschaft stark wachse, Inflation kein Thema sein, die Impfungen Corona beenden und sich die Lieferketten normalisieren. Von diesen Annahmen hat sich nur wenig in die Realität umgesetzt. Nun werden die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung schon reduziert. Gleichzeitig muss China mittelbar über den Aktienmarkt den dortigen Immobiliensektor stützen und die Kriegsgefahr in Europa ist durch die Zuspitzung des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland deutlich gestiegen. Dies sind für eine nach der Pandemie immer noch deutlich angeschlagene Weltwirtschaft uneingeschränkt schlechte Nachrichten, so dass – ähnlich wie schon 2021 – deutliche Enttäuschungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung drohen. Dies ist umso schwerwiegender, weil das Aktienniveau vor allem im Technologiebereich so hoch ist, dass es wenig Argumente allein für das Beibehalten des Niveaus gibt. Von Steigerungen darf man an dieser Stelle nicht sprechen. Derzeit spricht einfach wenig, für ein wirklich freundliches Aktienmarktumfeld. Die konjunkturellen Daten sind – trotz sehr starker Arbeitsmarktdaten nahezu weltweit – eher verhalten. Der Mangel an Elektronik-Chips führt zu einer Verknappung des Angebots und einer Reduzierung der Produkte hin zu wertigeren Ausstattungen. So stellt Audi die Produktion der „Kleinmodell“ A1 und Q2 dauerhaft ein. Wie ökologisch nachhaltig eine solche Strategie ist, kann man sehr kritisch sehen. Wirtschaftlich geht es immer stärker in eine Richtung, in der auf der Anbieter- und Nachfragerseite nur die Größten und Stärksten überleben.

 

Das kapitalistische System ist von einem Finanz- und Turbokapitalismus zu einem Raubtierkapitalismus mutiert, in dem die Entwicklung immer mehr zu den stärksten Akteuren geht und fundamentale Fakten in den Hintergrund treten. Ohne die Möglichkeit sich massiv zu verschulden, hätte Elon Musk nicht Tesla und dann SpaceX aufbauen können. Der selbsternannte Öko-Pionier hatte aber in der letzten Woche kein Problem als 40 neu von ihm in das Weltall geschossene Satelliten in Folge eines Sonnensturms verglühten. Ökologisch ist dies natürlich ein Desaster; ökonomisch spielt es für ihn keine Rolle. Eigenes Geld muss er zur Refinanzierung nicht einsetzen. Die Kredite sind derzeit für ihn günstig. Wenn die US-Inflation analog zu unserer Einschätzung den Hochpunkt erreichte, fallen die Zinsen wieder.

 

Die Frage ist, ob dies dann allen „Technologiewerten“ hilft. So ist die DAX-Aktie Delivery Hero – ähnlich wie in der Vorwoche die Aktie der Facebook-Muttergesellschaft – dramatisch gefallen. Dennoch sind die Unterschiede immens: Meta verdient Geld und hat eine mindestens in Teilen marktbeherrschende Stellung, während Delivery Hero die börsennotierte Darstellung eines unternehmerischen Misserfolgs ist. In einem margenengen Geschäft, das man zwischenzeitlich in Deutschland bereits aufgegeben hat, kauft man sich Marktanteile, die nur dann rentabel werden, falls das Unternehmen eine markt-beherrschende Stellung erreichen sollte. Dies ist nicht sehr wahrscheinlich. Daher wurde unsere Einschätzung im Handelsblatt auch im besonders viel gelesenen, dortigen Morning Briefing aufgenommen, dass die Aktie noch weiteres Abwärtspotenzial hat. Ähnlich hatten wir uns schon nahe der Höchstkurse in der Börse online geäußert. Durch diese Expertise sind unsere Anlagen in diesem Umfeld viel stabiler.

 

Natürlich hilft uns auch, dass sich Anleihen in dem aktuellen Umfeld immer stärker lohnen. Neben dem Kurspotenzial gibt es nun auch wieder Zinsen. Wer dann durch Entwicklungen wie der Fortführung einer US-Dollar-Anleihe der Allianz, die eigentlich hätte gekündigt werden können, hindurchblickt, findet in diesem Umfeld – gerade auch bei Fremdwährungsanleihen – gute Möglichkeiten. Dies zeigt sich auch in dem von Unsicherheit geprägten Umfeld. Als sicher eingestufte Fremdwährungen wie der US-Dollar, Schweizer Franken und Norwegische Krone profitierten. Hier war aber auch zu erkennen, dass die regionale Nähe zum Konfliktherd auf das Aufwärtspotenzial dämpfend wirkte. Auch vor diesem Hintergrund konnten Australischer Dollar und Mexikanischer Peso deutlich hinzugewinnen. Umgekehrt gehörte der Russische Rubel – trotz der teilweise deutlich gestiegenen Rohstoffpreisen – zu den Wochenverlierern.

 

Aus der bereits beschriebenen Gemengelage ist das Anlagejahr 2022 für Aktienanleger bislang kein Jahr der Freude. Aber auch Anleihen haben deutlich verloren. 2021 könnte den Titel als schlechtesten Rentenjahr sehr schnell wieder verlieren. Dafür würde schon reichen, wenn sich auf der Zinsseite in den nächsten 10 ½ Monaten nichts mehr tut. Durch die Zinsen würde sich aber diese Entwicklung relativieren, so dass der starke Anstieg der Edelmetalle in der vergangenen Woche überrascht. Schließlich ist es bei einem höheren Zinsniveau unattraktiver Edelmetalle ohne laufende Rendite zu besitzen. Hier bleiben die Inflationssorgen groß, die aber nur eingeschränkt von den Notenbanken bekämpft werden können. Daher ist es wahrscheinlich, dass sich der Preisanstieg bei sämtlichen Metallen in den nächsten Tagen fortsetzt, während die Energiepreise maßgeblich von der Frage „Krieg in der Ukraine – ja oder nein“ beeinflusst werden.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.