Kein Zeichen von deutscher Aktienkultur

Dachs

Marktupdate 35/2021

Markus Schön, Dienstag 07. September 2021

 

Auch in den vergangenen Handelstagen waren die Notenbanken die prägenden Akteure an den Kapitalmärkten. Die EZB überraschte mit Aussagen zu möglichen Zinserhöhungen und setzte so die Anleihekurse unter Druck. Wahrscheinlich wird dies am kommenden Donnerstag bei der turnusmäßigen Sitzung der europäischen Notenbank wieder „eingefangen“. Steigende Zinsen kann die Euro-Zone aufgrund der in vielen Feldern nur verhaltenen Konjunkturerholung nicht verkraften. Ein deutliches Warnsignal ist hier der Konsumsektor, bei dem sowohl die stationären Verkaufszahlen insgesamt wie der Online-Handel in einer kürzeren Betrachtungszeit enttäuschen. Möglicherweise tritt nun unsere Erwartung ein, dass erst jetzt deutlich wird, wie gravierend auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie tatsächlich sind. Dafür sprechen auch Daten aus China. Dort ist der Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung des Dienstleistungssektors mit 47,5 Punkten deutlich unter die Schwelle von 50 Punkten gefallen, die Wachstum signalisiert. Dies wird an den Kapitalmärkten aber ebenso wenig wahrgenommen wie schwache US-Arbeitsmarktdaten, die die Erwartungen der Analysten um 200.000 neu geschaffene Arbeitsplätze unterschritten hatten. Dennoch eilen die US-Indices – zumindest teilweise – von Rekord zu Rekord. Der neue „sichere Hafen“ sind US-Technologiewerte, die nach der allgemeinen Marktmeinung nur steigen können. Deswegen wird zunächst auch die Änderung des DAX mit der Ausweitung von 30 auf 40 Werte gut ankommen. Schließlich steigen nun mit Zalando und HelloFresh zwei „Technologiewerte“ in den deutschen Leitindex auf. Zusammen mit dem MDAX werden nun allerdings fast 25% der deutschen börsennotierten Unternehmen in den größten deutschen Indices gelistet. Anders als es die Deutsche Börse zu suggerieren versucht, ist es kein Qualitätsmaßstab. Vielmehr zeigt es die geringe Aktienkultur in Deutschland, in der viele vermeintliche „Profi-Investoren“ das schnelle Geld machen, indem sie ihre Bekanntheit nutzen, um Privatanlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wirklich unabhängige Expertise wie bei Schön & Co mit eigenem Research und der Anlage ausschließlich in Einzeltiteln wird immer seltener. Aber um diesen Anspruch weiterhin zu erfüllen, muss man immer internationaler investieren. Dies betrifft Anleihen wie Aktien. Bei Letzteren wird es aber mit der Ausweitung des DAX auf 40 Titel besonders deutlich. Anders als beispielsweise der Dow Jones oder der S&P 500 werden die deutschen Indices so häufig durchgemischt, dass es an ein Kartenspiel erinnert. Deswegen erleben viele Anleger die behaupteten Wertsteigerung des DAX in realen Portfolios nicht. Wer – anders als unsere Kunden – den Abstieg von Arcandor, Commerzbank oder die Insolvenz von Wirecard mitgemacht hat, hat bei diesen ehemaligen DAX-Werte dicke Minuspositionen im Depot. Vollinvestierte Anleger konnten zwar umschichten, der Verlust war aber tatsächlich eingetreten.

 

Deswegen haben Rekordstände und Wertzuwächse eine teilweise sehr begrenzte Aussagekraft. Das erste Ziel muss für Anleger weiterhin sein, Verluste zu vermeiden. Deswegen investieren wir nur in Geschäftsmodelle, die uns nachhaltig, substanziell und dauerhaft überzeugen. Wer jetzt den „erweiterten DAX“ – ggf. über (Index-)Fonds kauft, sichert sich die nächste Pleite: HelloFresh ist eine Aktie, die nicht in den Leitindex einer führenden Industrienation gehört, sondern nie die Börsenzulassung hätte erhalten dürfen. Aber dies offenbart eine Schwäche der deutschen Aktienkultur. Statt Anlegern Perspektiven zu bieten oder diese zumindest vor gravierenden Verlusten zu schützen, richtet man sich an Formalien aus. Schließlich profitieren die Börsenbetreiber von jedem Börsengang. Diese Interessenkonflikte werden nicht aufgelöst, sondern eher befeuert. So entsteht aber keine Anlagekultur, sondern eine Selbstbedienungsmentalität bei vielen Anbietern. Mit der Behauptung, Aktien seien Sachwerte – Wirecard, Grenke und Commerzbank widerlegen dies eindrucksvoll –, lassen sich so immer neue Anlegergruppen erschließen. Schließlich ist die Inflation mit fast 4% auf Jahressicht so hoch wie seit 1993 nicht mehr. Tatsächlich wird diese aber durch die Mehrwertsteuer, CO2-Steuer und Basiseffekte getrieben. Deswegen dürfte der Hochpunkt der Geldentwertung vorerst überschritten sein. Risiko in diesem Bereich bleiben letztlich die Lohnsteigerungen, da der Fachkräftemangel international immer stärker ausgeprägt zu sein scheint. Trotz des eher schwachen Arbeitsplatzaufbau in den USA sind die Lohnsteigerungen dort überraschend stark, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung auch dort wieder an Dynamik verliert. Offensichtlich wird eine zunehmende Zweiteilung der Entwicklungen an Arbeitsmarkt. Einerseits sucht man immer mehr Fachkräfte, während andererseits eigentlich immer mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor entstehen und dort Bedarf ist.

 

Immer mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor bedeuten geringere Kaufkraft, so dass dies möglicherweise eine weitere Erklärung für die enttäuschenden Konsumausgaben insbesondere in Deutschland ist. Dabei sind aber gerade hier die Kreditzinsen besonders niedrig, so dass dies auch die Konsumausgaben stützen müsste. Zudem bleibt das Refinanzierungsumfeld für Unternehmen extrem positiv. So ist die Attraktivität von Anleihen in den letzten Tagen gestiegen. Die Anzahl der Neuemissionen hat deutlich zugenommen. Es gab leicht höhere Zinsen und insgesamt sind die Schwankungen gestiegen. Entsprechend hat sich die Strategie, eher ambitionierte Limite zu setzen, ausgezahlt. Teilweise konnte man zu extrem hohen Kursen Anleihen verkaufen und vergleichbare Papiere eher günstig einkaufen.

 

Nicht ganz so einfach lässt sich dies auf die Aktienseite übertragen. Hier nimmt zwar die Schwankungsbreite ebenfalls zu, aber fundamentale Fakten spielen keine Rolle. So hat der – unter Datenschutzaspekten weiterhin fragwürdige – Anbieter von Video-Konferenzen Zoom den Gewinn aus unserer Sicht überraschend stark gesteigert, aber die Aktie hat deutlich verloren. In einem sehr guten Aktienjahr ist die Aktie dieses Technologieunternehmens eigentlich eine der größten Enttäuschungen. Vergleichbar stark haben nur Tourismus-Aktien wie TUI oder – eher eingeschränkt – auch Deutsche Lufthansa verloren. Blickt man durch einzelne Werte hindurch, fällt auf, dass in der hinter uns liegenden Handelswoche eher defensive Werte unter Druck kamen, während vor allem der Technologiesektor eher weiter – teilweise deutlich – hinzugewinnen konnte.

 

Schließlich ist die Frage nicht unwesentlich, ob wir am Beginn einer neuen Krise stehen. Die Konjunkturdaten sind teilweise deutlich schwächer als erwartet. Neben dem deutschen ifo-Geschäftsklima-Index sind vor allem die Daten vom US-Arbeitsmarkt enttäuschend. Deswegen stellt sich die Frage, ob die US-Dollar-Schwäche, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Handelswoche zu spüren war, tatsächlich auf die Rede des US-Notenbankpräsidenten zurückgeht oder nicht eine konjunkturelle llars besonders beachtenswert. Trotz deutlich steigender Corona-Infektionszahlen und damit verbundenen Lockdown gewinnt die Währung mehr als 1,5%. Während aufgrund der relativen Konjunkturstärke und der als unterschiedlich wahrgenommenen Zinspolitik der Euro im Vergleich zum US-Dollar steigen konnte, kam die europäische Gemeinschaftswährung im Vergleich zu vielen anderen Währungen unter Druck. Vor allem die rohstoffnahen Währungen und hier insbesondere der Australische Dollar mit einer Steigerung im Wochenvergleich von mehr als 1% konnten profitieren. Daher bleibt die Währungsdiversifizierung wichtig. Allerdings darf man dort die Risiken nicht ausblenden. So ist der Zahlungsausfall der Türkei ebenso eine reale Gefahr wie das Verbot – trotz aller Kurssteigerungen – bestimmter Digitalwährungen aufgrund der dort immer wieder vorkommenden Geldwäschefälle.

 

Solche Gefahren sind an den chinesischen Kapitalmärkten besonders ausgeprägt. Nicht umsonst kam Nervosität weltweit auf, als der zweitgrößte börsennotierte Immobilienkonzern Chinas vor einem Zahlungsausfall warnte. Ein solcher Zusammenbruch hätte auch sehr viele realwirtschaftliche Folgen, so dass die Seitwärtsbewegung bei industriell benötigten Rohstoffen folgerichtig war. Umso erfreulicher war die starke Entwicklung der Edelmetalle, bei denen Silber mit einer Steigerung von knapp 3% hervorstach und sich Platin mit einem Plus von knapp 1,5% auf Wochensicht ebenfalls stark präsentierte. Dennoch bleiben die Edelmetalle – inklusive Gold – auf Jahressicht 2021 deutlich im Minus, obwohl sie als Sachwerte gelten und eigentlich von steigender Inflation bei niedrigen Zinsen profitieren müssten. Dort ist das Signal aber eindeutig: Die Inflation ist nur ein temporäres Problem.

 

Der Text ist unser sonntäglich erscheinendes Schön&Co-Marktupdate, für das Sie sich unter info@schoenco.de jederzeit kostenlos und unverbindlich anmelden können.